50 Jahre Pirelli in der Türkei und „Fabrik der Champions“

Die Werke der Wettbewerber Brisa (Joint Venture Bridgestone/Sabanci, Marke Lassa) und Goodyear sind in der türkischen Stadt Izmit nur einen Steinwurf vom größten Reifenwerk des Pirelli-Konzerns weltweit entfernt. Die Fabrik feiert dieser Tage ihr 50-jähriges Jubiläum und steht damit für die Anfänge der Hinwendung der Türkei zur Industrialisierung. Mit der Einweihung einer „Fabrik der Champions“, in der die hochwertigsten Motorsportreifen, vor allem die für die Formel 1, hergestellt werden, geht auch die Botschaft in die Welt, dass sich die Türkei zu einem hochdynamischen Wirtschaftsstandort entwickelt, so Gianpaolo Scarante, italienischer Botschafter in der Türkei, und Andrea Pirondini (CEO von Turk Pirelli Lastikleri) im Rahmen einer Pressekonferenz in Izmit. Pirelli ist für die Türkei von größter Bedeutung, aber die Türkei auch für Pirelli.

Mit mehr als einer halben Milliarde Euro Umsatz dürfte Pirelli in diesem Jahr in der Türkei kräftig zulegen (2009: 320 Mio. Euro mit Reifen, 68 Mio. Euro mit Stahlkord), gut 1.800 Menschen arbeiten für den italienischen Konzern im Lande. Hergestellt werden in der Fabrik ungefähr 7,5 Millionen Pkw-/LLkw- und 800.000 große Lkw-Reifen entsprechend Reifen für 15.000 Tonnen. Auf einer Gesamtfläche von 340.000 Quadratmetern findet auch die Celikord A.S. Platz und produziert jährlich mehr als 40.000 Tonnen Stahlkord für die Reifenindustrie. Derzeit wird die Produktionseinheit für Motorsportreifen modernisiert und nehmen die 140 hier beschäftigten Arbeiter sukzessive die Produktion der Reifentypen auf, die ab dem nächsten Jahr in der Formel 1 Verwendung finden.

Pirelli spricht in diesem Zusammenhang von einer „Fabrik der Champions“ – wobei es sich gewissermaßen um „Fabrik in der Fabrik“ handelt. Die Motorsportgeschichte Pirellis reicht bis ins Jahr 1907 zurück, als die Italiener Reifen für die legendäre Rallye „Paris – Peking“ zur Verfügung stellten und auch siegreich waren. Legendäre Motorsportgrößen wie Antonio Ascari, Juan-Manuel Fangio, Carlos Sainz oder Nelson Piquet, der 1991 den letzten Formel-1-Sieg auf Pirelli-Reifen errang, säumen den Weg des Traditionsunternehmens.

Ca. 200 Wettbewerbsreifentypen für verschiedene Markenserien, den Rallye- und GT-Sport sowie GP3, GP2 und eben künftig die Formel 1 umfasst heute das Produktportfolio. Von den 200.000 für 2011 geplanten Reifen sind etwa 50.000 für die Formel-1-Teams und 70.000 für die GP2 und GP3 reserviert. Die übrigen Reifen verteilen sich auf 60 internationale automobile Straßen- und Streckenwettbewerbe, die der Reifenhersteller ebenfalls exklusiv mit Pneus ausstattet. Außerdem beliefert Pirelli namhafte Markenmeisterschaften wie die Ferrari Challenge, die Lamborghini Super Trofeo und die Trofeo Maserati. Auf Pirellis Rallyereifen wird die Weltmeisterschaft seit 2008 und bis zum Ende dieser Saison exklusiv ausgefahren. Rallyesport hat für Pirelli eine ruhmreiche Vergangenheit – genauso wie die Formel 1: Zwischen 1950 und 1958 sowie zwischen 1983 und 1991 hat Pirelli immerhin schon 42 Siege in der Königsklasse des Automobilsports verbuchen können.

Das Werk Izmit produziert seit 2007 in enger Kooperation mit der Forschungs- und Entwicklungsabteilung in Mailand die Pirelli-Reifen für den Motorsport. Nun wird es das Herz der Formel-1-Aktivitäten von Pirelli. Die Fertigung der F1-Reifen erfolgt auf der Basis von Simulationsmodellen, Mischungen und Strukturen, die von der Mailänder Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Konzerns kreiert wurden. In dieser Abteilung arbeiten über tausend Ingenieure und Techniker. In Kooperation mit dem Pirelli-Zentrum für die Vorbereitung von Sportreifen in Burton on Trent (Großbritannien) wird das Werk in Izmit zudem das Zentrum der gesamten Formel-1-Logistik. Dabei werden etwa 50 Techniker und 15 Lkw im Einsatz sein. Und wenn – wie vielfach erwartet – langfristig der Schritt in der Formel 1 von 13 Zoll messenden Pneus auf 18 Zoll, wie auf Hochleistungsautos für die Straße ja gängig, gemacht wird, ist Pirelli vorbereitet: Ein entsprechender in Kooperation mit Magneti Marelli und Brembo konstruierter Prototyp bzw. Forschungsträger eines F1-Boliden der Zukunft steht in der Produktionsstätte für F1-Reifen in Izmit.

140 Millionen Euro wurden in den vergangenen zehn Jahren in das Werk in Izmit investiert, für 2011 sind weitere Investitionen in Höhe von 30 Millionen Euro geplant. Die Kapazitäten gehen in den stark wachsenden heimischen Markt, die umliegenden Länder, aber sogar bis in deutsche Automobilwerke von Mercedes-Benz sowie die OE-Kunden Jaguar, Renault und Fiat. Neueste Technologien kommen zum Einsatz, so nutzt Pirelli in der Formel-1-Reifenfertigung auch Module der hauseigenen MIRS-Produktionsmethode (Modular Integrated Robotized System).

An der Pressekonferenz zum 50-jährigen Bestehen des Reifenwerkes und zur Einweihung der „Fabrik der Champions“ nahmen neben dem italienischen Botschafter Gianpaolo Scarante auch Nihat Ergün (türkischer Minister für Industrie und Handel), Marco Tronchetti Provera (Präsident des Pirelli-Konzerns), Francesco Gori (CEO von Pirelli Tyre) und Andrea Pirondini (CEO von Turk Pirelli Lastikleri) teil. Marco Tronchetti Provera verweist auf Wachstumsraten der türkischen Wirtschaft von elf Prozent im ersten und mehr als zehn Prozent im zweiten Quartal und dass die Türkei viel schneller aus der Wirtschaftskrise fährt als andere Nationen. Pirelli ist in der Türkei zur rechten Zeit am rechten Ort und habe dort eine Topfabrik, so der Unternehmenspräsident. Die großen globalen Wirtschafts- und Automobilunternehmen sind in der Türkei vertreten, und Pirelli hatte den Standort frühzeitig als zukunftsträchtig identifiziert. F1-Reifen aus der Türkei werden an den Rennstrecken in Monza, Budapest und Montreal von einem sich äußerst dynamisch entwickelnden Markt künden. detlef.vogt@reifenpresse.de

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