Betrieb sucht Azubi – Azubi sucht Betrieb

Immer mehr junge Menschen studieren und entscheiden sich gegen eine Ausbildung. Und die Menschen, die eine Lehre anstreben, wählen mit Vorliebe eine kaufmännische Richtung. Das Handwerk ist weniger begehrt. Auch die Reifenbranche ist davon betroffen. Schon seit Jahren sinken hier die Ausbildungszahlen. Und in den nächsten Jahren wird dies nicht besser. Denn die geburtenschwächeren Jahrgänge verlassen die Schule. 2025, so eine Prognose der Kultusministerkonferenz, sitzen um die zwei Millionen Kinder weniger in den Klassen als heute. Die NEUE REIFENZEITUNG hat sich in der Branche zum Thema Ausbildung umgehört.

Der Obermeister der Innung Rhein-Ruhr Horst Kornetka wird sehr emotional, wenn es um das Thema Ausbildung zum Mechaniker für Reifen- und Vulkanisationstechnik geht. Seit 18 Jahren ist er Obermeister, über 30 Jahre arbeitete er mit den Auszubildenden am Hans-Schwier-Berufskolleg der Stadt Gelsenkirchen und er hat nach eigenen Aussagen so manchen Kampf geführt, wenn es um das Thema Ausbildung geht. Für ihn hat das Thema Ausbildung viele Facetten. „Wenn die Betriebe suchen und keine Auszubildenden bekommen, haben sie selber schuld“, sagt der 70 Jahre alte Mann. Der Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk e. V. (BRV) habe den Betrieben genug Marketingmaterial zur Verfügung gestellt, um jungen Menschen den Beruf schmackhaft zu machen, „nur leider werden diese beim BRV gar nicht abgerufen“. Ein weiterer Punkt für ihn: „Vor zehn Jahren konnten wir junge Menschen mit einem Hauptschulabschluss nach der 9. Klasse problemlos einstellen. Doch bei der ganzen technischen Weiterentwicklung unseres Berufes brauchen wir mittlerweile junge Leute, die zumindest die 10. Klasse einer Hauptschule abgeschlossen haben. Sie müssen nicht gut in Sport und Religion sein, aber sie müssen Mathe, Physik und auch ihre Hände gebrauchen können.“

Obermeister Horst Kornetka

Obermeister Horst Kornetka

Kornetka selber hat seinen Betrieb in Duisburg. Er hat fünf Angestellte, aber keinen Auszubildenden mehr. Woran es liegt? „Ganz einfach. Wir müssen unsere Lehrlinge jetzt nach Köln an das Nicolaus-August-Otto-Berufskolleg schicken. Und diese Schule ist gelinde gesagt eine Schrottschule.“ Seiner Meinung nach sei die Zahl der ausbildungswilligen Betriebe daher auch in seinem Innungsgebiet zurückgegangen. Im vergangenen Oktober habe er sich die Mühe gemacht, sämtliche Kammern in Nordrhein-Westfalen anzurufen. 146 Ausbildungsbetriebe gäbe es demnach in der Kammer Nordrhein-Westfalen. An der Berufsschule in Köln würden mittlerweile nur noch 43 Auszubildende in drei Ausbildungsjahren beschult. „Wenn das so weiter geht, sind wir bald aus der Handwerksrolle A raus“, so die Sorge Kornetkas.

Betrieben fehlt das Know-how bei der Gewinnung von Nachwuchs

Eine Nachfrage beim Vorsitzenden des BRV, Peter Hülzer, ergab: „In der Tat gab es nach der Verlagerung des Berufsschulstandortes NRW von Gelsenkirchen nach Köln vor einigen Jahren Probleme. Nachdem aber im vergangenen Jahr der Vulkaniseurmeister Ivan Babic als Werkstattleiter eingestellt wurde, kam es zu einer deutlichen Optimierung, die auch von den Auszubildenden bestätigt wird.“ Peter Hülzer ist sich sicher: „Die Verlagerung des Berufsschulstandortes nach Köln nicht der Grund für die Tatsache ist, dass Betriebe nicht mehr ausbilden.“ Da es hier natürlich keine Erhebungen gebe, könne er nur vermuten: „Vielleicht fehlt den Betrieben das nötige Know-how in Sachen Bewerbergewinnung.“ Gerade in Kleinbetrieben ohne eigene Personalabteilung würde es dann oft an genügend Kompetenz mangeln. Hinzu komme bei vielen Betrieben die unberechtigte Vermutung, Ausbildung koste das Unternehmen nur Geld, weil die vom Azubi erbrachte Arbeitsleistung keinen ausreichenden Gegenwert für die in ihn zu investierenden Aufwendungen darstelle. Hülzer: „Hier fehlt sicher oft das Verständnis dafür, dass Ausbildung eine Investition in die Zukunft ist und man eine auf den einzelnen Azubi heruntergebrochene Kosten-/Nutzenrechnung nicht als geeigneten Gradmesser für den Return on Investment betrachten kann.“

Enttäuschte Erwartungen und schlechte Erfahrungen

Und dann gäbe es natürlich auch noch schlechte Erfahrung mit oder enttäuschte Erwartungen an frühere Auszubildende. Für Hülzer steht fest: „An der (mangelnden) Zahl der Meister kann es ja eigentlich nicht liegen, wenn grundsätzlich ausbildungsberechtigte Betriebe nicht (mehr) ausbilden. Dann schon eher daran, dass der vorhandene Meister, um Personalkosten zu sparen, zu sehr ins Tagesgeschäft eingebunden ist. Wenn er seine volle Arbeitskraft im operativen Geschäft einbringen muss, fehlt natürlich die Zeit für eher strategisch ausgerichtete Aufgaben wie Ausbildung.“ Ein Meister aus dem Ruhrgebiet, der seinen Namen nicht in der Presse lesen will, sagt: „Ich will nie wieder einen Auszubildenden. Der letzte hat mich den letzten Nerv gekostet. Ich bin froh, dass ich den durch die Prüfung habe.“ Reifenfachhändler Bernd Folgmann aus Mülheim an der Ruhr bildet zurzeit noch einen Mechaniker für Reifen- und Vulkanisationstechnik aus. Er sagt: „Es wird schwieriger an gute Auszubildende zu kommen.“ Woran es läge, könne er nicht genau einordnen: „Vielleicht liegt es an der Generation heute oder aber dran, dass die Leute die diesen Beruf lernen wollen, einfach so sind.“ Folgmann würde seine Auszubildenden über das Jobcenter der Agentur für Arbeit suchen.

Das Marketing zur Personalgewinnung hat sich verändert

Personalerin Christiane Etscheid von Pneuhage

Christiane Etscheid von Pneuhage

Die Nachfrage bei größeren Unternehmen im Reifenhandel ergibt ein anderes Bild. Pneuhage etwa bildet zurzeit 60 Mechaniker für Reifen- und Vulkanisationstechnik in drei Lehrjahren aus. Und damit einen großen Anteil der bundesweit beschulten 259 Azubis in diesem Ausbildungsberuf. Insgesamt werden 180 junge Menschen bei Pneuhage in 14 verschiedenen Berufen ausgebildet. Die Hälfte der Auszubildenden erlerne einen handwerklichen Beruf. Auch in 2017 seien wieder zwischen 75 und 85 neue Lehrstellen im Unternehmen zu besetzen. „Wir bilden grundsätzlich nur so viele Jugendliche aus, wie wir anschließend auch eine Perspektive im Unternehmen bieten können“, so Personalerin Christiane Etscheid. Im Jahr 2016 hätte es eine Übernahmequote von 85 Prozent gegeben. „Wir sehen eine hohe Ausbildungsquote und zielorientierte Weiterbildung als Investition zur Zukunftssicherung des Unternehmens“, so Christiane Etscheid.

Bisher habe das Unternehmen seine angebotenen Ausbildungsstellen besetzen können. Das liegt sicher auch am Ausbildungsmarketing: Ausbildungsmessen, Schulpatenschaften, Schnuppertage und Praktika. „Wir ermöglichen jungen Menschen, die etwa durch schlechte Schulnoten keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, eine sogenannte Einstiegsqualifizierung in Kooperation mit der Agentur für Arbeit. Die Praktikanten haben so die Möglichkeit, den angestrebten Beruf in der Praxis kennenzulernen. Sie dürfen auch die Berufsschule besuchen. Zeigen sie gute Leistung und entscheiden sie sich für den Beruf, können sie sich diese Zeit sogar als Ausbildungszeit anrechnen lassen.“ Fest steht auch bei Pneuhage: Die Auszubildenden hätten sich in den vergangenen Jahren geändert. Jede Generation werde von der Zeit geprägt, in der sie groß werde. Und die aktuell in der Ausbildung befindliche Generation, sei durch das digitale Zeitalter geprägt. Man solle aber vorsichtig sein, die Generation über einen Kamm zu scheren, heißt es aus dem Unternehmen.

Junge Menschen sind selbstständiger und erwarten mehr vom Betrieb

Ausbildung Reiff-Gruppe Schmalacker klein

Reiff-Ausbildungsleiterin Gabriele Schmalacker

In der Reifensparte der Reiff-Gruppe wird in sieben verschiedenen Berufen ausgebildet. Jedes Jahr starten zwischen 20 und 30 junge Menschen ins Berufsleben am Hauptsitz des Unternehmens in Reutlingen oder an anderen Standorten in Sachsen, Rheinland Pfalz oder Brandenburg. „Bei uns hat die Ausbildung eine ganz große Bedeutung. Sie ist schon jahrzehntelang ein fester Bestandteil in unserer Personalpolitik“, so Ausbildungsleiterin Gabriele Schmalacker. Drei Mitarbeiter des Unternehmens planen und organisieren alles rund um das Thema Ausbildung. „Wir sind Ansprechpartner vom Recruiting bis zur Übernahme“, so Schmalacker. In den vergangenen Jahren hätte sich das Marketing in diesem Bereich stark gewandelt. „Es wird schwieriger gute Auszubildende zuf finden“, so die Personalerin. Fest steht auch: „Ein Ausbildungsplatz im Bereich Groß- und Außenhandel sei einfacher, zu besetzen, als etwa einer im Bereich Einzelhandel oder als Kfz-Mechatroniker.“ Seit Jahren setze auch Reiff aus Schulkooperationen. Mit sieben Schulen gäbe es feste Verträge. Im aktuellen Schuljahr würden 40 Veranstaltungen in diesem Bereich organisiert. Sie reichen vom Kompaktkurs mit Telefontraining, Bewerbungs- und Ausbildungsknigge über Online-Bewerbungsschulungen bis in zu Betriebsbesichtigungen mit Praxisbezug. Zudem würden Ausbildungsmessen besucht, in 2017 seien es 17. Auch Speed-Dating-Termine auf den Messen und in den Schulen würden gut angenommen werden. Die Schüler hätten sich in den vergangenen Jahren verändert. „Wir stellen fest, dass die jungen Leute heute offener und selbstständiger geworden sind und auch mehr IT-Kenntnisse mitbringen“, so Schmalacker. Die Bewerber hätten zudem höhere Erwartungen an den Betrieb und suchten oft wohnortsnah einen Ausbildungsplatz und fragen bereits im Vorstellungsgespräch nach Weiterbildungsmöglichkeiten nach der Ausbildung. Zudem habe sich das Alter der Bewerber erhöht, „oft möchten die Jugendlichen noch eine weiterführende Schule besuchen, bevor mit einer Ausbildung begonnen wird“, so Schmalacker. Reiff habe eine Übernahmequote von 90 Prozent. Das läge sicher daran, „dass wir ein sehr gutes Ausbildungskonzept bieten, an der Betreuung und Qualifizierung der Auszubildenden und an den guten Übernahme- und Weiterbildungsmöglichkeiten.“

Bei Pneuhage seien in der Vergangenheit auch schon einige Flüchtlinge ausgebildet worden. Auch aktuell befände sich ein geflüchteter junger Mann in der Ausbildung. „Wir können sagen, dass es klappt, wenn der Auszubildende sich selbst engagiert, um die Sprache schnell zu lernen“, so Christiane Etscheid. Generell würde das Unternehmen auch mehr Flüchtlingen eine Chance geben, „die Sprache ist aber eine wichtige Voraussetzung, um jemanden etwas zu vermitteln“. Und hier fehle es noch an schulischen Angeboten.

christine.schoenfeld@reifenpresse.de

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