Kommentar: Ick bün all dor

, , ,

Als die NEUE REIFENZEITUNG unlängst über die Lösung eines Softwareanbieters berichtete, mit der Händler Kfz-Teile im Allgemeinen und somit freilich auch Reifen im Besonderen über die Plattformen wie beispielsweise Amazon anbieten können, ließ Kritik daran nicht lange auf sich warten. Ein Leser merkte an, dass man bei einen entsprechenden Engagement dem Onlineriesen so ja gewissermaßen den Weg in das Reifengeschäft ebnen würde. Mit der Folge, dass dieser nach einiger Zeit dann die „erfolgreichsten Artikel selber zu Preisen unter dem günstigsten Anbieter verkauft“ und der Reifenhandel daher sein eigenes Schicksal besiegele, wenn er seine Produkte über Amazon an die Frau oder den Mann zu bringen versucht. Auf den ersten Blick scheint die Argumentation absolut nachvollziehbar. Die Sache hat nur einen gewaltigen Haken.

Denn der Onlinegigant ist selbst doch längst auch schon Reifenhändler. Denn auf der Plattform finden sich hierzulande bereits diverse Angebote an Sommerreifen, bei denen in den Produktdetails zu lesen ist: „Verkauf und Versand durch Amazon.“ Noch sind dabei unter anderem mit Bridgestone, Conti, Dunlop, Kumho, Michelin, Nexen, Pirelli und Uniroyal zwar nur vergleichsweise wenige Reifenmarken vertreten, bei denen Amazon selbst als Verkäufer in Erscheinung tritt. Auch hinsichtlich der Dimensionen beschränkt man sich (zunächst?) offensichtlich auf ausgewählte und besonders gefragte Größen. Im Zusammenhang mit der Frühjahrsumrüstung gab es auf der Plattform jedoch gleich schon mal eine Werbeaktion namens „DE Tyres Promo“, bei der Kunden im Zeitraum zwischen dem 29. März und dem 22. April drei Euro Rabatt je gekauftem Reifen versprochen wurde.

Amazon ist längst auch schon Reifenhändler

Amazon ist längst auch schon Reifenhändler

Man könnte jetzt ätzen, dass den Onlinehändler eben nicht nur das Reifengeschäft der etablierten Branchenbetriebe inspiriert hat, sondern dass er zugleich damit außerdem noch die weitverbreitete „Unsitte“ bei ihnen abgekupfert hat, das „schwarze Gold“ vor allem über den Preis zu vermarkten. Aber wenn ein Unternehmen neu in ein Marktsegment einsteigt und sich in diesem etablieren will, dann ist eine aggressive Preispolitik schon immer als Mittel eingesetzt worden, um sich dadurch Marktanteile gewissermaßen zu erkaufen. Daher verwundert nicht weiter, dass bereits heute die von Amazon aufgerufenen Reifenpreise in aller Regel nur noch von einem anderen Anbieter unterboten werden: dem Marktplatz eBay. Das hat zumindest eine Preisrecherche der NEUE REIFENZEITUNG für einige der Anfang/Mitte April bei Amazon erhältlichen Reifenmodelle/-dimensionen ergeben.

Ist es abgesehen von alldem nicht ohnehin ein wenig naiv, davon auszugehen, dass ein mittlerweile riesiger Onlinehandelskonzern tatsächlich erst der Unterstützung selbst in ihrer Gesamtheit mehr als deutlich kleinerer Einzelhändler bedürfen sollte, um ein bestimmtes Marktsegment beackern zu können bzw. damit sie ihm den Weg bereiten? Ist es nicht vielmehr irrig anzunehmen, Amazon würde – obwohl man sich dort ganz offensichtlich etwas oder vielleicht sogar einiges davon verspricht/erwartet – die Finger vom Reifengeschäft lassen, nur weil herkömmliche Teile-/Reifenhändler diesen Vertriebskanal nicht nutzen bzw. konsequent boykottieren wollen? Das ist beinahe so, als wünschte man sich, irgendwer würde das Internet einfach irgendwie wieder abschalten oder zumindest den Reifenhandel über das Web abschaffen.

Doch so wie auch Zahnpasta wieder schwer bis hin zu eher wohl unmöglich zurück in die Tube zu bekommen ist, wird es auch zukünftig weiter und höchstwahrscheinlich immer mehr Onlinereifenhändler geben – inklusive solcher Kanäle wie Amazon. Zumal der Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseurhandwerk e.V. (BRV) zuletzt zwar einen „nur“ knapp zehnprozentigen Anteil am gesamten deutschen Reifenersatzgeschäft dem B2C-Internetreifenhandel zuschreibt, aber tendenziell schon von einem eher steigenden Marktanteil bis hin zur Marke von vielleicht 20 Prozent ausgeht. Das heißt umgekehrt natürlich nicht, dass alle Reifenhändler zwingend im Onlinegeschäft oder gar bei Amazon aktiv werden müssten. Die Entscheidung darüber kann und muss allerdings jeder Unternehmer/Betrieb auf Basis der jeweiligen Gegebenheiten vor Ort und der eigenen strategischen Zielsetzungen selbst fällen. Eine eingehende Auseinandersetzung mit der Onlinethematik sollte sich jedenfalls niemand von anderen abnehmen lassen – sei deren Ratschlag auch noch so gut gemeint. christian.marx@reifenpresse.de

0 Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar

An Diskussionen teilnehmen
Hinterlassen Sie uns einen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert