EU-Reifenlabel: Was lernen wir von Kühlschränken und von Autos?

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Label, mit denen die Verbrauchswerte von verschiedenen Produkten angeben werden, gibt es weltweit wie Sand am Meer; auch in Europa hat man seit Jahren großes Interesse, entsprechende Anreize zu setzen, die die Marktstellung energieeffizienterer Produkte fördern und somit letzten Endes dem Umweltschutz – oder der Sicherheit – dienen sollen. Auch wenn die jeweiligen Verordnungen zur Kennzeichnung etwa von Kühlschränken oder auch Automobilen hehren Zielen dienen, schießen diese doch mitunter meilenweit an ebendiesen Zielen vorbei, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Welche Schlussfolgerungen können wir aus diesen Erfahrungen in Deutschland für die Einführung des EU-Reifenlabels ziehen und was erwartet uns?

Als besonders negatives Beispiel eines Labelings gilt vielen heute die Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung für Pkw (Pkw-EnVKV). Gab es in den vergangenen Jahren immer schon ein Label – wenn auch ohne Piktogramm –, das den Kraftstoffverbrauch und den CO2-Ausstoß von Pkw angab, so unternahm die Bundesregierung im vergangenen Jahr einen Vorstoß. Das Ergebnis, das dann ab 1. November 2011 in Kraft trat, wird von vielen als Lehrstück der Lobbyarbeit deutscher Automobilhersteller oder als Mogelpackung empfunden. Die Kritik bezieht sich dabei nicht auf das Piktogramm selbst, das die CO2-Effizienz von Fahrzeugen anschaulich angibt, sondern auf das Zustandekommen der jeweiligen Einstufung. Nach der neuen Verordnung wird nämlich das Gewicht eines Fahrzeugs in Relation zum Verbrauch gesetzt. Die Folgen sind skurril: Schwere SUVs, die nicht gerade als Ausdruck einer modernen Ökobewegung gelten, erhalten eine bessere Effizienzklasseneinstufung als etwa Kleinwagen. Die genutzte Formel führt sogar dazu, dass ein deutscher Kampfpanzer vom Typ Leopard II mit dem Energieeffizienzwert E eingestuft würde – genau wie ein VW Golf 1.4 TSI.

„Hier werden komplett die falschen Anreize gesetzt“, sagt Dr. Ottmar Lell im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG. Der Referent für Nachhaltigkeit und Verkehr beim Verbraucherzentrale Bundesverband (BDVZ) in Berlin ist auch der Ansicht, dass sich bei der Einführung der neuen Pkw-EnVKV die Autoindustrie gegenüber Umwelt- und Verkehrsverbänden durchgesetzt habe und dass nun der Druck auf die Hersteller weniger stark sei, sparsamere, leichtere Fahrzeuge zu bauen.

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) weist die Kritik zurück und ist der Ansicht, dass nun „nicht mehr Äpfel mit Birnen verglichen werden“, so deren Präsident Matthias Wissmann. Durch die zusätzliche Einstufung nach der CO2-Effizienz – neben den Angaben über den Kraftstoffverbrauch und den CO2-Ausstoß – sei nun eine Einordnung nach der jeweiligen Fahrzeugkategorie möglich. Die neue Verordnung setze jetzt Anreize, dass sich jeder Hersteller in seinem Segment für mehr Umweltfreundlichkeit einsetze. Außerdem sei Endverbrauchern immer schon klar gewesen, dass etwa ein großer Familienkühlschrank eben mehr Energie verbrauche als ein kleiner für einen Singlehaushalt; dies gelte analog auch für Automobile.


Das Labeling von Autos, das seit vergangenen November in Deutschland gilt, wird von vielen als Lehrstück der Lobbyarbeit oder als Mogelpackung empfunden, schneiden doch insbesondere schwere Fahrzeuge bei der CO2-Effizienz überdurchschnittlich gut ab

Diese Argumentation des VDA können viele nicht nachvollziehen, zumal auch vor November 2011 die Fahrzeuge durch die Angaben über den Kraftstoffverbrauch und den CO2-Ausstoß untereinander vergleichbar waren. Jedenfalls führe das Ergebnis dieser Argumentation, also die im vergangenen Herbst eingeführte deutsche Pkw-EnVKV, die Verbraucher in die Irre. In anderen Ländern der EU, etwa in Großbritannien, Dänemark oder Belgien, finde die Effizienzkennzeichnung laut dem Verbraucherzentrale Bundesverband sinnvoller statt: Hier wird lediglich der CO2-Ausstoß für die Klassifizierung genutzt. Dr. Lell fordert im Gespräch mit dieser Zeitschrift demnach auch eine Vereinheitlichung der verschiedenen europäischen Regelungen, die aber wohl nicht in naher Zukunft kommen werde.

Dass die aktuelle Verordnung im Sinne der deutschen Automobilhersteller ist, die überdurchschnittlich stark im Geschäft mit schweren und zum Premiumsegment gehörenden Modellen sind, ist nachzuvollziehen. Dass es ihnen aber sogar gelungen ist, die Kennzeichnung von nach landläufiger Meinung tendenziell schlechten Autos, zumindest was deren ökologische Auswirkungen betrifft, für ihre Zwecke zu nutzen und quasi zu einer Marketingkampagne umzufunktionieren, lässt viele Beobachter ratlos zurück.

Es spiegelt aber insgeheim auch das Kaufverhalten der deutschen Autofahrer wider. Wie Dr. Lell sagt, interessiere sich dieser beim Autokauf zuallererst für den Preis, dann für die Leistung des Wagens und dessen Image; erst als vierter Beweggrund – so sei wissenschaftlich belegt – spielten der Verbrauch und somit die langfristigen Unterhaltskosten eine Rolle für die Kaufentscheidung. Imageträchtige Limousinen erhalten durch eine gute CO2-Effizienzeinstufung quasi Absolution. Autos werden oftmals über Emotionen vermarktet und nicht über Entscheidungen auf Basis von Vernunft. Die autogewordene Quasi-Immobilie Audi Q7 3.0 TDI steht folglich mit einem B sauber da, während ein Smart ForTwo mit Start-Stop-Automatik mit einem roten E gekennzeichnet wird und in der Schmuddelecke der Umweltverschmutzer steht.

Während also die Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung für Pkw bestenfalls den Status quo manifestiert und tendenziell kaum Anreize setzt, die Verbrauchswerte und den CO2-Ausstoß eines Fahrzeugs zu verringern, gibt es mit der Kennzeichnung der sogenannten „Weißen Ware“ durchaus auch eine Erfolgsgeschichte zum Thema Labeling.

Die EU-Kennzeichnungsrichtlinie von 1992 mündete in Deutschland fünf Jahre später in die Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung, die schrittweise für viele Haushaltsgeräte eingeführt wurde. Erst Kühlschränke und Gefriergeräte, später Trockner und Waschmaschinen, dann Spülmaschinen und zu guter Letzt wurden auch Herde und elektrische Kochstellen gelabelt. „Die Einführung des Energielabels bei Haushaltsgeräten ist eine einzige Erfolgsgeschichte“, sagt Frauke Rogalla. Die Referentin für Energiewirtschaft beim Verbraucherzentrale Bundesverband (BDVZ) in Berlin skizziert im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG die Entwicklung, die die verschiedenen Produkte nach der Einführung des Labels für Weiße Ware genommen haben. Waren 2000 nur 21,3 Prozent der Kühlschränke und Gefriergeräte A-gelabelt, so waren dies 2008 bereits über 90 Prozent. Das Ziel der Kennzeichnung, verbrauchsärmere Produkte zu fördern und somit etwas für den Umweltschutz zu leisten, sei mehr als erfüllt worden, so Rogalla weiter. Hersteller hätten sich zunehmend bemüht, den Energieverbrauch ihrer Produkte zu verringern und somit im preissensiblen Wettbewerb der Weißen Ware leichter bestehen zu können.
Die Kennzeichnung von Kühlschränken und Co. sei beinahe sogar „Opfer ihres eigenen Erfolges“ geworden, konstatiert die Referentin weiter. Im Laufe der Jahre nach der Einführung der Kennzeichnungspflicht für verschiedene Produktgruppen sei der deutsche Gesetzgeber zu der Einsicht gelangt, dass sich das „alte Label“ mit seiner siebenstufigen Klassifizierung von G bis A überholt habe. Wenn lediglich eins von zehn Produkten, wie etwa bei Kühlschränken/Gefriergeräten nicht mit der bestmöglichen Note ausgezeichnet ist, habe das Energieeffizienzlabels kaum mehr eine nennenswerte Relevanz für die Kaufentscheidung des Verbrauchers und folglich für die Produktentwicklung. „Alles ist nur noch gut.“

Schrittweise wurden die zusätzliche Energieeffizienzklassen A+, A++ und dann auch A+++ eingeführt. Auch wenn diese neue Klassifizierung ebenfalls nicht unbedingt im Sinne des Verbraucherzentrale Bundesverbands ist, so Rogalla weiter, seien jetzt doch in der Regel ebenfalls alle Geräte gut, zumindest in der Anmutung des Verbrauchers, so zeige die Entwicklung neuer Produkte doch, dass es technisch immer noch viel Einsparpotenzial bei der Weißen Ware gebe. Der BDVZ wünscht sich eine dynamische Regelung, die eine jährliche Anpassung der Klassifizierungen entsprechend der technologischen Entwicklung möglich macht und mit der man eine Marktdurchdringung effizienterer Geräte erhöhen könne. Dabei sollten dem BDVZ-Plan zufolge stets die besten 20 Prozent mit einem einfachen A ausgezeichnet werden. Das sei „sehr transparent“ und im Sinne des Verbrauchers, sei aber der Industrie nicht zu vermitteln, so Frauke Rogalla weiter. Haushaltsgerätehersteller, deren Geräte in einem Jahr mit einem A gelabelt werden und die sich nach der dynamischen Anpassung auf einmal vielleicht nur noch für ein C qualifizieren, sehen entsprechende Pläne verständlicherweise eher kritisch, ändere sich die Qualität ihrer Produkte doch nur in Relation zu den Wettbewerbsprodukten.

Dennoch, das Energieeffizienzlabel bei der Weißen Ware sei heute ein unverzichtbares Verkaufskriterium, ist man sich beim Verbraucherzentrale Bundesverband in Berlin sicher. Kühlschränke und Co. seien Produkte, die der vernünftige Menschenverstand kaufe und nicht etwa die verführte Seele eines Automobilisten. Folglich sei das Einsparpotenzial der Haushaltsgeräte ein beträchtliches Verkaufsargument, und das Einsparpotenzial ist enorm. Ein mit A+++ gelabelter Kühlschrank verbraucht etwa bis zu 60 Prozent weniger Strom als ein A-gelabeltes Gerät. Ein eventuell höherer Anschaffungspreis lässt sich somit oftmals schnell rechtfertigen. „Beim Verkauf von Elektrogeräten geht es heute einfach nicht mehr ohne“, erläutert die Referentin Energiewirtschaft weiter und weist darauf hin, dass seit Neuestem auch für Fernsehgeräte ein Energieeffizienzlabel eingeführt wird.

Es gibt im Wesentlichen zwei zentrale Schlussfolgerungen, die man aus der Energieeffizienzkennzeichnung für Autos und für Haushaltsgeräte für den Reifenmarkt ableiten kann. Je weniger die Vernunft eine Rolle bei der Kaufentscheidung des Verbrauchers spielt, umso unbedeutender werden Labelkennzeichnungen, seien sie auch noch so aussagekräftig. Wird die Vernunft nicht mitgenommen zum Autokauf, ist der Wettbewerb zwischen Engelchen und Teufelchen schnell entschieden. Des Weiteren gilt, wenn alle gekennzeichneten Produkte – zumindest in den Augen der Verbraucher – gleich gut (oder auch gleich schlecht) sind, dann scheint ein Labeling deutlich weniger Sinn zu machen als eine klare Abgrenzung zwischen vermeintlich guten und vermeintlich schlechten Produkten. Allerdings muss man dabei einschränkend hinzufügen: Für die Innovationsfähigkeit von Unternehmen ist auch eine solche Klassifizierung der Geräte förderlich, lässt sich eine A+++ doch immer noch besser verkaufen als ein schlichtes A. Die Einstufung der Energieeffizienzklassen bei Autos jedenfalls führt nicht dazu, dass sparsamere Autos bevorzugt werden.

Im Sinne der Umwelt und des Verbraucherschutzes darf man erwarten, dass Reifen durch die Einführung des EU-Reifenlabels eine ähnliche Geschichte durchlaufen werden wie die Weiße Ware. Dazu muss indes sichergestellt sein, dass sich die Produkte auch anhand der Labelwerte voneinander abgrenzen lassen und nicht jeder Reifen gleich bei BB und besser eingestuft wird. Die Anreize sind da; 2016 soll dann die Klassifizierung noch einmal überarbeitet werden. Außerdem muss das Thema dem Endverbraucher plausibel und nachdrücklich erklärt werden – und das immer wieder. arno.borchers@reifenpresse.de

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