Kehren Spikereifen auf deutsche Straßen zurück?

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Die ungewöhnlich hartnäckige kalte Witterung der zurückliegenden Wochen ist bekanntlich nicht spurlos an der Verkehrsinfrastruktur hierzulande vorübergegangen. Die Beseitigung der Frostschäden auf den bundesdeutschen Straßen dürfte die ohnehin angespannte Haushaltslage von Bund, Ländern und Gemeinden nur noch weiter belasten. Dabei werden schnell andere Kosten wie etwa höhere Leistungen der Versicherer aufgrund glättebedingt größerer Unfallzahlen, die Kosten für die Reinigung der Straßen und Wege von Streugut oder für die Beseitigung/Kompensation der durch den – trotz zeitweiliger Versorgungsengpässe – massiven Streusalzeinsatz entstandenen Umweltschäden zumeist gar nicht mit eingerechnet. Vor allem letztere drei Aspekte haben nun wohl dazu geführt, dass eine in Deutschland tot geglaubte Technologie hierzulande unter Umständen wieder salonfähig werden könnte: Denn nach Informationen der NEUE REIFENZEITUNG haben Umweltaktivisten eine Initiative namens „Sicher ohne Salz“ (SOS) mit dem Ziel ins Leben gerufen, dass so schnell wie möglich und am besten schon zur Wintersaison 2010/2011 die Verwendung von Spikereifen in Deutschland wieder erlaubt wird.

Mit dieser Idee ist man anscheinend bereits beim Umweltbundesamt (UBA) vorstellig geworden und dort auf offene Ohren gestoßen. Zumal gerade die Natur von der Rückkehr der Spikereifen auf bundesdeutsche Straßen profitieren dürfte, da sich so doch der Einsatz des umweltschädlichen Streusalzes reduzieren ließe. Gleiches gilt analog natürlich für den mancherorts alternativ verwendeten Split. Von dem geht direkt zwar keine Gefährdung der Umwelt aus, er kann letztlich aber zu einer höheren Feinstaubbelastung der Luft führen, wie beispielsweise die Bild-Zeitung Anfang März berichtete. Wie das Blatt schreibt, wurden allein in Hamburg 9.000 Tonnen Split gestreut. Dabei wird das zugrunde liegende Granulat dafür verantwortlich gemacht, dass während der ersten zweieinhalb Monate des laufenden Jahres zum Beispiel am Messpunkt Sternschanze in der Hansestadt die erlaubte Höchstgrenze für die Feinstaubbelastung (50 µg/m³) schon 17-mal überschritten wurde. Zum Vergleich: Im ganzen Jahr 2009 war das demnach nur insgesamt fünfmal der Fall. „Splitt erhöht den Abrieb von Autoreifen und führt so zu erhöhter Feinstaubbelastung“, wird Marion Wichmann-Fiebig vom UBA in diesem Zusammenhang zitiert.

Unabhängig davon schlagen beim Spliteinsatz noch die Kosten für die Beseitigung des Streugutes zu Buche. Immerhin waren dem Zeitungsbericht zufolge zeitweise bis zu 450 Mitarbeiter der Hamburger Stadtreinigung und über 60 Kehrmaschinen im Einsatz. Was aber selbst Kritiker der SOS-Initiative überzeugen sollte, ist abgesehen von dem Umwelt- und dem Kostenargument der Sicherheitsaspekt: Denn auch wenn gesicherte Erkenntnisse dazu freilich noch nicht vorliegen, dürften die Unfallzahlen auf winterlichen Fahrbahnen bei wieder erlaubter Verwendung von Spikereifen aller Wahrscheinlichkeit nach weiter gesenkt werden können, wie analog dazu die seit 2006 hierzulande in der Straßenverkehrsordnung verankerte sogenannte „situative Winterreifenpflicht“ sicherlich mit dazu beigetragen hat, dass die Zahl der Verkehrstoten 2009 einen neuen Tiefststand erreicht hat. Vor Augen führen muss man sich dabei, dass unlängst eine Prognose des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) im Markt kursierte, wonach für den Zeitraum von Dezember 2009 bis Ende Februar 2010 mit rund 55.000 mehr Verkehrsunfällen gerechnet wird als im entsprechenden Vorjahreszeitraum. Von Zusatzkosten in Höhe von rund 230 Millionen Euro für die Versicherer ist in diesem Zusammenhang die Rede.

Selbst wenn sich tatsächlich eine Summe solcher Größenordnung oder vielleicht sogar mehr sparen ließe, bereitet bei all dem allerdings nach wie vor Kopfzerbrechen, dass mit Spikes versehene Reifen bei trockener Fahrbahn eine geringere Haftung aufweisen als solche ohne. Und wer weiß schon, ob angesichts des viel diskutierten Klimawandels der kommende Winter nicht wieder ein eher grüner als weißer wird. Zudem würden Spikereifen das ohnehin schon marode deutsche Straßennetz noch weiter in Mitleidenschaft ziehen und für ein höheres Abrollgeräusch sorgen, sind weitere Argumente, die eher gegen ihre Wiedereinführung sprechen. Nach Überzeugung der Initiative SOS sind dies allerdings Dinge, die in Griff zu bekommen seien. Vielleicht nicht gleich bei der ersten Generation der „neuen Spikereifen“, aber vielerorts – so wird jedenfalls argumentiert – sind die Straßen ja ohnehin kaputt und deren Ausbesserung bis zum nächsten Winter aufgrund der angespannten öffentlichen Haushalte eher Wunschdenken als Realität. Schon Ende Februar hatte der ADAC schließlich die Kosten für eine Beseitigung der durch den außerordentlich strengen Winter am kommunalen Straßennetz entstandenen Frostschäden auf bis zu drei Milliarden Euro geschätzt. christian.marx@reifenpresse.de

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