Motorradreifenmarkt: Zweifel an deutlichem Plus 2010 – Zuversicht für 2011

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Glaubt man den vom Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseurhandwerk e.V. (BRV) veröffentlichen Zahlen zum Reifenersatzgeschäft 2010, so hat der Motorradreifenabsatz Handel an Verbraucher im vergangenen Jahr hierzulande um sage und schreibe 15 Prozent zulegen können. Demgegenüber ist im Markt ansonsten – wenn überhaupt – allenfalls eher von einem ganz leichten Plus die Rede. Einigkeit herrscht allerorten aber mit Blick auf die diesjährige Saison: Industrie, Handel, Verbände sind gleichermaßen optimistisch, was das Motorrad(reifen)jahr 2011 betrifft.

Auffällig bei der vom BRV gemeldeten Entwicklung der Absatzzahlen im Endverbrauchergeschäft mit Motorradreifen ist nicht erst seit der vergangenen Saison die sehr große Korrelation mit dem Verlauf der Sell-in-Zahlen der Industrie bzw. der ERMC (European Rubber Manufacturers’ Conference). Insofern liegt die Vermutung nahe, dass sich der Reifenfachhandelsverband von dem Zahlenwerk der Reifenhersteller hat „inspirieren“ lassen. Davon geht man auch bei Reiff in Reutlingen aus, wo man sich seit der Anfang des Jahres erfolgten Übernahme von Reifen Krupp als größter europäischer Motorradreifenhändler versteht. Jedenfalls sagt Alec Reiff, Leiter Fachhandel bei den Reutlingern, dass sich das vom BRV für 2010 gemeldete 15-prozentige Plus beim Motorradreifenabsatz Handel an Verbraucher mit Blick auf das Endverbrauchergeschäft im eigenen Hause nicht nachvollziehen lasse. „Aus unserer Sicht können wir die Zahlen des BRV in diesem Bereich nicht bestätigen. Vermutlich orientiert sich der Verband bei dieser Einschätzung an den ERMC-Zahlen: Das tatsächliche Endverbrauchergeschäft spiegeln diese Zahlen aus unserer Sicht weder für Deutschland noch für Reiff wieder“, sagt er.

„Wir gehen für das Jahr 2010 von einem Rückgang im Motorradreifenendverbrauchergeschäft von rund fünf Prozent aus. Dabei ist aufgrund der Witterungsverhältnisse der Süden Deutschlands stärker betroffen als der Norden. Die optimistischeren ERMC-Zahlen lassen sich auf drei wesentliche Faktoren zurückführen. Zunächst einmal haben lukrative Importmöglichkeiten durch das europäische Pricing der Marktführer (Michelin, Metzeler und Pirelli) stark abgenommen. Hinzu kommt, dass viele Großhändler aufgrund der wirtschaftlichen Lage die Frühjahrsdisposition für 2010 erst 2010 gemacht haben. Und nicht zuletzt wurde der Lagerbestand im Zuge der Wirtschaftskrise 2009 deutlich reduziert und dann in 2010 wieder aufgestockt“, so Reiff auf konkrete Nachfrage der NEUE REIFENZEITUNG. Ähnlich sieht Jens Engelking, Leiter des Zweiradbereiches bei der Delticom AG, die Sache. „Der Zuwachs in der Europool-Statistik ist im Verschieben von Volumen aus Importen hin zur nationalen Industrie zu sehen, begründet auf angepasstem europäischen Pricing“, meint er. Im Endverbrauchergeschäft sei der Motorradreifenabsatz 2010 in Deutschland demgegenüber „leicht zurückgegangen bzw. auf Vorjahresniveau zu sehen“.

Nach dem, was der Zweiradbereifung Hohl GmbH vonseiten ihrer Kunden zu Ohren gekommen ist, kann auch der in Leverkusen-Hitdorf beheimatete und allein auf das Geschäft mit Motorradreifen spezialisierte Großhändler ein starkes Wachstum im Endverbrauchergeschäft nicht nachvollziehen. „Als Großhändler bekommen wir von unseren Kunden aus dem Motorrad- und Reifenfachhandel ein repräsentatives Meinungsbild. Dieses lässt nur schwer ein Wachstum im Jahr 2010 vermuten. Wir konnten zwar auch im letzten Jahr ein Unternehmenswachstum erreichen, jedoch ist dieses eher auf den Ausbau des Kundenstammes als auf ein generelles Umsatzwachstum pro Kunde zurückzuführen. Grundsätzlich vermuten wir daher eher ein leichtes Minus im Endverbrauchergeschäft“, meint Verkaufsleiter Manfred Temme. Dieses Meinungsbild hat sich auch in stichprobenartigen, beileibe jedoch nicht repräsentativen Anfragen bei einigen im Motorradreifengeschäft aktiven Reifen- sowie Motorrad- und Zubehörhändlern ergeben.

Wenn einer von ihnen gegenüber dieser Fachzeitschrift tatsächlich von einem Plus gesprochen hat, dann allenfalls von einem im Vergleich zum offiziellen BRV-Wert vergleichsweise kleinen: Maximal war von einem Zuwachs in der Region bis drei Prozent die Rede, vielfach aber auch hier eher von einem Minus bzw. Stagnation. Einzig Konrad Markus, Inhaber der B2C-Motorradreifenplattform unter www.mynetmoto.com, berichtet gegenüber der NEUE REIFENZEITUNG von einer sogar noch besseren Geschäftsentwicklung als vom BRV aus dem Blickwinkel des Reifenfachhandels publiziert: Man verzeichne jedes Jahr ein Plus zwischen 30 und 50 Prozent, und dies gelte auch für 2010, sagt er. „Im Onlinehandel sind jährlich steigende Wachstumsraten zu verzeichnen, unabhängig von dem verkauften Produkt. So auch bei den Motorradreifen“, begründet Konrad Markus dies. Von anderer Seite werden demgegenüber meist mehr oder weniger dieselben Faktoren genannt, die das Motorradreifengeschäft im vergangenen Jahr negativ beeinflusst haben.

„Zunächst gab es einen sehr langen Winter bis in den April hinein. Dann hatten wir eine heiße Periode inklusive der Fußball-WM. Dadurch wurden wenige Kilometer gefahren. Anschließend schlug Petrus erneut mit einem katastrophalen August zu, der die höchsten Niederschlagsraten seit Aufzeichnung des Wetters lieferte. Diese Faktoren bewegten die Biker leider eher zum Stehenlassen ihrer Motorräder bzw. zur Nutzung ihrer Pkw“, bringt es Engelking auf den Punkt. „Was für den Winterreifenabsatz gut war, war dem Motorradreifengeschäft nicht zuträglich. Die Anzahl an sonnigen Wochenenden war sehr begrenzt und der für Ausfahrten beliebte Mai war einer der schlechtesten überhaupt. In der Regel sind April und Mai die umsatzstärksten Monate – fehlende Umsätze nach dieser Zeit wieder einzuholen, ist nur mit einem Jahrhundertsommer möglich. Und den hatten wir im vergangenen Jahr nicht: Zwar war es vier Wochen extrem heiß, fast zu heiß fürs Motorradfahren, aber dann kam wieder ein kalter August, sodass Motorradfahrer 2010 nicht auf ihre Kosten kamen“, ergänzt Alec Reiff. Neben dem Wetter, welches das Motorradreifengeschäft negativ beeinflusst habe, hat sich seinen Worten zufolge zudem der Wettbewerb deutlich verschärft. Als Folge dessen habe man sich im zurückliegenden Jahr trotz einer zeitweise angespannten Liefersituation mit deinem deutlichen Preisverfall auseinanderzusetzen gehabt.

All dies wirft vor allem zwei Fragen auf. Wie hat sich der Motorradreifenabsatz 2010 denn nun tatsächlich entwickelt? Und was ist diesbezüglich von der aktuellen Saison zu erwarten? Eine von dieser Zeitschrift vorgenommene Analyse der bei Verkaufsangeboten genannten Kilometerstände gebrauchter Maschinen in Relation zum Jahr ihrer Erstzulassung hat keine signifikante Veränderung der jährlichen Motorradfahrleistung während der jüngeren Vergangenheit ergeben: Sie liegt im Mittel irgendwo bei 3.500 Kilometern pro Jahr und stimmt damit immer noch ganz gut mit dem Wert von etwa 3.600 Kilometern überein, welche das Europäische Motorradinstitut auf gleichem Wege für 2004 ermittelt hatte (vgl. NEUE REIFENZEITUNG 2/2004). Insofern liegt der Schluss nahe, dass sich an dem damals ermittelten Reifenersatzkoeffizienten von 0,3 je Maschine und Jahr aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls nicht allzu viel geändert haben dürfte. Zusammen mit dem vom Industrieverband Motorrad (IVM) für 2010 genannten Bestand von bundesweit leicht mehr 3,8 Millionen motorisierten Zweirädern lässt sich daraus ein Motorradreifenabsatzvolumen von 1,15 Millionen Einheiten abschätzen, was einem Plus von etwa zwei Prozent gegenüber 2009 entspräche.

Aber freilich ist selbst dies nur ein „Stochern im Nebel“, wenn sogar der BRV – wie dessen Geschäftsführer Hans-Jürgen Drechsler meint – nicht ausschließen kann, dass er mit seiner Einschätzung „daneben“ liege. „Wir haben bezüglich der von uns veröffentlichten Zahlen [zum Motorradreifenabsatz Handel an Verbraucher] sowohl Zustimmung als auch Widerspruch erfahren“, so Drechsler. Nach dem sich bei der Branchenvertretung in Sachen Lagerbestand im Handel allerdings keine Anzeichen für etwaige Veränderungen – weder für einen maßgeblichen Bestandsaufbau noch für einen entsprechenden Bestandsabbau – gegenüber 2009 ergeben hätten, gehe man beim BRV davon aus, dass sich das 2010er Plus im Sell-in in mehr oder weniger analoger Form so auch im Sell-out widergespiegelt habe. Was man bei der Marktbetrachtung ohnehin außen vor gelassen habe, seien mögliche Exporte von Motorradreifen ins Ausland. Auch dies – so vermutet Drechsler – könnte eine Ursache für mögliche Abweichungen sein. Genaueres Zahlenwerk in Sachen Motorradreifen sowie für andere Nischenmärkte wäre dem BRV-Geschäftsführer eigenen Aussagen zufolge freilich ebenfalls lieb – allein gesicherte Daten zum Kerngeschäftsfeld Pkw-Reifen zusammenzutragen gestalte sich aber schon schwierig genug, sagt er.

Für das laufende Jahr rechnet der BRV nun jedenfalls mit einem weiteren, allerdings mit knapp einem Prozent deutlich kleinerem Plus, was absolut gesehen auf alles in allem 1,31 Millionen Einheiten hinauslaufen soll. Mit dieser Einschätzung liegt der Verband tendenziell auf einer Linie mit dem Rest der Branche. Nicht nur vonseiten der Reifenhersteller hat man sich gegenüber der NEUE REIFENZEITUNG zuversichtlich geäußert, dass 2011 nicht nur ein Zuwachs beim Sell-in, sondern wohl auch beim Sell-out zu verzeichnen sein wird. Wie groß das Plus letztendlich wirklich sein wird, wagt angesichts der vielen Unwägbarkeiten allerdings keiner zu prognostizieren. „Die finanzielle Lage [der Verbraucher] scheint besser zu sein, die Frühjahrsmessen sind besser besucht – wenn das Wetter mitspielt, wird das ein gutes Jahr“, glaubt Konrad Markus ebenso wie Jens Engelking: „Wir sehen der Entwicklung 2011 positiv entgegen. Die ersten zwei Monate des Jahres mit deutlich gestiegener Kauflust zeigen, dass die Verbraucher nach dem Schlechtwetterjahr 2010 ausgehungert auf Zweiradspaß sind. Das bildet sich sowohl in der Neuzulassungsstatistik ab als auch an der gestiegenen Motorradreifennachfrage der ersten zwei Monate 2011.“

Bei Reiff geht man davon aus, in diesem Jahr zumindest etwa das gleiche Niveau wie 2010 erreichen zu können. „Wir arbeiten aber natürlich daran, dieses Niveau leicht auszubauen, und wenn das Wetter mitspielt, bin ich optimistisch, dass wir den leichten Einbruch aus dem letzten Jahr wieder ausgleichen werden“, gibt sich aber auch Alec Reiff eher zuversichtlich, was die neue Saison betrifft. „Es gibt einige Dinge, die auf ein besseres Geschäft 2011 hoffen lassen. Neben dem Wetter, das uns zumindest momentan [Ende März] deutlich in die Karten spielt, ist insgesamt die Stimmung im Groß- und Einzelhandel optimistischer. Und auch die Endkunden geben wieder mehr Geld aus. Die anspruchsvolle Liefersituation der Industrie ist ebenfalls schon spürbar“, ergänzt er. Dank der Akquisition von Reifen Krupp sieht man sich diesbezüglich allerdings „außerordentlich gut aufgestellt“ und rechnet Reiff nicht mit größeren Problemen in Sachen Verfügbarkeit.

Bei all dem scheint es einige Teilsegmente des Reifenmarktes für motorisierte Zweiräder zu geben, in denen auf jeden Fall mit einem (weiteren) Wachstum zu rechnen sein wird. Beispielhaft genannt seien hier etwa M+S-Reifen für Roller. „Nach Einführung der Winterreifenpflicht im vergangenen Jahr standen die Telefone bei uns nicht mehr still“, erzählt Pierre Schäffer, Leiter Vertrieb bei der Reifenwerk Heidenau GmbH & Co. KG, die in dieser Nische besonders gut aufgestellt ist und sogar einige Winterreifenmodelle für „echte“ Motorräder im Programm führt. Er berichtet im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG allerdings zugleich von Fällen, bei denen selbst der nahe Dresden beheimatete Hersteller beim besten Willen nicht weiterhelfen konnte. „Wir hatten teilweise sogar Hayabusa- oder Gold-Wing-Fahrer, die sich bei uns nach Winterreifen für ihre Maschinen erkundigten“, erinnert sich Schäffer. Alles in allem habe man das Winterreifengeschäft letztlich „sehr gerne mitgenommen“, ergänzt er. Es sei aber teilweise zulasten anderer Dinge gegangen. „Das war kein Verkaufen mehr, sondern nur noch ein Verteilen“, sagt der Heidenau-Vertriebsleiter.

Vor diesem Hintergrund will das Unternehmen seine Hallenflächen erweitern und so die Kapazitäten im Zweiradbereich aufstocken. Denn der nächste Winter kommt bestimmt, und so mancher (Roller-)Fahrer nutzt sein Fahrzeug eben auch in der kalten Jahreszeit. „Bedingt durch den Gesetzgeber zeichnet sich ein Trend zu M+S-Scooterreifen ab, von dem auch wir stark profitiert haben. Das Segment Tourensport radial, also der Reifen für alle Fälle, wächst nach wie vor weiter an. Auch der Bereich Diagonalreifen scheint wiederbelebt. Viele Kunden scheinen ihre Youngtimer-Motorräder wieder gezielt flott zu machen“, sieht Engelking auch über den Rollerbereich hinaus positive Impulse für den Zweiradreifenmarkt. Die Zeichen scheinen in diesem Jahr also tatsächlich auf Wachstum zu stehen. Auch wenn selbst die größten Optimisten sicherlich nicht mit einem Plus im zweistelligen Prozentbereich rechnen. christian.marx@reifenpresse.de

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