Reifen Ihle gewinnt Rechtsstreit gegen Goodyear – Präzedenzfall?

,

Der „Rigdon All Season 120“ von Reifen Ihle verstößt nach einem aktuellen rechtskräftigen Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (AZ: 6 U 254/12) nicht gegen Geschmacksmusterrecht, das Goodyear Tire & Rubber für ihren Ganzjahresreifen Vector 5 (eingeführt 2001) und dessen Nachfolger Vector 5+ (2006; neue Mischung) geltend gemacht hatte. Damit hebt das Oberlandesgericht nicht nur das im Oktober 2012 vom Landgericht Frankfurt am Main ergangene Urteil erster Instanz zugunsten des klagenden US-amerikanischen Reifenherstellers auf, bürdet ihm die Verfahrenskosten auf und ermöglicht es dem größten unabhängigen deutschen Runderneuerer, Schadensersatz in sechsstelliger Höhe geltend zu machen, wie Reifen-Ihle-Geschäftsführer Jürgen Eigenbrodt gegenüber der NEUE REIFENZEITUNG bestätigte. Vielmehr schafft das Gericht damit einen Präzedenzfall – so sieht man es jedenfalls bei Reifen Ihle in Günzburg –, der weitreichende Folgen haben könnte.

Das Oberlandesgericht findet in seiner Urteilsbegründung (verkündet am 27. März 2014) deutliche Antworten auf die Frage, unter welchen Bedingungen ein Reifenprofil die Voraussetzungen der Eigentümlichkeit gemäß § 1 Geschmacksmustergesetzt (alte Fassung) erfüllt. Die für einen entsprechenden Schutz erforderliche wettbewerbsrechtliche Eigenart eines Reifenprofils setze dabei voraus, dass es im Vergleich mit üblichen Profilen – aus dem eigenen Konzern wie auch von Wettbewerbern – auffällige, besonders charakteristische, prägende Merkmale aufweise. „Ein Erzeugnis besitzt wettbewerbsrechtliche Eigenart, wenn dessen konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale geeignet sind, die interessierten Verkehrskreise auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen“, schreibt das Oberlandesgericht in seiner Urteilsbegründung.

button_pdf_12px-jpg Das komplette Urteil finden Sie hier im PDF-Format.

Unter „Verkehrskreise“ versteht das Gericht „in erster Linie den Endverbraucher, der gelegentlich Kfz-Reifen kauft.“ Diesem müsse die ästhetische Eigentümlichkeit eines Reifens deutlich werden. „Obwohl er auf der Straße ständig Reifenprofile sieht, wird er den im Klageantrag [der Goodyear Tire & Rubber] beschriebenen Details keine besondere Aufmerksamkeit widmen“, macht das Oberlandesgericht deutlich.

Die Feinheiten des Reifenprofils Goodyear Vector 5/5+ „wird ein Verbraucher in der Regel nicht in Erinnerung behalten und ihnen auch keinen Hinweis auf einen bestimmten Hersteller entnehmen. Er wird sich vorwiegend an den Marken und Logos auf den Reifen orientieren.“ Weiter: „Auffällige, besonders charakteristische Merkmale“ weise eben das Goodyear-Profil nicht auf; es verbleibe „ein hinreichender ästhetischer Gestaltungsspielraum für Positionierung und Form der Profilblöcke und Rillen“, denn „die gewünschten Fahreigenschaften sind offensichtlich mit ganz unterschiedlichen Reifenprofilen erreichbar“, meint das Gericht und sieht das Goodyear-Profil unter den Bedingungen des Geschmacksmustergesetztes im vorliegenden Fall als nicht schutzfähig an.

Im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG betont Reifen-Ihle-Geschäftsführer Jürgen Eigenbrodt, dass das vorliegende Urteil für die Reifenbranche weitreichende Folgen haben könnte. Es sei zwar noch zu früh, aus der Urteilsbegründung eine konkrete Handlungsanweisung für Reifenhersteller und Runderneuerer abzuleiten. Zunächst müsse der Richterspruch einer weitreichenden juristischen Prüfung unterzogen werden; Reifen Ihle hat den Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk (BRV) gebeten, eine entsprechende juristische Bewertung vorzunehmen. Klar scheint aber schon jetzt: Es dürfte in Zukunft für Reifenhersteller und für Runderneuerer schwerer werden, ihre Profildesigns und den mitunter hohen Aufwand für Forschung und Entwicklung entsprechend vor Kopien zu schützen.

Für Reifen Ihle kommt das Urteil nicht unbedingt zu einer Unzeit; im Gegenteil. Die Unternehmensgruppe hat Ende Februar Insolvenzanträge beim zuständigen Gericht in Neu-Ulm für ihre vier Gesellschaften gestellt.

Das aktuelle Urteil gibt einerseits wieder Rechtssicherheit, was den zwischenzeitig im laufenden Rechtsstreit mit Goodyear eingestellten Vertrieb des Profils „Rigdon All Season 120“ betrifft. Wie Reifen Ihle gegenüber der NEUE REIFENZEITUNG betont, hätten von den runderneuerten Pkw-Reifen jährlich 25.000 bis 30.000 Stück produziert werden sollen. Nach dem erstinstanzlichen Urteil von Oktober 2012 hatte Reifen Ihle die zum damaligen Zeitpunkt noch im Markt befindlichen und nicht abverkauften Reifen vom Typ „Rigdon All Season 120“ zurückgeholt, entsprechend groß war die Angst in Günzburg, im Rechtsstreit mit Goodyear Tire & Rubber auch letztinstanzlich zu unterliegen – eine womöglich kostspielige Angelegenheit. Goodyear zufolge seien vom Vector 5+ jährlich „Stückzahlen von mehreren 100.000 pro Jahr verkauft“ worden, was einem Umsatz „im zweistelligen Millionenbereich“ entspreche. Hätte das Gericht eine Schadensersatzpflicht festgestellt, wäre das finanzielle Risiko für den Günzburger Runderneuerer unkalkulierbar und eventuell untragbar geworden.

Andererseits nimmt das rechtskräftige Urteil (das Oberlandesgericht lässt keine Revision zu) auch etwas den finanziellen Druck vom Günzburger Unternehmen, das gerade ein Insolvenzverfahren durchläuft. arno.borchers@reifenpresse.de

 

0 Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar

An Diskussionen teilnehmen
Hinterlassen Sie uns einen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert