Wie verändert Contis Bandvulc-Übernahme die (britische) Runderneuerung?

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Als am 4. Juli der Unabhängigkeitstag in den USA gefeiert wurde, hat die Continental Tyre Group – britische Tochter der Continental AG – bekannt gegeben, mit dem auf der Insel ansässigen Unternehmen Bandvulc (B.V. Environmental Ltd.) einen der beiden letzten im dortigen Markt verbliebenen unabhängigen Runderneuerer nennenswerter Bedeutung zu übernehmen. Rein rechtlich wird damit aus Bandvulc eine 100-prozentige Tochtergesellschaft der Continental UK Group Holdings Limited, wobei das bisherige Managementteam auch weiterhin die Geschäfte des Runderneuerers führen soll. Dennoch zieht eine solche Akquisition zwangsläufig viele strategische und praktische Fragen nach sich. Darüber hinaus wirft der konkrete Zeitpunkt des Deals weniger als zwei Wochen nach dem „Brexit“-Votum der Briten, bei dem sie sich gegen den Verbleib in der EU ausgesprochen haben, die Frage nach danach auf, wie sich das Abstimmungsergebnis auswirken könnte. Die Kollegen unseres englischen Schwestermagazins TYRES & ACCESSORIES haben sich jedenfalls einige Gedanken dazu gemacht, was diese Akquisition an Folgen für das britische, aber auch das europäische Lkw-Reifen- und Runderneuerungsgeschäft nach sich ziehen könnte.

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass sich durch Contis Bandvulc-Akquisition Großbritanniens Reifenrunderneuerungslandschaft unbestreitbar verändert hat. Vor dem 4. Juli gab es auf der Insel eine Reihe unabhängiger Lkw-Reifenrunderneuerer inklusiver zweier, die durch ihre Größe besonders hervorstachen und allein schon deswegen so manche größere Flotte zu ihren Kunden zählen konnten und zudem in weiteren Geschäftsfeldern aktiv waren. Aber die beiden Firmen – Vacu-Lug und eben Bandvulc – betreuten nicht nur große und meist sehr professionell aufgestellte Fuhrparks, sondern sie waren außerdem die beiden einzigen unabhängigen Runderneuerer, die mehr oder weniger auf Augenhöhe mit der herstellereigenen Werkrunderneuerung operieren konnten. Während sich das Goodyear-Runderneuerungswerk Wolverhampton derzeit in einem auf eine Dauer von zwei Jahren angelegten Schließungsprozess befindet, können Bridgestone mit dem Bulldog-Werk in Bourne/Lincolnshire und seinem Bandag-Franchisenetzwerk sowie Michelin mit dem sehr modernen und weitgehend automatisierten Standort in Stoke-on-Trent in Sachen Werkserneuerung als die aktuell maßgeblichen Spieler im britischen Markt bezeichnet werden.

Aus der Übernahme folgt insofern einerseits unmittelbar, dass nun Vacu-Lug die Rolle als führender unabhängiger Runderneuerer des Landes innehat – sowohl was die Größe betrifft als auch in Bezug auf die Zahl der Flottenkontrakte. Andererseits hat die Position der unabhängigen Runderneuerer als Ganzes im britischen Markt durch den Deal eine deutliche Schwächung erfahren. Des Weiteren verschieben sich die Marktanteile im Lkw-Reifengeschäft und insbesondere in Bezug auf das mit Flotten wohl um einiges zugunsten von Continental (mehr dazu später). Zugleich geschieht das Ganze zu einer Zeit, in der sich der gesamte Runderneuerungsmarkt einem hohen Druck durch billige Lkw-Reifenimporte oftmals niedriger Qualität ausgesetzt sieht. Wenngleich nach einer Reihe von Gesprächen mit Reifenherstellern und -importeuren in diesem Frühjahr einige Produzenten aus dem Reich der Mitte damit begonnen haben, ihre Verkaufspreise zu erhöhen, haben weiter sinkende Rohmaterialkosten zusammen mit einigen wirtschaftlichen Turbulenzen im chinesischen Reifenmarkt selbst letztlich jedoch dazu geführt, dass das Preisniveau inzwischen bestenfalls als stabil bezeichnet werden kann, aber wohl doch eher weiter sinkt. Damit sehen sich Runderneuerer nach wie vor damit konfrontiert, qualitativ hochwertige Produkte herzustellen, die schlicht und einfach nicht zu den unglaublich günstigen – soll heißen: wohl unter den Gestehungskosten liegenden – Preisen verkauft werden können, die einige der chinesischen Neureifenproduzenten für ihre Ware aufrufen.

Hinzu kommt noch das politische Umfeld, zumal die Conti-Übernahme Bandvulcs nicht einmal zwei Wochen nach besagtem „Brexit“-Votum bekannt wurde. Dessen Ausgang ist als besonders schlechte Nachricht für die britische Runderneuerung aufzufassen. Denn unter anderem in mögliche Antidumpingmaßnahmen der EU hat die Branche auf der Insel große Hoffnungen im Kampf gegen die chinesischen Billigimporte gesetzt. Kalkül des britischen Runderneuerungsverbandes RMA (Retread Manufacturers Association) war es, gemeinsam mit dem europäischen Dachverband BIPAVER (Bureau International Permanent des Associates de Vendeurs et Rechapeurs de Pneumatiques) durch entsprechende Lobbyarbeit die Europaparlamentarier von der Notwendigkeit entsprechender Schritte zu überzeugen. Da die neue britische Premierministerin Theresa May aber offensichtlich gewillt ist, den „Brexit” tatsächlich durchzuziehen, sind die entsprechenden Pläne nun wohl Makulatur. Insofern dürfte der Druck auf die britische Runderneuerung nach dem EU-Austritt des Landes nur noch weiter steigen, da sich die Branche auf der Insel dann nur noch selbst bzw. ohne starken Partner an seiner Seite verteidigen kann.

Marktanteile in der Lkw-Reifen- und damit Runderneuerungslandschaft verändern sich

Sicher wird all dies unausweichlich deutliche Auswirkungen auf die Marktanteile im Nutzfahrzeugreifengeschäft haben und damit auch auf diejenigen der Runderneuerer. Als weiterer Effekt der Veränderungen im Markt könnte die Zahl der für die Runderneuerung verfügbaren Karkassen sinken. Allerdings ist es derzeit noch zu früh, um beurteilen zu können, ob das eine realistische Annahme bzw. ein wahrscheinliches Szenario ist oder schlich und einfach nur eine unbegründete Befürchtung. Wichtig festzuhalten ist jedoch, dass Conti über Bandvulcs Stärke im Flottenmanagement, als Servicedienstleister und unabhängiger Runderneuerer seinen eigenen Marktanteil ganz sicher wird steigern können. In welchem Ausmaß ist jedoch schwierig abzuschätzen. Zumal die Bandvulc-Flottenkontrakte die Belieferung der Fuhrparks auch mit anderen Marken als nur allein Conti beinhalten sowie außerdem noch die mit unter dem eigenen Markennamen runderneuerten Reifen. Von Letzteren kann Bandvulc bei Vollauslastung seines Werkes immerhin so um die 200.000 Stück pro Jahr herstellen.

Zudem ist bekannt, dass Bandvulc in Sachen Kundengewinnung im Flottengeschäft vor allem mit Blick auf die Fuhrparks führender Supermarktketten recht erfolgreich gewesen ist. Tatsächlich wurden 2013 demnach 70 Prozent aller britischen Lebensmittelgeschäfte mit Fahrzeugen beliefert, die auf Bandvulc-Reifen rollen. Klar, dass es seither sicherlich eine leichte Veränderung dieses Anteils gegeben haben mag, doch allein in der ersten Jahreshälfte 2016 hat das Unternehmen eigenen Angaben zufolge auch einige wichtige neue Flottenkunden für sich als Kunden gewinnen können wie etwa Dawsonrental, wo man sich Ende Juni zu einem Vierjahresvertrag mit Bandvulc entschieden hat. Zum Fuhrpark dieser Firma gehören dem Vernehmen nach nicht weniger als 11.000 Lastwagen und Trailer. Insofern hat sich Conti durch die Übernahme ein weiteres Stück vom so wichtigen „Kuchen“ rund ums Flottengeschäft gesichert. Das ist umso mehr von Bedeutung mit Blick auf das rasante Wachstum, das Hankook im Flottensegment hingelegt hat, oder Goodyears Anstrengungen, sich wieder verstärkt um große Nutzfahrzeugfuhrparks zu kümmern.

Ein paar Jahre zurückblickend konnte Continental 2009 einen Marktanteil im britischen Nutzfahrzeugreifenersatzgeschäft von bis zu 15 Prozent für sich reklamieren, was in einem entsprechenden Ranking dem vierten Platz für den deutschen Hersteller entsprach. Damit konnte man damals sogar an Goodyear vorbeiziehen, weil man zu dieser Zeit dort zahlreichen unprofitablen Flottenkunden den Rücken gekehrt hatte. Zwischen 2009 und 2014 ist der Markt dann allerdings insgesamt gewachsen und hat Hankook Marktanteilsgewinne verzeichnen können, sodass Conti letztlich nie den Sprung unter die ersten Drei geschafft hat – eine Position, die man nach Auffassung von Unternehmensvertretern aufgrund der eigenen Produkte und Service gleichwohl verdient hätte. Im Gegenteil musste man Marktanteilsverluste hinnehmen, während der Gesamtmarkt in Großbritannien nach der Finanzkrise gleichzeitig wieder auf ungefähr 1,4 Millionen Einheiten im Jahr anwuchs. Bei neun Prozent soll der Conti-Martanteil 2014 im britischen Nutzfahrzeugreifenersatzgeschäft gelegen haben, der sich vergangenes Jahr dann noch weiter verringerte auf der Position fünf im Market entsprechende sieben Prozent.

 

Damit liegt man sowohl was den Prozentwert angeht als auch mit Blick auf das Ranking hinter dem Vergleichswert von neun Prozent sowie dem vierten Platz zurück, die Conti im europäischen Durchschnitt im Lkw-Reifenersatzmarkt für sich reklamieren kann. Dies hat viel mit dem schnellen Hankook-Wachstum während der jüngeren Vergangenheit in diesem Marktsegment in Großbritannien zu tun. Was dem Wettbewerber aus Südkorea bisher jedoch nicht gelang, ist die Etablierung eines gut integrierten Runderneuerungsprogrammes im großen Stile. Insofern mögen die Volumina an Hankook-Reifen hoch gewesen sein, aber einen von gerade den größeren Flotten nachgefragten Mehr-Leben-Ansatz gab es bisher nicht. Folglich verharrt der Hankook-Marktanteil derzeit auf dem zwischenzeitlich erreichten Niveau. Und was für diesen Hersteller eine Herausforderung ist, stellt sich für Conti auf der anderen Seite als Chance dar. Durch den Bandvulc-Kauf und dadurch, schon ein gut integriertes Runderneuerungsprogramm sein Eigen nennen zu können, hat das deutsche Unternehmen seinen vierten Rang mit einem Marktanteil im zweistelligen Prozentbereich wieder zurückerobern können im britischen Lkw-Reifenersatzgeschäft.

Mit dem Deal sind außerdem strategische Vorteile verbunden. Durch das Bandvulc-Werk kann Conti Kunden auf der Insel nämlich schneller und nicht zuletzt „grüner“, also umweltschonender beliefern, als wenn die Reifen in Stöcken produziert und dann erst in den britischen Markt zurücktransportiert werden müssten. Des Weiteren ist das Unternehmen so besser geschützt vor rechtlichen Änderungen, Wechselkursschwankungen oder Transportproblemen als mögliche Folgen nach einem umgesetzten „Brexit“. Schließlich meinte auch Greg Ward von Bridgestone schon vor einigen Monaten, dass ein in Großbritannien angesiedeltes Runderneuerungswerk durchaus einige Vorteile mit sich bringen kann – augenscheinlich sieht man die Sache bei Conti genauso. Mit Blick auf die Rationalisierung der Logistik ergeben sich auf europäischer Seite ebenfalls Vorteile durch Synergien. Bandvulc liefert seine Produkte derzeit hauptsächlich in drei deutsche Städte. Die Reifen des Runderneuerers demnach kommen an Müllfahrzeugen in Berlin, Hamburg und München zum Einsatz. Zukünftig könnte Conti die dortigen Kunden direkt beliefern, was schneller ginge, Kosten einsparte und die Umweltbilanz verbesserte. Zudem würde auch im deutschen Markt die Position des Herstellers von alldem profitieren.

25 Jahre Zusammenarbeit zwischen Conti und Bandvulc

Mit mehr als 40 Jahren Erfahrung in Sachen Heißrunderneuerung und Karkassenmanagement hat Bandvulc schon seit mehr als 25 Jahren mehr oder weniger eng mit Continental Tyres zusammengearbeitet. Und das britische Produktionswerk in Ivybridge wird auch weiterhin Runderneuerte der Marken ContiRe und Bandvulc fertigen, wobei aber zusätzliche Investitionen in ein verbreitertes Angebot an auf der Insel hergestellten ContiRe-Runderneuerungen offenbar bereits in Planung sind. Beide Seiten versprechen sich von dem Deal jedenfalls Vorteile: Conti durch einen hinzugewonnenen lokalen Produktionsstandort im britischen Markt und Bandvulc in Form eines möglichen Wachstums auf Basis des globalen Kunden- und Kundennetzwerkes seines neuen Eigners. „Diese Partnerschaft ist der nächste logische Schritt mit Blick auf die auf Arbeitsebene seit vielen Jahren bereits bestehende enge Partnerschaft mit Bandvulc. Unsere komplementären Kundenportfolios und Produktlinien ergänzen sich in den jeweiligen Bereichen, sodass sich aufgrund der bisher nur geringen Überschneidungen umfassende Wachstumschancen bieten“, ist sich David Smith, Geschäftsführer der Continental Tyre Group, sicher.

Man beabsichtige, die Geschäfte beider Partner auch zukünftig mehr oder weniger unverändert fortzuführen, und das gesamte Bandvulc-Management werde ebenfalls im Unternehmen verbleiben inklusive des derzeitigen Geschäftsführers Patrick O’Connell, wie Smith ergänzt. O’Connell fügt dem hinzu, dass man nach einer schon mehr als 25 Jahre andauernden Zusammenarbeit mit dem Unternehmen überzeugt sei, dass sich Bandvulc durch die Conti-Übernahme die besten Voraussetzungen für ein zukünftiges stetiges Wachstum böten. „Darüber hinaus fühlen wir, dass die Kulturen und Strategien beider Firmen sehr gut zueinanderpassen und klare Synergien bieten, um uns in einer gemeinsamen Struktur fortentwickeln zu können“, meint er. Zwar ist für unsere Kollegen von TYRES & ACCESSORIES niemand seitens Continental für ein Interview in Sachen der Bandvulc-Übernahme verfügbar gewesen. Aber dennoch dürfte auch so klar geworden sein, dass der Deal auf der einen Seite dem deutschen Reifenhersteller einen besseren Zugang zum britischen Flottenmarkt eröffnet und auf der anderen Seite Bandvulc damit in einer für Runderneuerer nicht einfachen Zeit einen Weg gefunden hat, seine Zukunft längerfristig abzusichern. chris.anthony@tyrepress.com/cm

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