Gewe Reifengroßhandel: In eine neue Dimension

Mit einer fast vierzigjährigen Geschichte gehört die Gewe Reifengroßhandel GmbH zu den Konstanten im Kreis der größeren deutschen Grossisten. Nachdem aber das Lager Gewes in Rodenbach bei Kaiserslautern im Oktober 2008 durch ein Großfeuer teilweise vernichtet worden war, standen die drei gleichberechtigten geschäftsführenden Gesellschafter Paolo Pina, Ingo Döring und Achim Becker vor der Beantwortung der natürlich nicht nur von ihnen selbst, sondern auch von den langjährig treuen Mitarbeitern gestellten Frage, wie es denn nun weitergehen solle. Wobei es schnell auf die Alternative hinauslief: Wiederaufbau des Unternehmens an alter Wirkungsstätte oder einen Neuanfang wagen in dann neuer und deutlich größerer Dimension. Diese Entscheidung war durchaus schwer und liegt keineswegs auf der Hand, denn letzteres würde wesentlich teurer sein, war man sich bewusst.

Die Pfälzer erwiesen sich dann freilich als echte Unternehmer und packten an: In einem gerade erst erschlossenen Gewerbegebiet – lediglich fünf Kilometer vom alten Standort entfernt – investierte das Gespann etwa zehn Millionen Euro, um für die ca. 50 Mitarbeiter, die allesamt den Neuanfang mittrugen und „bei der Stange“ blieben, einen Bürotrakt mit Wohlfühlatmosphäre sowie ein großes und nach modernsten Ansprüchen konzipiertes Reifenlager in kürzester Zeit hochzuziehen. Bei einerseits großzügiger Planung, aber andererseits konservativer Herangehensweise – utopische Wachstumsziele sind Gewes Sache nie gewesen – erwies sich der Neubau schon bald als nicht ausreichend, sodass noch einmal etwa 4,5 Millionen Euro in die Hand genommen werden, um noch mehr Lagerraum für Reifen zu schaffen und ein separates Lager für etwa 40.000 bis 45.000 Leichtmetallräder, das dieser Tage fertiggestellt wird, zu errichten.

Gewe – der Name geht zurück auf die Initialen des Firmengründers Günther Werner – setzt jährlich etwa 45 Millionen Euro um. Dieser Tage wird aus dem Geschäftsführer- und Gesellschafter-Trio ein -Duo: Paolo Pina geht in den Altersruhestand, seine Anteile werden von den beiden Kompagnons Döring und Becker zu gleichen Teilen übernommen. Ersterer nimmt eher verwaltungstechnische Aufgaben wahr und kümmert sich um die Finanzen und Controlling, zweiterer widmet sich eher den Themen Einkauf, Marketing, Verkauf und seiner persönlichen Leidenschaft Leichtmetallfelgen. Für den mit dem Ausscheiden Pinas verwaisten Technikbereich und das Qualitätsmanagement wurde ein neuer Mitarbeiter rekrutiert. Aber eigentlich hat man immer im Team gearbeitet, sodass die Unterteilung der Verantwortungsbereiche eher fließend ist.

Während andere Grossisten sich spezialisiert haben und beispielsweise auf das Pkw-Geschäft fokussieren, ist Gewe ein klassischer Vollsortimenter (außer Zweiradreifen) geblieben. Der Anteil Pkw-Reifen mag zwar von Jahr zu Jahr leicht steigen, trägt aber immer noch „nur“ etwa 40 Prozent zum Umsatz bei, wobei Gewe sich in diesem Reifensegment ganz konservativ auf die Premiumanbieter bzw. deren Erst- und Zweitmarken konzentriert sowie darüber hinaus mit dem koreanischen Trio aus Hankook, Kumho und Nexen das Sortiment komplettiert. Eine Eigenmarke, eine Marke mit Exklusivstatus oder Budget- bzw. sogar Low-Budget-Reifen sucht man vergeblich im Pkw-Reifenangebot. Achim Becker: „So etwas passt nicht zu unserem Qualitätsverständnis. Wenn jemand partout einen günstigen Pkw-Reifen über uns beziehen will, dann haben wir aber im Economy-Bereich durchaus auch preislich interessante Alternativen.“

Dass das Unternehmen markenorientiert ist, wird unter anderem auch durch Technologiepartnerschaften belegt, die für die hauseigenen Leichtmetallfelgenmarken eingegangen wurden und sich konkret in Kompletträdern widerspiegeln: Bei der Highend-Alurädermarke Zerra ist Continental Technologiepartner, bei der Premium-Alurädermarke ASA ist es Goodyear, und bei der aufstrebenden neuen und dem Trend zu unkomplizierten Produktlösungen folgenden Leichtmetallrädermarke Tec ist es Hankook. Kleinere Serien oder einzelne Rädersätze montiert Gewe über den hauseigenen und selbstredend auf den engen lokalen Markt beschränkten Einzelhandel, der auf dem gleichen Areal angesiedelt ist, bei größeren Komplettradpartien nimmt man auch schon mal die Unterstützung befreundeter Händlerkollegen in Anspruch.

Die Zeiten globaler Warenströme und des grauen Reifenmarktes liegen längst in weiter Ferne. Gewe hat konkrete Vereinbarungen mit den Reifenherstellern, die Planungszeiträume bis zu fünf Jahre umfassen. Bis auf das Markengespann Bridgestone/Firestone, das nur marginal vermarktet wird, spiegelt der Gewe-Pkw- und -Lkw-Reifenumsatz (Absatz jährlich konstant gut 100.000 Einheiten, bei besserer Verfügbarkeit von Lkw-Reifen auch mal mehr) in etwa die Marktverhältnisse wider.

Bei ganz speziellen Großreifen für die Landwirtschaft, industrielle Einsätze, für Baumaschinen, in Häfen, Minen usw. aber sind die Verhältnisse dann doch etwas anders: Gewe hat sich hier über die Jahre hinweg eine Sonderstellung im Markt erarbeitet und Zugriff auf einige teils extrem selten nachgefragte Größen, Ausführungen und Fabrikate aus Russland, China oder sonstigen Ursprungs. Wo andere Grossisten mit Nutzfahrzeugreifenangebot passen müssen, hält Gewe ein Lager vor oder ist Gewe zumindest in der Lage, solch ein Produkt schnellstmöglich zu besorgen. In diesem Zusammenhang sind auch für einen Reifengroßhändler ungewöhnliche Messebeteiligungen wie in Moskau oder Bologna zu sehen: Bei Groß- und Spezialreifen für Nutzfahrzeuge der verschiedensten Art ist Gewe in hohem Maße international orientiert. Das führt dazu, dass Gewe für manch ein exotisch anmutendes Fabrikat zwar gar keinen Exklusivanspruch erhebt, ihn de facto aber hat.

Bei Pkw- und Lkw-Standardreifen ist dies hingegen ganz anders: Das Unternehmen ist ein – übrigens auch auf den bekannten Plattformen vertretener – nationaler Händler und tatsächlich eher mit bundesweiter denn mit regionaler Abdeckung. Das hängt einerseits damit zusammen, dass der Grossist mit eigentlich allen relevanten in Deutschland operierenden Reifeneinzelhandelsketten bereits seit Jahren eng zusammenarbeitet und andererseits der „typische“ Gewe-Kunde – sofern es so etwas denn gibt – schon mal acht Pkw-, vier Lkw- und zwei Baumaschinenreifen ordert. Das gibt’s aus einer Hand nur bei einem Großhändler wie Gewe. Und das weiß man übrigens auch jenseits der nahen Grenze zu Frankreich zu schätzen: Dortige Garagisten nehmen gerne mal die Dienste des deutschen Großhändlers in Anspruch.

Die Lauterer leisten sich einen eigenen Fuhrpark bestehend aus vier Zugmaschinen und zehn Anhängern/Trailern: Denn während Pkw-Reifen stück- und satzweise ohne jegliche Probleme wie von jedem anderen Reifengroßhändler auch per Paketdienst versandt werden können, würde sich ein solcher Service für Großreifen niemals rechnen. Also ist ein Gewe-Lkw-Zug typischerweise mit einem Mix verschiedenster Reifenarten bestückt, sodass sich der eigene Fuhrpark, der im Allgemeinen festen Tourenplänen folgt, durchaus rechnet.

„Anpacken“ erscheint als eine Gewe-Devise, nicht über Dinge reden und sie gegebenenfalls zerreden. Strategiepapiere werden Pina, Döring und Becker kaum je geschrieben haben. Dinge einfach auszuprobieren, geht dabei natürlich auch mal schief, wie Achim Becker freimütig an den letztendlich gescheiterten Versuch erinnert, beispielsweise Motorradreifen ins Sortiment aufzunehmen. Statt dessen hat man – um auch ein positives Beispiel zu nennen – mit dem Vertrieb von Lkw-Schmiederädern der Marke „Alux“ aus Korea begonnen und konnte gleich so an die 10.000 Einheiten überwiegend erstausrüstungsnah für Trailer und Anhänger vermarkten. Noch viel weniger, so an die jährlich tausend Stück, dürften es im sehr engen Markt der Pkw-Highend-Schmiederäder der Eigenmarke Zerra sein. Als Becker realisierte, dass Wettbewerber an der Technik für den Zentralverschluss scheiterten, beteiligte sich sein Unternehmen kurzerhand an einer Fräserei in Bosnien, die solche Räder unter anderem herstellt. „Vom Entwurf bis zum Finish – alles in-house“, ist Becker stolz. detlef.vogt@reifenpresse.de

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