Test abgefahrener Llkw-Reifen bei Nässe wirft Fragen auf

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Im Zusammenhang mit dem Ausbau seines Produktangebotes im Llkw-Reifensegment verweist Michelin auf die Ergebnisse eines von dem Reifenhersteller beim TÜV Süd in Auftrag gegebenen Reifentests, wonach sich mit dem „X Multi Z“ und dem „X Multi D“ bei zu zwei Dritteln abgefahrenem Profil deutlich kürzerer Bremsweg auf nasser und rutschiger Fahrbahn erzielen lässt als der Durchschnitt von vier zum Vergleich herangezogenen Produkten des Wettbewerbs.

Beim Bremsen aus 50 km/h bis zum Stillstand mit den entsprechend abgerauten Profilen der Dimension 215/75 R17.5 auf „nassem Belag mit niedrigem Reibungskoeffizienten“ soll das Testfahrzeug (DAF LF45) mit Michelin-Bereifung nach 63,5 Metern gestanden haben und damit die Bridgestone-Paarung aus „R227“ und „M729“ (72,9 Meter), Goodyears „RHS II +“/„RHD II +“ (74,7 Meter), Contis „Hybrid LS3“/„Hybrid LD3“ (77,9 Meter) sowie Pirellis „FR85 Amaranto“/„TR85 Amaranto“ (80,3 Meter) mehr oder weniger deutlich hinter sich gelassen haben. Demgegenüber lagen alle fünf Produkte im Neuzustand beim Nassbremsen auf nasser, rutschiger Fahrbahn gemäß ECE R117 ungleich dichter beieinander mit einer vom TÜV Süd bei der Verzögerung von 60 km/h auf 20 km/h gemessenen Spreizung des Bremsweges von den 19,8 Metern des in dieser Disziplin besten Reifens (Pirelli) bis hin zu den 20,2 Metern des schlechtesten (Bridgestone). Soweit so gut.

Ungewöhnlich daran ist allerdings, dass dabei entgegen den bei technisch-wissenschaftlichen Veröffentlichungen üblichen Standards der Einfluss eines bestimmten Parameters (hier: Reifenprofiltiefe) diskutiert wird, ohne dass dem zugehörigen und auf den Webseiten des Reifenherstellers bereitgestellten TÜV-Süd-Testbericht irgendwelche Angaben dazu zu entnehmen wären: weder im Neuzustand noch mit Blick auf den „abgefahrenen“ Zustand. Dabei ist doch gerade die (Rest-)Profiltiefe ganz sicher die den Ausschlag gebende Größe bei dem Ganzen. Schließlich bleibt halt einfach weniger davon übrig, wenn zwei Drittel von einem Neureifen mit leicht geringerer Ausgangsprofiltiefe abgeraut werden, wie bei einem, der im Neuzustand vielleicht schon von Haus eine größere Profiltiefe aufweist. Insofern lässt sich angesichts der präsentierten Daten eigentlich nicht entscheiden, ob sich in alldem nicht möglicherweise nur die Auswirkungen unterschiedlicher Ausgangsprofiltiefen manifestieren.

Denn bekanntlich liegen die Unterschiede in der Profiltiefe bei Neureifen in Abhängigkeit beispielsweise vom Hersteller oder der Achsposition im Bereich von rund drei bis vier Millimetern. Das wird auf entsprechende Nachfrage der NEUE REIFENZEITUNG von Michelin denn auch für die gesteteten Modelle bestätigt. Laut einer Unternehmenssprecherin wiesen alle Reifen in dem Test jedenfalls sowohl im Neuzustand als auch zu zwei Dritteln abgeraut jeweils unterschiedliche Profiltiefen auf. Die exakten Werte seien – wie es weiter heißt – „nicht für eine Veröffentlichung“ bestimmt. Mehr noch: Ihren Worten zufolge hat der TÜV Süd die jeweiligen Profil- bzw. Restprofiltiefen noch nicht einmal gemessen, sondern diese habe man nur intern ermittelt. Zumindest aus Sicht dieser Fachzeitschrift hat ein solcher Reifenvergleichstest damit insofern etwa die gleiche Aussagekraft wie der ausgefeilteste Bericht zur Wetterlage samt Daten zu Temperatur, Windgeschwindigkeit, Niederschlagsmenge, Luftfeuchtigkeit etc. ohne Angabe des genauen Datums bei der Beurteilung hilft, ob die Witterung am betreffenden Tag der Jahreszeit entspricht oder nicht.

Abgesehen davon, dass Michelins „X-Multi“-Familie in abgefahrenem Zustand bei Nässe besser bremse als die zum Vergleich herangezogene Konkurrenz, könnte beim Lesen des Testberichtes darüber hinaus der Eindruck entstehen, die Reifen aus Frankreich seien verschleißresistenter. Denn viele dürften aus den vermeintlich für alle Kandidaten gleichen Randbedingungen – Abrauen von zwei Dritteln des ursprünglichen Neureifenprofils – folgern, dass dies im realen Fahreinsatz jeweils identischen Wegstrecken zwischen Neuzustand und dem zu einem großen Teil abgefahrenen Zustand der Reifen entspräche. Ganz sicher aber weisen die Laufflächenmischungen unterschiedlicher Hersteller/Produkte voneinander abweichende Abriebsgeschwindigkeiten auf, wobei die Verschleißkurve zudem noch nicht linear verläuft bzw. hohe Profile schneller verschleißen als weniger hohe. Ob da mal nicht der eine oder andere – unbeabsichtigt oder auch nicht – auf eine falsche Fährte geführt wird. christian.marx@reifenpresse.de


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