BRV-Verbandstagung: Die Branche kennt sich auch mit ihren Macken

Und auch die 30. Mitgliederversammlung des Bundesverbandes Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk e.V. war wieder ein Selbstläufer. Am Messevortag erklang im Foyer des Congress Center Süd überall ein freundliches Hallo. Die Branche kennt sich halt. Und das auch mit ihren Macken. In der Podiumsdiskussion sorgte die ein oder andere Aussage der vier geladenen Teilnehmer für Zündstoff. Vor allem bei den Händlern.

Die Lage der Branche kennen die zahlreich erschienenen Teilnehmer am Verbandstreffen. Jeder von seiner Seite. Und darum stieß die Grundsatzrede vom BRV-Vorsitzenden Peter Hülzer auf offene Ohren. Denn er kennt die Positionen der Händler und Industrievertreter gleichermaßen. Wobei das Verhältnis von Händlern und Industrievertretern sich im Congress Centrum an diesem Nachmittag zuungunsten der Händler verschoben hatte.

Wie erwartet wurden auch 2015 wieder weniger Reifen verkauft. Damit setze sich der Trend fort. „Wir können damit nicht zufrieden sein, aber insgesamt ist es besser, als wir im Jahresverlauf zeitweise befürchtet haben“, resümiert Hülzer. Insgesamt seien 2015 gut 52,1 Millionen Fahrzeugreifen im deutschen Reifenersatzgeschäft von allen beteiligten Distributionskanälen verkauft worden. Hülzer: „Es gelingt leider immer weniger, positive Rahmenbedingungen wie zum Beispiel steigende Fahrzeugneuzulassungen in höhere Reifenabsätze umzusetzen.“ Denn gegen positive Parameter wirke ein negativer Trend, der sich aus schwach ausgeprägter Kauflaune, niedriger Wertschätzung für Reifen und Produktverbesserung bei der Laufleistung  zusammensetze.

Bei der Betrachtung nach Produktsegmenten zeige sich, dass im stückzahlmäßig größten Segment Pkw-Reifen der Absatzrückgang mit durchschnittlich zwei Prozent am höchsten war. Einen besonders hohen Anteil hätten die Pkw-Winterreifen verloren. Hier wären etwa 3,3 Prozent weniger verkauft worden als im Vorjahr. Der Verkauf von Off-Road-Reifen hingegen hätte sich positiver entwickelt, als erwartet. Hier wurden knapp 13 Prozent mehr Reifen verkauft als in 2014.

2,66 Millionen Lkw-Reifen wurden in 2015 verkauft. Einem Plus von 2,3 Prozent Lkw-Neureifen stand ein Minus von 8,4 Prozent bei den runderneuerten Lkw-Reifen gegenüber. „Hier zeigt sich deutlich, unter welchem Druck speziell die Lkw-Reifenerneuerer durch die boomenden Importe billiger Neureifen aus China stehen“, so Hülzer. Nach Angaben der europäischen Statistikbehörde Eurostat kamen im vergangenen Jahr rund zwölf Prozent mehr Lkw-Reifen in die EU und etwa 14 Prozent mehr nach Deutschland. Runderneuerte Reifen machten im Lkw-Segment nur noch knapp ein Drittel aus, Neureifen gut zwei Drittel. Hülzer: „Und für 2016 rechnen wir mit einem Stückzahlverlust Runderneuerter mit gut zehn Prozent.“ Denn nicht nur China-Importe würden der Produktgruppe weiter zu schaffen machen, sondern mit dem Inkrafttreten der De-minimis-Förderrichtlinie 2016 hätten die vorwiegend mittelständischen Unternehmen der Runderneuerungsbrache ein neues, großes Problem. Hülzer mahnt: „Runderneuerte Lkw-Reifen scheinen nämlich im Gegensatz zu Neureifen seit Januar nicht mehr förderfähig, die Nachfrage ist infolgedessen stark eingebrochen und die Lage für zahlreiche Runderneuerer existenzbedrohend.“ Der BRV-Vorstand habe sich auf folgende Maßnahmen verständigt. „Zum einen sind wir Treiber eines von der Organisation der europäischen Runderneuerungsverbände Bipaver zu stellenden Antrags auf Einleitung eines EU-Antidumpingverfahrens gegen billige chinesische Neureifen und zum anderen wird durch insbesondere politische Lobbyarbeit versucht, die Förderrichtlinie des Jahres 2017 im Sinne der Runderneuerungsbranche zu beeinflussen.“

Der Verbandsvorsitzende gab auch eine Prognose auf das Geschäftsjahr 2016. Er rechne mit einem Absatzplus von 2,3 Prozent bei den Pkw-Reifen, mit 8,7 Prozent bei den Off-Road-Reifen und 2,9 Prozent bei den Leicht-Lkw-Reifen. Die Lkw-Reifen-Absatzzahlen würden sinken. Er rechnet mit einem Minus von über zehn Prozent bei den runderneuerten Lkw-Reifen.

BRV - Ausblick - klein

Ein Jahresbetriebsvergleich von 850 teilnehmenden Outlets hat gezeigt, dass sich der Umsatz und der Ertrag im Reifenfachhandel in 2015 besser entwickelt haben als der Stückabsatz. „Der Gesamtumsatz stieg im Durchschnitt um 1,7 Prozent im Vergleich zu 2014.  Das Umsatzminus von 0,2 Prozent bei den Reifenverkäufen konnte durch das Umsatzplus von etwa 3,5 Prozent mit Reifenservice-Dienstleistungen kompensiert werden.“ Erkennbar sei die Konzentration vieler Händler auf das Geschäftsfeld Autoservice. Hier wäre der Umsatz (Lohn und Ersatzteile) mit einem Plus von knapp zehn Prozent weiter stark ausgebaut worden. Dennoch hätten die Betriebe im Durchschnitt nur ein Unternehmensergebnis von plus 0,3 Prozent erreicht und sei zwar eine Verbesserung zum Vorjahr erfolgt, aber sicherlich zu wenig Rendite für die Weiterentwicklung der Händler und für Investitionen.

Hülzer bringt es auf den Punkt: „Wir befinden uns seit Jahren in einem gnadenlosen Verdrängungswettbewerb. Auch in der Zusammenarbeit mit der Industrie gibt es zahlreiche Ungereimtheiten, wie etwa die nicht nachvollziehbare Preis- und Distributionspolitik, bei der der Konsumentenpreis im Internet mittlerweile auf Fachhändler-Einkaufsniveau liegt oder sogar darunter. Wir haben da ganz bestimmt fundamentale Herausforderungen zu bewältigen.“ Um langfristig erfolgreich am Markt zu agieren, rät er seinen Verbandskollegen: „Wir müssen Autofahrern aus einer Hand neben einem breiten, hochwertigen Portfolio und einem kompetenten Reifen-, Räder- und Kfz-Service zusätzliche weitere kundenorientierte Angebote bieten.“ In diesem Ansatz müsse bei den Mitarbeitern die fachliche und kommunikative Kompetenz gefördert, auf optimierte Prozessabläufe sowie die ansprechende Optik der Geschäftsräume geachtet und eine starke Preisdisziplin gelebt werden. Hülzer: „Darüber hinaus ist eine professionelle, intensive Markenkommunikation unabdingbar.“ Zum Abschluss zitiert er den Vorstandsvorsitzenden von Daimler Dr. Dieter Zetsche: „Wandel ist unvermeidlich. Da ist es am besten, sich an die Spitze zu setzen.“

Auch in der anschließenden Podiumsdiskussion mit der Frage „Quo vadis, Reifenfachhandel?“ wurden die Thesen von Hülzer noch einmal unterstrichen. Wolfgang Thomale, Leiter Marketing & Vertrieb Pkw-Reifen Ersatzgeschäft bei der  Continental Reifen Deutschland GmbH, plädiert für eine kontinuierliche Performanceverbesserung der Produkte: „Wir müssen die Kundenanforderung erkennen und dann auch erfüllen. Nur so können wir langfristig erfolgreich sein.“ Unterstützt wird er in dieser These von Jürgen Titz, Group Managing Direktor bei Goodyear Dunlop Tires Germany GmbH. Titz betont: „Eine qualitativ hochwertige Vermarktung in gelebter Partnerschaft ist ein wesentlicher Schlüssel und damit eine Voraussetzung für nachhaltigen Unternehmenserfolg.“ Auch Andreas Penkert, Geschäftsführer Marketing & Vertieb Pirelli Deutschland GmbH, plädiert für Partnerschaft und Vertrauen.  Anish Taneja, Direktor Vertrieb Michelin Reifenwerke, ergänzt: „Der Wettbewerbsdruck durch Vertragswerkstätten und B2C-Portale steigt. Wir müssen uns hundertprozentig auf unsere Kunden fokussieren. Wir müssen Veränderung auf dem Markt als unsere Chance sehen und in unseren Vorteil verwandeln. Zudem müssen wir die Digitalisierung für unser Geschäft aktiv mitgestalten.“Die Äußerung Tanejas über die von ihm vermisste und doch so wichtige Ehrlichkeit der Hersteller und Reifenhändler stößt im Publikum nicht unbedingt auf Gegenliebe. Gerade Michelin solle diese Worte in diesem Zusammenhang nicht in den Mund nehmen, heißt es von einem Reifenhänder aus dem Saal, der die enge Zusammenarbeit von Michelin und Euromaster ankreidet.

v.l. Jürgen Titz (Goodyear), Hannes Brachat (Professor für Automobilwirtschaft), Andreas Penkert (Pirelli) und Anish Taneja (Michelin) bei der Podiumsdiskussion

v.l. Jürgen Titz (Goodyear), Hannes Brachat (Professor für Automobilwirtschaft), Andreas Penkert (Pirelli) und Anish Taneja (Michelin) bei der Podiumsdiskussion

Moderator Hannes Brachat, Professor für Automobilwirtschaft an der Fachhochschule für Wirtschaft und Umwelt in Geislingen, fasste die Diskussion folgendermaßen zusammen: „Wir sollten uns alle fragen, ob das Produkt, was wir heute handeln, morgen noch gefragt ist. Zudem muss der stationäre Handel und der Onlinehandel noch weiter zusammenwachsen und vor allem kreativer gestaltet werden.“ Wichtig ist Brachat: „Die Größe eines Reifenfachhändlers ist kein Maßstab für seinen Erfolg. Ich kenne zahlreiche kleine Unternehmen, die ein so gutes Geschäft machen. Die kennen jeden Kunden, hier spielt die persönliche Beziehung eine entscheidene Rolle.“

Und zum Abschluss gibt er den Verbandsmitgliedern mit auf den Weg: „Sorgen sie jeden Tag für gute Stimmung in Ihrem Unternehmen. Jeder Kunde merkt, ob die Mitarbeiter gut drauf sind oder nicht. Und es kauft jeder lieber dort, wo die Stimmung gut ist.“     christine.schoenfeld@reifenpresse.de

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