Pirelli ist von nun an „for sale“

Wie gestern schon gemeldet, plant Pirelli-CEO Tronchetti Provera (65), dessen Familie zugleich größter Aktionär ist, den kompletten Ausstieg, erst als CEO, dann als Aktionär. Nur über den Zeitrahmen kann noch spekuliert werden, nachdem Tronchetti selbst das Jahr 2017 genannt hat.

Bei all seinen industriellen Engagements bewies Tronchetti, einst Leopoldo Pirellis Schwiegersohn, bisher stets eine enge Verbundenheit mit dem Reifenkonzern und somit überrascht sein Ausstiegsentschluss. Einerseits soll dieser auf privaten Überlegungen basieren. Der dreifache Vater hat offenbar keinen geeigneten Nachfolger in der Familie, sodass ihm nur die trockene Feststellung bleibt, dass Unternehmertum in den Knochen nicht einfach vererbbar ist.

Tronchetti hat im Verlaufe seiner beruflichen Karriere vorgemacht, dass man ein Unternehmen nicht völlig besitzen muss, um es völlig kontrollieren zu können. Das italienische System glich über die Jahrzehnte dem der „Deutschland AG“. Konzerne untereinander hielten jeweils ein paar Prozent am Aktienkapital und stimmten dann auf den Hauptversammlungen ab. Feindliche Übernahmen waren damit unmöglich. Während in der „Deutschland AG“ damalige Institutionen wie die Deutsche Bank, Allianz, Münchner Rück federführend waren, wurden die italienischen Fäden in Mailand über die im internationalen Vergleich relativ kleine, aber mächtige Investmentbank Mediobanca geschlossen, deren legendärer Mitbegründer und Chef Enrico Cuccia als graue Eminenz galt und der auch noch im hohen Alter die Fäden zog. Als Pirelli nach dem gescheiterten Überfall auf Continental ums Überleben  kämpfte, war es Cuccia – der damals 85-jährige kam noch immer täglich zu Fuß ins Büro –, der Tronchetti erstens ein Umfeld und zweitens ausreichend Zeit bot, den Konzern sanieren zu können.

Doch die Zeiten ändern sich. Die Globalisierung hat die „Deutschland AG“ hinweggefegt und auch das System zusammenhaltender Industriellenfamilien ist in Italien am Ende. Für Familien mit viel Geld gibt es zudem bessere Möglichkeiten als sich mit ein paar wenigen Prozent am Aktienkapital hier und dort zu beteiligen. Die Macht der Familien ist gebrochen. In den Hinterzimmern wird nicht mehr über die grundsätzliche Ausrichtung von Konzernen bestimmt. Das zeigte sich ja im Vorjahr auch im Pirelli-Konzern. Tronchetti konnte im Vorjahr zwar noch einmal einen Machtkampf gegen einen aufmüpfigen Konkurrenten gewinnen, dessen Ausgang lange Zeit jedoch nicht sicher vorhergesagt werden konnte.

So überraschend die Entscheidung der Industriellenfamilie Tronchetti auch ist, bei Pirelli aussteigen zu wollen, so verwirrend ist der angegebene Zeitrahmen. Pirelli-Aktien bewegen sich momentan auf einem Allzeithoch von knapp zwölf Euro; im Mai 2013 waren es rund sieben Euro. Es ist gar nicht so unattraktiv bei derzeitigen Kursen, plus Paketzuschlag, adieu zu sagen. Wer weiß schon, was in drei Jahren sein wird? Zudem ergibt es keinen Sinn, Verkaufsabsichten auf Jahre hinweg kundzutun. Niemand weiß das so genau wie Marco Tronchetti Provera. Das Spiel hat begonnen. Es bleibt abzuwarten, wer an dem Bietergeschehen teilnimmt. klaus.haddenbrock@reifenpresse.de

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