Bis zu 35.000 Arbeitsplätze bei Zulieferern in Deutschland in Gefahr?

Laut einer gemeinsamen Studie der Boston Consulting Group (BCG) und dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA unter dem Titel „The Proximity Paradox: Balancing Auto Suppliers’ Manufacturing Networks“ sind in Deutschland bis zu 35.000 Arbeitsplätze in der Automobilzulieferindustrie bedroht. Als Grund dafür wird der doppelte, seitens ihrer Kunden auf sie ausgeübte Druck genannt: Einerseits erwarten Fahrzeughersteller von ihren Zulieferern demnach, dass sie ihre Kosten stärker als bisher senken, aber andererseits gleichzeitig auch, dass sie mehr in Werke in schnell wachsenden Schwellenländern investieren, damit sie näher an ihre eigenen Produktionsstätten rücken. Die richtige Balance zwischen Kostensenkung und lokaler Nähe weltweiter Fertigungsnetzwerke zu finden, wird jedenfalls als „eine der größten Herausforderungen für die Branche“ gesehen.

Zugrunde liegen dieser Erkenntnis unter anderem die Ergebnisse einer Umfrage unter weltweit 42 Automobilzulieferer – darunter 25 der 100 größten Zulieferer sowie eine Auswahl mittelgroßer Unternehmen – im Rahmen der Studie, die mehr als 60 Prozent der Umsätze von Zulieferern im deutschen Markt (entsprechend rund 40 Milliarden Euro) abdecken soll. Denn mit 86 Prozent hat eine große Mehrheit der Befragten von einem zunehmenden Kostendruck von Kundenseite berichtet, weil die großen Automobilhersteller ihre jährlichen Ausgaben offenbar weiter stark senken wollen. Und das nicht zu knapp, wird im Gegensatz zu den Vorjahren, wo zwei bis drei Prozent üblich gewesen seien, nun doch von vier bis sechs Prozent gesprochen, welche die Fahrzeugindustrie künftig auf der Kostenseite und damit bei ihren Zulieferern einsparen will.

Dies entspricht einem Einsparvolumen von bis zu sechs Milliarden US-Dollar, rechnet die BCG vor, die es für die Automobilzulieferer zugleich zunehmend schwieriger hält, solche Sparziele angesichts ihrer weltweit angesiedelten und immer komplexer werdenden Produktionsnetze erreichen zu können. Zwar hätten 79 Prozent der Befragten angegeben, dass sie insgesamt mit den Leistungen ihrer lokalen Produktionsstätten in Schwellenländern zufrieden sind – bei 68 Prozent waren die Einsparungen gleichwohl jedoch geringer als erwartet. „Der Preisdruck wird weiter anhalten. Schwellenländer zu umgehen ist keine Option, denn diese Märkte sind wichtig für das Wachstum“, ist für Manfred Beck, Associate Director bei der BCG und einer der Studienautoren, ein Ende dieses Dilemmas nicht in Sicht.

Ein Zulieferer, der weltweit zehn Fertigungsstätten betreibt, wird diese in den nächsten fünf Jahren demnach voraussichtlich auf elf Werke erweitern, um näher an der Produktion seiner Kunden zu sein – so die Prognose der Befragten. Hinzu kommt eine weltweite Zersplitterung: 2009 befanden sich 66 Prozent der Fertigungsstandorte der befragten Unternehmen in den Triade-Regionen Westeuropa, USA und Japan. Dieser Anteil beträgt heute nur noch 58 Prozent – und wird bis 2019 voraussichtlich auf 47 Prozent sinken. „Die Verlagerung von Produktionsstätten und Leitwerken wird sich besonders in der europäischen Automobilzulieferbranche gravierend auswirken“, meint Beck.

„Für Deutschland würde das bedeuten, dass 35.000 der derzeit 290.000 Beschäftigten in Automobilzulieferfirmen von Werksschließungen betroffen sein könnten – darunter 7.000 Ingenieure, administrative und unterstützende Funktionen“, sagt er. Es wird erwartet, dass in fünf Jahren knapp 60 Prozent der Gesamtproduktionskapazitäten der Automobilzulieferer in Schwellenländern angesiedelt sind, gegenüber nur 45 Prozent vor fünf Jahren. „Die befragten Firmen sind sich einig, dass sie ihre Fertigungsnetze anpassen sollten“, ergänzt Frank Lesmeister, Associate Director bei der BCG und Koautor der Studie. „Unsere Untersuchungen zeigen jedoch, dass es den meisten Zulieferern an den organisatorischen Fähigkeiten, den Geschäftsprozessen und den Instrumenten für eine optimale geografische Aufstellung ihrer Fertigung fehlt“, fügt er hinzu.

Die Autoren empfehlen Zulieferern jedenfalls, ihre Optimierungsprogramme einer sorgfältigen Überprüfung zu unterziehen. So könne ermittelt werden, ob die vorhandenen Kapazitäten die erwartete Nachfrage in einer Region abdecken, heißt es. Der Check sollte demzufolge die Fähigkeiten und Verantwortlichkeiten des Managements bewerten sowie die eingesetzten Methoden und Werkzeuge zur Verbesserung auf den Prüfstand stellen. „Ein Programm zur Netzwerkoptimierung muss sowohl an der globalen Wertschöpfungskette und der Organisationsstruktur als auch an den Fertigungsprozessen ansetzen“, folgern die Autoren der Studie. cm

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