Das Auto – Nichts ist unmöglich in Wolfsburg

Mit Leichenbittermiene gestand Professor Doktor Martin Winterkorn – da war er noch Konzernchef – ein unglaubliches Schurkenstück aus dem Hause VW. Es tue ihm leid, so unendlich leid, dass VW nunmehr in einem fürchterlichen Licht erscheine. Und er entschuldigte sich zugleich bei den Kunden, den Lieferanten und Behörden. Und er vergaß auch nicht, die rund 600.000 Volkswagen-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in aller Welt zu erwähnen und zu bedauern, die das nicht verdient hätten.

Die Überwindung der größten Volkswagen-Krise aller Zeiten erfordert Milliardenzahlungen. Völlig unklar ist es immer noch, ob dazu 20 Milliarden reichen oder ob es letztlich um 50 Milliarden Euro geht. Klar dürfte nur sein, dass auch in dieser Krise, wie in allen Firmenkrisen oder politischen Krisen, die einfachen Leute die Leidtragenden sein werden. Sie haben es zwar nicht verdient, müssen aber doch für Missmanagement und Misswirtschaft zahlen. So ist klar, dass Beförderungen für das nächste Jahr ein Tabu sein werden. An die 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – vorzugsweise „nur“ die Aushilfskräfte – bangen um ihren Job, nachdem sie teils jahrelang bei Volkswagen schon ein- und ausgehen und dennoch Mitarbeiter zweiter Klasse, eben Leiharbeiter, geblieben sind. Auch ihnen soll Kurzarbeit nun möglich gemacht werden dadurch, dass der Staat einspringt und Belastungen abfedert und sie so vor einem Desaster bewahrt. Immobilienbesitzer könnten sonst ganz schnell ihr Haus verlieren oder ihre mühsam zusammengesparten Altersrücklagen durch den Schornstein jagen. Der mit Niedersachsen verbandelte Wirtschaftsminister „Siggi“ Gabriel kann Arbeitslose vor seiner Haustür schlecht brauchen, und auch er weiß allzu gut, dass die einfachen Leute niemals verdient haben, die Suppe auslöffeln zu müssen, die ihnen eine – vermeintliche – Elite eingebrockt hat.

Ja, wie verhält es sich mit der Elite des Hauses? Mit den Spitzenverdienern? Den Vorständen und Generalbevollmächtigten? Was haben Sie verdient? Jedenfalls haben sie schrecklich viel Geld bekommen Jahr für Jahr, das sich im Sinne des Wortes nicht verdienen lässt. Und sie haben es nicht nur wie selbstverständlich entgegengenommen, sondern glauben vermutlich bis zum heutigen Tag in eklatanter Selbstüberschätzung, dieses Salär auch tatsächlich wert zu sein. Die Schaubilder zu diesem Beitrag zeigen, was Winterkorn einstrich und dass der Vorstand unter Führung Winterkorns bekommen hat, was im wortwörtlichen Sinn nicht zu verdienen ist.

 

Noch im gesamten letzten Jahrhundert bis zur Jahrtausendwende galt die Formel, dass Vorstände so etwa das 20-Fache eines Durchschnittseinkommens ihrer Belegschaftsmitglieder erhalten sollten. Sie war auch nicht meilenweit entfernt jeglicher Realität. Klar, es gab Ausreißer, aber im Großen und Ganzen stimmte die Richtung. Leute wie Cromme (ThyssenKrupp/Siemens) oder Fehrenbach (Bosch) haben sich noch zu Beginn des neuen Jahrtausends zu Fehlentwicklungen geäußert und eine Richtung dahin gehend vorgeben wollen, dass ein Vorstandsgehalt zwei Millionen Euro nicht weit überschreiten sollte. Dr. Jürgen Heraeus (viele Jahre Chef des Heraeus-Konzerns) formulierte es einsichtig sinngemäß so: Wer fünf Millionen Euro im Jahr verdiene, habe keine ausreichende Zeit mehr, seine Arbeit zu tun, weil er sich um sein eigenes Vermögen kümmern müsse.

Geld ist ein Gaukler: Es täuscht Wichtigkeit, Fähigkeit, Cleverness, sagenhaftes Können vor. Wie so häufig hilft auch hier der Glaube. Wer 17 Millionen Euro als Vorstandsvorsitzender und sechs Millionen als „einfaches“ Vorstandsmitglied einstreicht, das zudem Jahr für Jahr, der muss doch was wert sein. Der muss doch die genialen Geistesblitze haben, die anderen nicht vergönnt sind. Und wenn es andere glauben, dann werden doch die Geldeinstreicher nicht an sich selbst zweifeln. Mitnichten – denn man hat es mit großen Egos zu tun. Die Gefahr, dass die so obszön versorgten Führungsschichten irgendwann meinen, über Wasser laufen zu können, ist nicht von der Hand zu weisen. Gleichzeitig haben Klima und Kultur Voraussetzungen gefunden zur Schaffung eines idealen Nährbodens für Mauschler, Schmeichler, „Radfahrer“ und Blender. Wie das?

Die Herren im Vorstand leben ihre Visionen vor, sie leben sie aus. Sie träumen von Machbarkeiten und setzen ihre ehrgeizigen Ziele. Sie machen nach unten klar, was sie wollen, zu welchen Bedingungen sie es wollen und zu welchen Preisen es sich abzuspielen hat. Was der Markt, der Wettbewerb möglich machen sollte, möchten die Vorstände im Vorbeigehen bestimmen. Wer als kleiner Abteilungsleiter weiß, was die Herren „da oben“ wollen, tut gut daran, deren Vorstellungen nahe zu sein. Ist ein Projekt von den Ansprüchen entfernt, sei es auch aus besten und bestens nachvollziehbaren Gründen, wird der Projektleiter beauftragt, nochmals nachzulegen, nachzurechnen für ein besseres Ergebnis, weil sein Abteilungsdirektor allzu gut weiß, es sonst den Herren im Vorstand nicht präsentieren zu dürfen. Zumindest dann, wenn er auf der Karriereleiter noch die eine oder andere Sprosse erklimmen möchte.

In einem solchen Klima entstehen Messungen und Ergebnisse auf dem Papier, die sich in der Realität nicht wiederfinden. Aber man kann ja mal so tun als ob. Kommt Zeit, kommt Rat. Und im Übrigen ist doch allgemein bekannt, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. VW-typisch ist das alles ohnehin nicht. So verkauft Airbus gerade in diesen Tagen Helikopter an die Marine, ohne bisher über die erforderlichen Triebwerke zu verfügen. Bis zum Tag der Auslieferung, so die Hoffnung, werden diese schon verfügbar sein. Bis dahin darf der Heli dennoch fliegen, aus Sicherheitsgründen bloß nicht über Wasser. Kein Problem für die Marine. Wer lacht denn da?

 

Die VW-Unternehmenskultur hat Thomas Sattelberger (Ex-Personalvorstand bei Continental und der Telekom) im Manager-Magazin elegant in knappen Worten zusammengefasst. Er beschreibt Winterkorn als „machiavellistischen Oberkontrolleur, dem verängstigte Claqueure Potemkinsche Dörfer bauen“. Noch verständlicher wird es mit klarerer Sprache. In einem Klima, in dem der Vorstand den Druck nicht nur permanent bis zur äußersten Belastungsgrenze ausübt, sondern auch noch die Vorstandssicht immer richtig zu sein hat, entwickeln sich „Crawler“ prächtig. Zäpfchen feiern fröhliche Urstände, weil sie so problemlos, leicht, schnell und schmerzlos den Aufstieg in den Allerwertesten des Big Boss schaffen. Dass dies nicht überzogen ist, beweist die teilweise neue Führungsspitze mit einem Angebot an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Wer etwas über „Dieselgate“ und sonstigen Pfusch weiß, soll das bitte melden. Und ausdrücklich wird hinzugefügt, niemand habe Nachteile zu befürchten, wenn er so, also korrekt, verfahre. Man hört und staunt: Wer korrekt ist, wer die selbstverständlichen Pflichten im Rahmen seiner Tätigkeit erfüllt, muss nicht (oder sollte man doch sagen, muss nicht länger) mit Bestrafung rechnen. Gut zu wissen.

Der Aufruf jedenfalls hatte Erfolg. Ingenieure beteuern so massiv mit unerreichbar ehrgeizigen Zielen konfrontiert worden zu sein, die auf legalem Weg unerreichbar sind. Das war aber nicht einzusehen für die Herren am Steuer. Der Mechanismus scheint völlig klar. Wer fünf Millionen jährlich bekommt, glaubt an sich, sieht sich als Mitglied einer Elite. Dann steigt das Einkommen auf zehn Millionen und der Big Boss mit Vasallen und Kollegen rennt noch schneller? Und mit einer Vergütung von 17 Millionen Euro werden alle Rekorde gebrochen? Ist es nicht einfach so, dass eine Handvoll Führungskräfte Ingenieure in eine Druckkabine gesetzt haben und einen Überdruck erzeugten im Glauben daran, dass technischer Fortschritt und Innovation einem Hirn dann einfach zu entwinden sind. Nun aber hat es geknallt und der VW-Flieger befindet sich nach dem plötzlichen Druckverlust im freien Fall. Wenn die Crew es schafft, den Flieger vor dem Aufprall noch zu stabilisieren, dann möglicherweise deshalb, weil die Verursacher des Überdrucks rechtzeitig absprangen. So sieht ein Golden Parachute oder Golden Handshake halt aus. Oder ein wenig ketzerischer: Arme zahlen, Reiche kassieren.

Der VW-Konzern wurde an den Rand des Ruins geführt, nachdem vor einigen Jahren „nur“ seine moralische Integrität in einer Gemeinschaftsanstrengung von Vorständen und Betriebsräten verspielt worden war. Der Arbeiterführer im Betriebsrat erwartete adäquate Bezahlung, so auf Augenhöhe mit dem Personalvorstand. Kann ja nicht schaden, wenn „die da unten“ einen der ihren bei „denen da oben“ platziert wissen. So weit ist es dann doch nicht gekommen, weil sich der bis dahin allmächtige Betriebsratschef letztlich in seiner persönlichen Freiheit eingeschränkt sah und bei „denen da ganz unten“ zu nächtigen hatte, weil er sich von dem damaligen System VW (Stichwort: „Gebauer, wo bleiben die Weiber!“) korrumpieren ließ.

Die hoch bezahlten Manager haben nach dem ersten nun auch das zweite Fiasko nicht verhindern können. Sie haben ein paar Konsequenzen inzwischen gezogen. Herr Winterkorn tritt zurück, nicht ohne als 68-jähriger Rentner eine weitere Abfindung im 20-Millionen-Bereich zu kassieren. Und in der Größenordnung „20 Millionen Euro plus“ bewegt sich auch sein Pensionsanspruch, den er sich wohl auch flott auszahlen lassen wird. Peanuts wie Büro, Sekretärinnen, Firmenwagen bis zum Lebensende, Spesen etc. bedürfen als Selbstverständlichkeiten keiner Erwähnung. Es tut ihm unendlich leid, alles! Aber wehtut ihm bestenfalls der Verlust der Macht.

Wer auch nur darauf hinweist, dass sich Ersparnisse fürs Alter bei vielen Arbeitnehmern in Luft auflösen, während auf der Vorstandsebene all denen, die leicht und lässig selbst für ihren Ruhestand Vorsorge hätte betreiben können, zweistellige Millionenbeträge überwiesen werden, sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, ein Neider zu sein, eine Neiddebatte befeuern und einen Klassenkampf aufleben lassen zu wollen. Wird mit dem Hinweis darauf, dass Herr Winterkorn jährlich so viel Geld einstreicht wie 350 Facharbeiter mit einem Jahreseinkommen von jeweils 50.000 Euro, wirklich schon der Klassenkampf geschürt? Wäre es nicht doch angebracht, angesichts der dramatischen Ereignisse die gesamte Führungsschicht radikal an den Kosten zu beteiligen?

Auf unsere Politiker braucht niemand zu warten. Wurden in der Finanzkrise weltweit schon die Banken gerettet und die Opfer weitgehend vergessen, wird auch dieses Mal erstens die Belegschaft und zweitens die Allgemeinheit zahlen. Nicht etwa, dass die Bankenrettung falsch gewesen wäre, aber mussten auch die Aktionäre ungeschoren und vor allen Dingen skrupellose Manager weitgehend auf ihren Posten bleiben? Ist da noch von Bankenrettung die Rede oder handelt es sich um Bankerrettung? Und wie oft haben diese „Bankster“ von staatlichen Rettungspaketen profitiert und die Milliarden vom Staat wiederum als Boni und Dividende weitergeleitet statt Kreditvergaben zu befeuern? Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass allzu viele Abgeordnete die Gründe und Hintergründe für die Finanzkrise intellektuell schon nicht erfasst haben und sich ebenso wenig um Aufklärung bemüht haben.

Das sind aber auch Gegensätze. Hier so bezeichnete selbstbewusste Spitzenmanager mit zweistelligen Millioneneinkommen und dort Abgeordnete, die sich schon mal ein Sitzungsgeld von rund 300 Euro zuschanzen, obwohl sie nur an der Sitzungstür für eine Minute gestanden und ihren Namen eingetragen haben. Andere wiederum beschäftigen Ehefrauen, Töchter oder Söhne und bessern damit ihr Einkommen auf. Nicht, dass sie arm wären, aber ein wenig mehr kann doch nicht schaden. Es gibt neben unserer Bundeskanzlerin und einer Handvoll weiterer politischer Entscheidungsträger auf höchster Ebene wahrscheinlich viel zu wenige aus dem Kreis derer, die sich selbst zur politischen Elite zählen, die ungeblendet von Geld und Luxus geblieben sind.

So sind die Dinge, wie sie sind, und sie bleiben auch so. Lobbyisten „beraten“ Politiker kostenlos und unverbindlich, dafür natürlich offen und ehrlich, vor allen Dingen selbstlos. Ist es verwegen zu fragen, ob der ausgeuferte Lobbyismus schon dazu geführt hat, dass Wahlen kaum noch nach der Formel ein Mann eine Stimme, sondern halbwegs wohl doch nach der Formel eine Stimme ein Euro durchgeführt werden?

VW mit seinem ganzen Elend ist kein Einzelfall. Erinnert sei an Dr. Josef („Jo“) Ackermann, der sich als Saubermann anlässlich und während der Finanzkrise zu präsentieren wusste, zu dessen 60. Geburtstag die Bundeskanzlerin einen großartigen Empfang mit feierlichem Dinner im Kanzleramt gab und dessen Einflüsterungen im Bundeskanzleramt wie Finanzministerium auf offene Ohren stießen. Ackermann wie Jain waren schon hoch bezahlt, viele Investmentbanker wurden mit irrwitzig hohen Millionenbeträgen gefüttert. Zurück geblieben ist ein Bankhaus, das Leiden schafft, das verwickelt ist in Tausende Rechtsstreitigkeiten, die – neben anderem – zu Milliardenabschreibungen führten. Die Deutsche Bank bietet den Anschein als sei sie in buchstäblich jedem miserablen, ethisch verwerflichen Geschäft involviert gewesen. Das Handelsblatt konstatierte „ein Füllhorn von Skandalen“ und beschrieb die Deutsche Bank später als „Sinnbild für unmoralische Geschäfte“ und die Neue Westfälische stellte fest, sobald in diesen Jahren eine „neue Schweinerei in der Bankenszene ruchbar wird, steckt die Deutsche Bank meist mittendrin“. Wenigstens hat die Deutsche Bank Strafen in Milliardenhöhe aufgebrummt bekommen. In Amerika wurde ein Rechtsstreit gegen Zahlung von 1,4 Milliarden Euro beigelegt, weil die Bank Immobilienfinanzierer „übers Ohr gehauen“ haben soll.

Wo immer das Geld auch gelandet sein mag, es erreichte nicht die Häuslebauer, die im Wege der Zwangsversteigerung alles verloren und seither ohne hoffnungsvolle Perspektive sind. Der Libor-Skandal, Kirch-Skandal und viele andere Rechtsstreitigkeiten belasten die Bank mit Milliardenbeträgen. Ackermann Jain & Co. sind weg, allerdings steinreich, ohne auch nur allerkleinste Probleme. Die Bank selbst ist in einem beschämenden und auch bedauernswerten Zustand. Kann es beruhigend sein zu wissen, dass Herr Ackermann vor illustrer Runde in Hamburg einen Vortrag über den „ehrbaren Kaufmann“ hält und dafür plädiert, „nur ehrbar Gewinne zu machen?“ Herr Ackermann trägt etwas vor, was für einen hanseatischen Kaufmann nicht den allerkleinsten Gedanken wert ist. Ja, wie denn sonst sollen Geschäfte gemacht werden, wenn nicht ehrbar? Wäre ein Ackermann-Vortrag nicht glaubwürdiger, der Lügereien, Betrügereien, Gaunereien im Bankengewerbe den Kampf ansagte. Spät zwar, aber immerhin. Aber so wollen ausgerechnet Ackermann, ausgerechnet Deutsche Bank über Ethik und Moral referieren. Da könnte der Hund in der Pfanne verrückt werden.

Mit zweistelligen Millionenbeträgen machte Daimler seinen damaligen CEO Jürgen Schrempp unter seinem Aufsichtsratsvorsitzenden von der Deutschen Bank Jahr für Jahr reicher. Der wortgewaltige, andere sagen großschnauzige, Schrempp scheiterte bei der Schaffung des automobilen Weltkonzerns, konnte aber dank segensreicher Aktienoptionen den Breilöffel auch nach seinem Rücktritt/Rauswurf noch einmal richtig ausfahren, die ihm einen dreistelligen Millionenbetrag eingebracht haben sollen. Was für Daimler eine eher bescheidene Zeit war, trifft nicht auf den eher unbescheidenen Schrempp zu.

Lange Zeit war auch Wendelin Wiedeking erfolgreich und verdiente recht ordentlich. Als er jedoch mit seinem Einkommen selbst Leute wie Ackermann, Schrempp, Winterkorn und Co. in den Schatten zu stellen wusste, ging ihm die Puste aus. Inzwischen steht er vor Gericht, bestreitet jegliches Fehlverhalten und beschreibt sein Handeln zusammen mit seinem damaligen Finanzchef Härter so: „Wir waren Visionäre.“ Selbst Wiedeking hat vermutlich das von Härter ersonnene und schließlich gescheiterte Finanzierungskonzept genauso wenig vollumfänglich verstanden wie Porsche-Aufsichtsratschef Wolfgang Porsche. Jedenfalls war Wiedeking nicht in der Lage, dies in Pressekonferenzen detailliert zu erörtern, sondern musste stets auf Härter verweisen. Und Porsche stammelte nur, ihm sei doch immer versichert worden, es stünde genug Geld zur Verfügung, Finanzierung kein Problem.

Man muss das mal so richtig auf der Zunge zergehen lassen. So sehen Überflieger aus, die genau errechnen wollen, ob eine Leistung eines Arbeiters einen Stundenlohn von 11,25 Euro oder von 10,65 Euro wert sein soll. Überflieger, die schamlos kassierten, was ihnen die Aufseher ebenso schamlos gewährten.

Bevor Missverständnisse auftreten könnten, erfolgt der Hinweis, dass – erstens – nicht das Hohelied es Sozialismus gesungen wird. So zwei, drei Millionen seien einem Vorstand durchaus gegönnt, einem Vorstandsvorsitzenden vielleicht auch fünf Millionen Euro. Das lässt sich noch nicht als Gleichmacherei disqualifizieren. Und zweitens geht es auch nicht um persönliche Schuld. Vorstände tragen eine große Verantwortung. Das gilt für herrliche, aber eben auch für katastrophale Zeiten. Warum aber „die armen Säcke“ auf Kurzarbeiter- und Arbeitslosengeld gesetzt werden dürfen, während Führungsschichten zu deren freudiger Erregung millionenschwere Abfindungen nachgeworfen werden, erschließt sich einfach nicht.

Bei den Banken war es, wie man immer wieder hören und lesen kann, blanke Gier. Bei VW mag es an Gier nicht fehlen, sichtbar ist aber zudem, dass Gigantismus eine Rolle gespielt hat. Links und rechts alles aufkaufen, was angeboten wird. Immer weiter, immer höher bis hinauf zur Nummer eins, an Toyota vorbei. Aber ist es ein erstrebenswertes Ziel, Nummer eins zu werden? Warum? Welche Vorteile sollen sich ergeben? Toyota ist um Längen effizienter als VW; das verschweigen VW-Manager nicht. Das war vor zehn Jahren so und ist heute so.

Ist es wirklich Neid, der Beobachter kritisch auf zweistellige Vorstandsgehälter blicken lässt oder nur schiere Verzweiflung darüber, dass ein so zu bezeichnender Spitzenmanager (nicht gemeint Unternehmenschefs, spektakuläre Firmengründer etc.) auch nur ansatzweise glaubt, einen zweistelligen Millionenbetrag wert zu sein, es im Sinne des Wortes zu verdienen? Oder muss, wer das glaubt, schon ziemlich vertrottelt sein?

Volkswagen vermittelt den Eindruck als sei es eine Dekade lang nur um Wachstum und noch einmal Wachstum gegangen. Entstanden ist ein Konzern, der nun überhaupt nicht mehr untergehen darf; wie heißt es so schön: Too big to fail! Geführt wurde der Konzern zuletzt von einer Handvoll Persönlichkeiten, die mit Winterkorn von einer zentralen Stelle alles führen und bestimmen wollten. Solche Manager machen sich keine Gedanken dahin gehend, ob too big to fail nicht auch too big to run sein müsste. Ein großes Genie und zwei weitere kleine reichen; könnten jedenfalls Leute meinen, die sich selbst als Genies sehen. Genies machen keine Fehler, sie könnten höchstens darunter leiden, mit unfähigen Untergebenen belastet zu sein. Wie sollen Versager dieser Art auch geniale Gedanken einordnen und nutzen können?

Kinder reüssieren dank der Gene ihrer großartigen Eltern. Oder sie scheitern dank der Unfähigkeit ihrer Lehrer, die einfach nicht erklären können. Dagegen ist kein Kraut gewachsen. Wer sieht seinen lieben Kleinen schon als Deppen oder Tor? Im Geschäftsleben zeigen sich gewisse Parallelen. Läuft es in der Firma, dann mit Sicherheit dank der Fähigkeiten des Visionärs im „Driver‘s Seat“. Und wenn alles den Bach runter geht, was dann? Dann liegt es an einem unfähigen Middle Management, durch eng begrenztes Auffassungsvermögen gehindert, die Vorteile der Strategie erkennen und die Visionen punktgenau umsetzen zu können. Zu viele Versager, zu wenige High Potentials.

Und so wird tatsächlich alles bleiben, wie es ist. Schuld haben immer die anderen. Der „kleine Mann“ muss die Zeche zahlen. Zu viel können Spitzenleute einfach nicht bekommen, Neid ist unangebracht, denn davon profitieren alle unter diesen tollen Chefs. So wird es gerne tariflich vergüteten Mitarbeitern erklärt. Innovation und Wachstum seien durch „die da oben“ getrieben und deshalb sickere und riesele zur Vermehrung des Wohlstands für alle nach unten durch. Dass diese Führungskräfte zumeist ihr Geld in Aktien anlegen und damit zu Couponschneidern werden, wird unterschlagen. Das kann zwar sehr einträglich sein, bringt der Allgemeinheit aber so gut wie nichts. Und da Kapitalerträge pauschal mit 25 Prozent versteuert werden, sickert oder rinnt für „die da unten“ nicht allein nichts durch, sondern das Finanzamt hat auch noch das Nachsehen. Und alles, weil das Geld bekanntlich „ein scheues Reh“ ist. Man hat zu lernen: Arbeit kann reich machen. Wer meint, selbst arbeiten zu müssen, hat keine Zeit mehr, Geld zu verdienen. Der kluge Mann lässt arbeiten, andere Menschen oder Kapital.

Bei Volkswagen ist der Ofen erst mal aus ist. Restrukturierungen, Abschreibungen, Schadenersatzzahlungen, Reparaturen verschlingen ein großes Milliardenvermögen. Das Geld ist zwar nicht weg, aber es ist halt woanders. Und zur Wohlstandsvermehrung rieselt auf längere Zeit hin auch nichts durch. Der Vorstand hat weiterhin alle Hände voll zu tun. Dabei geht es nicht um Wachstum und Innovation, sondern um Verlangsamung längst geplanter Investitionen. Getrieben wird der Cashflow, damit die Folgen der Betrügereien und Schummeleien wenigstens bezahlt werden können. Und für die Erreichung dieses Zieles, das wird doch jeder verstehen, müssen wenigstens die Damen und Herren an der Spitze satte Millionenboni bekommen.

Der Volkswagen-Konzern, Darling der Fußballbundesliga, musste immer wieder mal zur Kenntnis nehmen, dass Geld allein noch keine Tore schießt. Und irgendwann wird sich auch die Erkenntnis durchsetzen, dass Geld allein aus Managern noch lange keine erfolgreichen Manager macht. Irgendwann, aber es dauert noch! Nichts ist unmöglich, sagt die Toyota-Werbung seit vielen Jahren. Und es stimmte bisher. Volkswagen hat viele Menschen weltweit enttäuscht. Das Unternehmen muss nun auf sehr harte Art und Weise lernen. Wird irgendwann trotzdem noch von einem neuen, gar schwerwiegenderen Schurkenstück aus Wolfsburg zu berichten sein. Hoffentlich nicht! Unmöglich ist nichts. klaus.haddenbrock@reifenpresse.de

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