Blick auf das Preis-Leistungs-Verhältnis von Motorradreifenmarken

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Selbst wenn im Zusammenhang mit Motorradreifen anders als bei Bereifungen für vierrädrige Fahrzeuge eigentlich so gut wie nie Begriffe wie Premium-, Qualitäts- und Budget- oder Low-Budget- bzw. sogar Low-Low-Budget-Segment zu hören sind und die Claims im deutschen Motorradreifenmarkt im Großen und Ganzen abgesteckt zu sein scheinen, hat sich die NEUE REIFENZEITUNG an einer Differenzierung der hierzulande den Ton angebenden Marktspieler basierend auf dem Preis-Leistungs-Verhältnis der jeweiligen Marken versucht.

Verglichen mit dem Pkw-Reifengeschäft kann die Zahl der im deutschen Markt eine Rolle spielenden Motorradreifenmarken nur als übersichtlich bezeichnet werden. Neben Avon, Bridgestone, Continental, Dunlop, Metzler, Michelin und Pirelli fristen andere eher ein Nischendasein in Deutschland. Dabei stellt vor allem für die ansonsten allerorten in den Markt drückenden Hersteller aus Fernost oder die von ihnen produzierten Marken die Fabrikatsbindung bzw. der Freigabepraxis bei Motorradreifen hierzulande augenscheinlich eine bis dato offenbar unüberwindliche Hürde dar. Auch lassen sich offenbar weder mit Spezialitäten wie M+S-Reifen für motorisierte Zweiräder – ein Bereich, in dem beispielsweise das Reifenwerk Heidenau früh auf sich aufmerksam zu machen wusste – noch mit besonderen Wettbewerbsreifen für den Einsatz auf und abseits befestigter Straßen den hierzulande sieben mehr oder weniger fest etablierten Marken in nennenswerterem Umfang Marktanteile abjagen.

Zumal erschwerend noch hinzukommt, dass gemäß den von der European Rubber Manufacturers’ Conference (ERMC) erhobenen Daten reinrassige Renn- oder Offroadreifen zusammen gerade einmal rund neun Prozent des deutschen Motorradreifenmarktes für sich reklamieren können. Umgekehrt stehen Reifen für Maschinen aus dem Sporttouring- und dem Hypersportsegment in Summe für knapp 70 Prozent des Marktes – in Deutschland wie in Europa insgesamt. Kein Wunder also, dass die Reifenindustrie gerade in diesen beiden Bereichen immer wieder mit Produktneuvorstellungen aufwartet, in die sie jeweils ihre neusten Konzerntechnologien hat mit einfließen lassen. Kaum ein Jahr vergeht, in dem nicht gleich mehrere dem Touren- oder Hypersportsegment zuzurechnende Reifen der sieben maßgeblichen Hersteller im Markt neu eingeführt werden. Erinnert sei beispielsweise an Bridgestones „Battlax BT-003 Racing Street“, Dunlops „Qualifier II“, Michelins „Power Pure“ oder Pirellis „Angel ST“ 2009 sowie unter anderem an Avons „Storm 2 Ultra“, den Bridgestone „Battlax BT-023“, Continentals „Road Attack 2“, den „Sportmax SportSmart“ oder Metzelers „Sportec M5 Interact“ und „Roadtec Z8 Interact“ im vergangenen Jahr.

Und 2011 setzt sich dieser Reigen an Neuheiten unvermindert weiter fort. So hat Pirelli seinen „Diablo Rosso II“ schon im Spätherbst des abgelaufenen Jahres im Rahmen der Messe EICMA erstmals präsentiert, die ersten Größen Modells sind seit Anfang 2011 verfügbar. Zunächst soll es sich dabei – sagt der Hersteller – um die wichtigsten Dimensionen handeln: 110/70 ZR17 M/C 54W und 120/70 ZR17 M/C (58W) für das Vorderrad sowie 180/55 ZR17 M/C (73W), 190/50 ZR17 M/C (73W), 190/55 ZR17 M/C (75W) und 240/45 ZR17 M/C für das Hinterrad. Weitere Größen des „Diablo Rosso II“ werden aber bereits für das Frühjahr bzw. ab April 2011 in Aussicht gestellt: die Vorderradgröße 120/60 ZR17 M/C (55W) sowie die Hinterraddimensionen 150/60 ZR17 M/C 66W, 160/60 ZR17 M/C (69W) und 170/60 ZR17 M/C (72W). „Zum Start in die Saison werden Freigaben für alle wichtigen Sportmotorräder und Naked Bikes vorliegen. Unter diesen werden auch Mischfreigaben sein, um einen schrittweisen Umstieg vom ‚Diablo Rosso’ auf den ‚Diablo Rosso II’ zu ermöglichen“, so Pirelli.

Auch Michelin legt nach, anders als Pirelli aber nicht im Sport-, sondern im Tourensportsegment: Nach dem 2002 von den Franzosen eingeführten „Pilot Road“ und dem fünf Jahre später gefolgten „Pilot Road 2“ wird nun der „Pilot Road 3“ für die diesjährige Saison angekündigt. Der neue Tourensportreifen, der seit Jahresbeginn verfügbar sein soll, werde seinen Vorgänger noch einmal übertreffen, sagt der Hersteller mit Blick im Wesentlichen auf den Nassgrip des Reifens. Denn dank einer neuen, „XST“ (steht für X Sipe Technology) genannten Lamellentechnologie habe man den bis zum letzten Kilometer „deutlich verbessern“ können, wie es unter Bezug auf interne Vergleichstests mit dem „Pilot Road 2“ heißt. Wie sein Vorläufer kann übrigens auch die dritte Auflage des „Pilot Road“ mit einer Zweikomponentenlaufflächenmischung aufwarten, für die bei Michelin das Kürzel „2CT“ steht. „Der neue Sporttouringreifen wird allen Motorradfahrern zugutekommen, die sowohl bei Fahrspaß, Grip, Langlebigkeit und Fahrverhalten keine Kompromisse eingehen wollen“, verspricht der Reifenhersteller.

Diese Vielzahl an neuen Modellen innerhalb kürzester Zeit zeigt zum einen, wie kurz teilweise die Produktzyklen in den beiden wichtigsten Motorradreifenmarktsegmenten sind. Das lässt wiederum darauf schließen, wie wettbewerbsintensiv es hier zugeht. Denn ohne Grund wird kein Unternehmen ein Produkt früher als nötig durch eine Neuentwicklung ersetzen: Selbst wenn also „nur“ sieben Marken um rund 70 Prozent des Marktes „kämpfen“, so wird doch um jedes Quäntchen Leistungsvorsprung vor dem Wettbewerb gerungen. Insofern verwundert nicht, dass sich die etablierten Motorradzeitschriften bei ihren regelmäßigen Reifenvergleichstests vor allem den Produkten aus dem Sport- und Tourensportsegment widmen. Damit ist eine Grundlage gegeben, um die verschiedenen Marken mit Blick auf die Leistungsfähigkeit ihrer Produkte miteinander zu vergleichen. Zugleich lassen sich die so ermittelten Ergebnisse im Zeitalter des Internets relativ leicht mit der Preispositionierung der fraglichen Modelle (gegenüber dem Endverbraucher) in Bezug setzen. Daraus ergibt sich letztendlich eine Differenzierung der sieben Marktspieler basierend auf dem Preis-Leistungs-Verhältnis.

Wie die NEUE REIFENZEITUNG dabei genau vorgegangen ist? Zunächst wurden die Testergebnisse der vergangenen beiden Jahre von „Europas größter Motorradzeitschrift“ verglichen: Sowohl 2009 als auch 2010 hat das Magazin Motorrad im Frühjahr zwei separate Tests jeweils von Sport- und Tourensportreifen veröffentlicht – die dabei erreichte Punktewertung des Testsiegers wurde auf 100 Prozent normiert und die Gesamtleistung der restlichen Kandidaten dann in Bezug dazu gesetzt. Da die Produktzyklen bei Motorradreifen der fraglichen beiden Segmente doch recht kurz sind, wurde ganz bewusst auf die Einbeziehung älterer Vergleichstests verzichtet. So sind einige Modelle, denen Motorrad noch 2008 auf den „Zahn“ gefühlt hat, schon ein Jahr später nicht mehr im Testfeld zu finden, sondern durch Weiter- bzw. Neuentwicklungen ersetzt worden. Und dass gerade die Motorrad-Tests für die Analyse herangezogen wurden, ist damit begründet, dass diese das höchste Renommee in der Zweiradbranche besitzen. In Sachen Preispositionierung wurden anfangs der zweiten Kalenderwoche 2011 bei drei unterschiedlichen B2C-Shops (Delticom, MyNetMoto, Pneus-Online) die Kosten für die jeweiligen Reifenpaarungen getrennt nach den vier insgesamt Tests – Tourensportreifen in Motorrad 13/2009 und 11/2010, Sportreifen in Motorrad 12/2009 und 12/2010 – und unter Berücksichtigung der konkret gefahrenen Dimensionen recherchiert. Hier wurde nun die im Mittel je Test teuerste Kombination auf 100 Prozent normiert und alle anderen dazu ins Verhältnis gesetzt.

Im Idealfall kämen so je Marke vier Wertpaare aus Leistung (bzw. Abschneiden beim Test) und Preis zusammen, über die man dann noch einmal mitteln kann. Allerdings hatten nicht immer alle der sieben Marken bei sämtlichen Tests einen Vertreter aus ihrem Portfolio am Start. Trotz derlei Einschränkungen und der begrenzten Datenbasis für eine statistische Auswertung ergibt sich rein qualitativ eine durchaus plausible Momentaufnahme der derzeitigen Gegebenheiten im Markt – zumindest was das Segment der Bereifungen für Sport- und Tourensportmaschinen betrifft. Zusammenfassend lässt sich das Ganze wie folgt formulieren: Die Marken Dunlop, Michelin und Pirelli liegen sowohl preislich als auch in Bezug auf ihre Leistung auf mehr oder weniger demselben Niveau, während Conti-Reifen für das von ihnen Gebotene deutlich zu billig vermarktet werden sowie für Avon und Bridgestone eher das Umgekehrte gilt – Metzler wiederum präsentiert sich mit einem annährend ausgewogenen Preis-Leistungs-Verhältnis, liegt aber in Preis- und Leistung leicht hinter dem Spitzentrio zurück.

Man muss sich aber vor Augen halten, dass bei all dem die Leistungsunterschiede zwischen den Marken recht gering sind. Zwischen derjenigen mit dem im Mittel besten Abschneiden bei den Tests (Michelin) und der durchschnittlich über die vergangenen beiden Jahre „schlechtesten“ (Bridgestone) liegt eine Differenz von gerade einmal rund acht Prozentpunkten. Und dabei zeigt die diesbezügliche Einstufung letzterer Marke sogar noch eine ziemlich starke Schwankungsbreite. Denn der „Battlax BT-023“ wusste beim Motorrad-Test von Tourensportreifen im vergangenen Jahr mit einem dritten Platz bei insgesamt sieben angetretenen Wettbewerbsmodellen zwar durchaus zu überzeugen, dafür aber wurde der „Battlax BT-016“ in den Sportreifentests 2009 und 2010 des Magazins vor allem wegen Schwächen auf nasser Fahrbahn mit relativ großem Abstand zur Konkurrenz Letzter. Kein Wunder also, dass Bridgestone seit vergangenem November in Form des „Battlax BT-016 Pro“ einen neuen Reifen im Programm hat, der vor allem hinsichtlich der Kriterien Nasshaftung und Laufleistung zugelegt haben soll.

Ähnlich groß präsentierte sich bei der Reifenmarke Bridgestone Anfang Januar die Schwankungsbreite der Verkaufspreise bei den jeweils infrage kommenden Reifenpaarungen, wobei bei allen Tests am Vorderrad die Größe 120/70 ZR17 zum Einsatz kam und mit den Hinterraddimensionen 190/55 ZR17 (Motorrad 12/2010), 180/55 ZR17 (Motorrad 11/2010 und Motorrad 13/2009) sowie 190/50 ZR17 (Motorrad 12/2009) kombiniert wurde. Dafür aber ist Abstand zu der am teuersten im Markt platzierten Marke, die wiederum Michelin heißt, mit im Durchschnitt lediglich drei Prozentpunkten recht klein. Ähnlich stark schwanken im Übrigen auch die Preise, die für Conti-Motorradreifen aufgerufen werden: Sie liegen aber – zumindest gemessen am Anschneiden bei den Motorrad-Reifenvergleichstests der beiden vergangenen Jahre – mit im Mittel rund elf Prozentpunkten erstaunlich weit hinter der Spitze des Feldes zurück. Bemerkenswert ist außerdem das im Rahmen unserer Analyse festgestellte vergleichsweise hohe Preisniveau für die Avon-Reifenpaarungen, das nur rund zwei Prozentpunkte unter der teuersten Marke liegt.

Aber was lehrt uns all das? Man könnte basierend auf dieser Untersuchung zwei Schlussfolgerungen ziehen. Die erste lautet, dass es hierzulande richtig schlechte Motorradreifen für das Segment der Tourensport- und Sportmaschinen von den Marken Avon, Bridgestone, Continental, Dunlop, Metzler, Michelin und Pirelli nicht gibt. Denn was sind im Vergleich zu den gängigen Pkw-Reifentests schon acht Prozentpunkte Leistungsunterschied? Zum Vergleich: Setzt man die sich aus der Gewichtung der fünf Teildisziplinen (bei Trockenheit, bei Nässe, Geräusch, Kraftstoffverbrauch, Verschleiß) ergebende Durchschnittsnote von 2,3 des Siegers beim letztjährigen Sommerreifentest der ADAC Motorwelt in der Größe 185/65 R15 H (Pirelli „Cinturato P6“) mit dem entsprechenden Ergebnis von 3,6 des Letztplatzierten (Goodride „S06“) ins Verhältnis, so ergibt sich bei einer analogen Betrachtungsweise ein Leistungsunterschied von sage und schreibe etwa 55 Prozentpunkten!

Als Zweites kann man festhalten, dass die preisliche Positionierung der Marken innerhalb der beiden jeweiligen Produktsegmente nur in sehr begrenztem Umfang Rückschlüsse auf die konkrete Leistungsfähigkeit der entsprechenden Motorradreifenmodelle zulässt. Oder anders formuliert: Gutes muss nicht teuer sein, und ein teurer angebotenes Produkt kann, muss jedoch nicht automatisch auch besser sein als das günstigere. In das Preisgefüge scheinen neben harten Fakten demnach also offenbar solche weichen Faktoren wie etwa das Markenimage mit hineinzuspielen. Insofern bleibt dem Verbraucher beim Reifenkauf auch zukünftig nicht erspart, seine individuellen Vorlieben und Ansprüche mit den spezifischen Stärken und Schwächen der verfügbaren Motorradreifenmodelle in Einklang zu bringen. Die neuesten Testberichte der bekannten Motorradzeitschriften für die aktuelle Saison werden sicherlich nicht mehr lange auf sich warten lassen. Und außerdem gibt es ja noch Reifenhändler, die sich in dieser kleinen – anders kann man das Motorradreifengeschäft angesichts eines jährlichen Ersatzmarktvolumens von um die 1,3 Millionen Einheiten (bei Pkw-Reifen waren es 2010 knapp 52 Millionen Stück) wohl nicht bezeichnen –, aber nichtsdestoweniger spannenden Nische des Marktes durchaus zu profilieren wissen. christian.marx@reifenpresse.de

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