Ohne Selbstzweifel: Thomas Sattelberger – Klappe auf und durch

Das Meinungsbarometer schlägt heftig nach oben und unten aus, sobald der Name Thomas Sattelberger eingegeben ist. Die einen sehen ihn als „Papst der Personalentwicklung“ und „den lange Zeit mächtigsten Personalchef des Landes und Kulturreformer“, gerne auch den „umtriebigen Zukunftsmacher und männlichen Vorkämpfer der Frauenquote“. Für andere ist Thomas Sattelberger allerdings eher „ein Marketinggenie in eigener Sache“. Und wer ihm nun ganz und gar nicht wohlgesonnen ist, nennt ihn gerne mal „einen Verbalerotiker“, dessen „etwas erratische Berufslaufbahn im Vorstand immer auf eine einzige Amtszeit beschränkt geblieben“ sei und der als „Sprücheklopfer nur unvollendete Werke hinterlassen“ habe. Als DASA-Chef fasste sich sein Vorgesetzter, der Haudegen Schrempp, kurz: „Arschloch“.

Sattelberger, von 2003 bis 2007 – somit zu Zeiten des CEOs Manfred Wennemer – vier Jahre und zwei Monate lang Personalvorstand des Continental-Konzerns, hat im Januar 2015 seine Biografie vorgelegt mit dem beziehungsreichen Titel „Ich halte nicht die Klappe“. Bei aller nicht zu unterschlagenden Kritik ist diese im deutschen Medienwald recht gut angekommen und rezensiert worden, begleitet von vielen Interviews. Sattelberger hat es in Spiegel und Focus geschafft, ins Handelsblatt, in die Süddeutsche Zeitung wie in die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). Dazu eine ständige Kolumne im Manager-Magazin und Beiträge in der Huffington Post. Sattelberger allenthalben. Selbstredend twittert er fleißig. Ohne jeden Zweifel ist er als Mann für das Personalwesen bekannt und anerkannt. Gewichtige Reputation inklusive.

Seine Conti-Zeit sieht Sattelberger selbst zurückhaltend. Er beschreibt, wie er mit seinem CEO Wennemer aneinandergeriet. Für ihn habe er in den Verhandlungen um Stöcken nicht „den Clown“ machen wollen. Und weil Wennemer nicht den Zirkusdirektor zu spielen gedachte, wird dieser gleich mal den Daumen in Bezug auf eine Vertragsverlängerung gesenkt haben, wenngleich Sattelberger von Gesprächen mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. Hubertus von Grünberg berichtet, der ihn mit Engelszungen zum Bleiben habe überreden wollen. Andererseits: Vorstände erhalten eine Vertragsverlängerung in aller Regel ein Jahr vor Vertragsablauf. Damit allerdings kann Sattelberger nicht dienen. Es muss Sattelberger eigentlich tief ins Mark getroffen haben, dass Vorstandskollege Heinz-Gerhard Wente sein Nachfolger wurde und die Verantwortung für das Personalressort einfach zusätzlich zu seinen Aufgaben als Chef der ContiTech-Division zu übernehmen wusste.

Wennemer ist Sattelbergers Feindbild. Sattelberger sieht sich als „Ausbrecher aus einer verengten Wagenburglogik“, wenn es auch ein paar Jahre bei Conti bis dahin gebraucht habe. Er habe „unter der Fuchtel der Effizienzlogik“ gestanden, weil der „radikale Portfoliomanager Wennemer konsequent seinem Credo folgte, sozial sei, was die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens sichere“. Finanz- und Personalwesen seien für Wennemer nichts anderes als Gemeinkostenverursacher. Und dann plaudert Sattelberger aus dem Nähkästchen. Akribisch habe sein CEO Wennemer Listen überprüft, ob seine Manager auch stets den billigsten Flug gebucht hätten. Kontrolle statt Vertrauen. Auf seine Anforderung hin habe Wennemer das eingestellt, sich aber nur ganz kurz daran gehalten. In Vorstandssitzungen habe Wennemer um 480 Euro lang diskutieren lassen, und eine halbe Stelle sei erst genehmigt worden, nachdem die vier Divisionen sich die Kosten zu jeweils 25 Prozent aufgeteilt hätten. Muss sich Klein Fritzchen so also das Wirken feinster und mächtigster Leute vorstellen? Während er, Sattelberger, bei Fabrikenbesuchen immer nah an den Menschen dran gewesen sei, selbst die Toiletten inspiziert hätte, sei Wennemer vermutlich niemals auf einer Fabrikentoilette gewesen, sondern nur lieber in den Börsensälen dieser Welt. Sattelberger beschreibt sich als Wennemer-Gegenpol, der dessen Effizienzlogik die Morallogik entgegenzusetzen wusste. Hat das tiefere Spuren hinterlassen? Mag alles sein; wenn aber heute von einer Conti-DNA geredet wird, fällt der Name Sattelberger nicht, dafür steht einzig und allein ein Name: Manfred Wennemer.

Besonders verbittert hat Sattelberger, dass Wennemer seine vertragslose Situation (der Vertrag mit der Telekom konnte erst nach vorzeitiger Auflösung seines Vertrages mit der Conti geschlossen werden und Scharmützel habe er sich nicht leisten können, weil er von Grünberg, der damals auch im Aufsichtsrat der Telekom saß, nicht verärgern konnte) „gnadenlos ausgenutzt“ und seine ihm vertraglich zustehenden Ansprüche heruntergehandelt hat. Ist die Aufregung nachvollziehbar? Während jeder Arbeitnehmer rechtzeitig, selbst vom kargsten Lohn, Vorsorge fürs Alter zu treffen hat, weil die zu erwartende Rente erbärmlich auszufallen droht, herrscht in den Chefetagen lupenreine Selbstbedienungsmentalität. Die „gnadenlos heruntergehandelten“ Pensionsansprüche fallen immer noch üppig aus. Für vier Jahre und zwei Monate geht es gleich in den einstelligen Millionenbereich, wertvolle Aktienoptionen zusätzlich. Warum, sollte man fragen, muss unbedingt die Kaste, die sich eine adäquate Altersvorsorge spielend leisten könnte, so schamlos gepampert werden?

In seiner Biografie erläutert Sattelberger die unterschiedlichsten Systeme im Personalwesen, und es trifft sich dabei nicht ganz zufällig, dass er der große Visionär ist, der alles früh vorausgesehen hat und um Lösungen bemüht war. Wir hören von der atmenden Fabrik, von INQA, von der Generation Y und Diversity sowie vieles andere mehr. Und immer wieder ging es nicht allein um Weiterbildung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sondern um Gründung von Universitäten; Continental-Universities rund um die Welt. Es wimmelt vor Schlagworten aus dem angelsächsischen Raum. Und die Analyse ist immer klar: Vieles läuft hierzulande ganz schlecht, im internationalen Vergleich sei eine „deutsche Führungskrise“ offenbar.

Notwendig ist ein Wandel. Für einen Wandel braucht es Querdenker, also einen wie Thomas Sattelberger. Gewöhnungsbedürftig ist und bleibt Sattelbergers immenses Selbstvertrauen. Er kann es, er weiß es. Er findet den Weg in die Medien auch als Schöpfer griffiger Schlagzeilen. So sagt er, deutsche Vorstände seien zum Teil Autisten, Topmanagern mangele es an Kreativität, Nachfolger würden geklont. Oder auch: Deutsche Konzerne sind eine Schule für Intrigen. Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU wird zur „Heulsuse und das Gekläffe der CDU ist unerträglich“, und die Genossen der SPD bekommen gelegentlich ebenfalls Fett weg. Der rhetorisch starke Joschka Fischer, der Sattelberger seit Jahrzehnten freundschaftlich verbunden ist, kommt immer gut weg, ob zu frühen APO-Zeiten oder zu Ministerzeiten. War es nur oder in erster Linie Sattelberger, der Frauen den Weg ebnen wollte und mit allem Nachdruck für Quotenregelungen warb? In einem Interview mit der FAZ räumt der „männliche Vorkämpfer der Frauenquote“ ein, sich ein Glas Riesling genehmigt zu haben, nachdem das Kabinett die Quote beschlossen habe. Im Forum schlägt ihm Hohn entgegen, bisher sei er eher Freund des Rotwein gewesen und habe es selten bei einem Glas belassen.

So wie Sattelberger eine erkleckliche Zahl von Jüngern hinter sich sieht, stehen ihm allerdings auch Kritiker gegenüber, die mindestens ebenso griffig zu formulieren wissen wie er. So bezeichnen ihn diese als „Sprücheklopfer“ und „Verbalerotiker“, der immer nur eine Amtszeit geschafft habe und so auf eine „erratische Berufslaufbahn“ zurückblicken könne. Er bejammere deutsche Systeme und nehme nicht zur Kenntnis, dass diese offenbar bestens funktionieren. Auch das hält man ihm vor: Bei allen Konzerne, in denen er wirkte, habe er ein „unvollkommenes Werk hinterlassen“.

Im Gegensatz zum Titel seiner Biografie hat Sattelberger einmal allerdings sehr wohl die Klappe halten können. „Der Überzeugungstäter in der Chefetage und Architekt sozialer Welten und innovative Transformator, immer seiner Zeit voraus“, der Verfechter von Diversity, bekennt sich zu seiner Homosexualität erst nach Eintritt ins Pensionsalter. Erklärtermaßen war es ihm vorher zu kritisch. Das klingt nicht sehr mutig.

Ach ja, an seiner Nachfolgerin bei der Telekom lässt er kein gutes Haar. Die Dame habe nach zwei Jahren aus familiären Gründen den Job quittieren müssen, hieß es offiziell. Sattelberger tritt hier kräftig nach. Ihm seien Gerüchte zu Ohren gekommen, die Dame (übrigens alles andere als eine Sattelberger-Bewunderin) sei inkompetent gewesen.

Sattelberger hat nun seine Biografie von seinem Freund Joschka Fischer vorstellen lassen und im Rahmen der Vorstellungstour die Bücher nicht nur signiert, sondern auch eine Vielzahl von Interviews gegeben. Schon in einem einige Monate zurückliegenden Interview äußerte er sich unglücklich, auch enttäuscht: „Warum nutzt die Republik eigentlich nicht die Potenziale von Leuten wie mir? Ich bin ein erfahrenes Schlachtross, ich könnte immer noch Großes bewegen. Aber es bewegt sich nichts.“ Und auf die Frage, was ihn antreibe, antwortet er: „Im Kern ging es mir darum, mir und anderen zu zeigen, was in mir steckt, dass ich mir nicht sagen muss: Mit Deinen Gaben hast Du geschludert und nicht das volle Potenzial ausgeschöpft.“ Ist das noch unter dem Stichwort Selbstvertrauen abzuhandeln, ist es gnadenlos übersteigertes Selbstvertrauen oder gar noch mehr? Oder reden Überzeugungstäter einfach so?

Die Biografie liest sich gut, auch weil Thomas Sattelberger bewusst provoziert und polarisiert. Aber eine Frage bleibt zum Schluss dann doch: Ist Sattelberger wegen seiner unbezweifelbar vorhandenen Formulierungskunst vorrangig auf Außenwirkung bedacht oder geht es ihm wirklich um die Sache selbst. Personalarbeit ist meist eine knochentrockene Sache, die mit Schlagzeilen und leserwirksamen Aufrufen wenig gemein hat. Wer in der Welt der Konzerne im Besonderen und der Arbeitswelt im Allgemeinen Pflöcke einschlagen will für Themen wie Gleichbehandlung, Diversity, Gerechtigkeit etc., der braucht auch einen langen Atem, sehr viel Stehvermögen. Schlagzeilen helfen langfristig eigentlich nie weiter.

Der Titel seiner Biografie „Ich halte nicht die Klappe“ ist irgendwie zwar rotzig-frech, aber eingängig und auch verkaufsfördernd. Warum auch nicht? Sattelberger will aufrütteln, will für seine Meinungen und seine Beurteilungen streiten und macht das burschikos und hemdsärmelig. Er vermeidet damit Langeweile. Man hätte sich zum Schluss auch eine selbstreflektierende, kritische Auseinandersetzung gewünscht zwischen dem, was der Visionär anstrebte, dem, was er dann tatsächlich umsetzen konnte und wie viel davon sich als dauerhaft erweist. Dennoch: Bei allem durchaus angebrachten Drang zum Tacheles-Reden wäre es an ein, zwei Stellen kein Fehler gewesen, das Mündchen ruhig gehalten zu haben. Kräftige Nachtreterei, zumal wenn es sich um Vorgänger oder Nachfolger im Job handelt, ist kontraproduktiv und kann peinlich wirken. klaus.haddenbrock@reifenpresse.de

Anmerkung: Alle im Text verwendeten Zitate stammen aus Sattelbergers Buch oder aus von ihm autorisierten Quellen/Interviews.

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