Große Herausforderung für Nikolai Setzer

So viel jedenfalls darf man sagen, ohne als überkritisch abgestempelt zu werden: Der Conti-Konzern ist nicht in bester Form und im Reifenbereich gilt das für die heftig unter Druck stehende Nutzfahrzeugdivision ebenso. Einzig der Geschäftsbereich Pkw-Reifen macht Freude und hält derzeit den ums Überleben kämpfenden Gesamtkonzern über Wasser. Profitabel war das Geschäft mit Pkw- und LLkw-Reifen schon seit Jahren. Selbst im Krisenjahr 2008, als sich im letzten Quartal weltweit die Umsatzrückgänge nur so häuften, lief es in Hannover immer noch recht gut. Mit einem Umsatz von rund 5,1 Milliarden Euro wurde ein Ebit von 626 Millionen Euro erwirtschaftet. Das ist nicht allein im Conti-Konzern selbst einsame spitze, sondern sucht auch international seinesgleichen.

Dabei hatte es 2008 so ausgesehen, als sei der Höhepunkt erreicht und dass es von nun an nur noch mit Mühen möglich sein würde, das hohe Ertragsniveau halten zu können. Einerseits ist auf den reifen Märkten, wo Continental eine herausragende Rolle spielt wie zum Beispiel im deutschsprachigen Europa und in Benelux, kein großes Wachstum mehr zu erwarten. Deshalb richtet sich das Unternehmen auch stark auf entwicklungsfähige und entwicklungsbereite Märkte aus, so natürlich in erster Linie auf Russland, aber auch auf andere mittel- und osteuropäische Länder sowie die Türkei. Nach Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise haben sich diese Erwartungen völlig geändert. In Russland ist derzeit wenig zu gewinnen, der Markt ist eingebrochen, vor allen Dingen aber fehlt es an akzeptablen Finanz- und Finanzierungsmöglichkeiten. Die große Herausforderung wird darin liegen, die einmal aufgebaute Händlerbasis nicht nur bei Laune, sondern auch handlungsfähig zu halten. Das funktioniert nicht ohne finanzielle Abstützung durch die Lieferanten, und da kann man sich in Hannover auch drehen und wenden wie man will, man kommt nicht an der Tatsache vorbei, dass die nicht sorgenfreie, aber finanziell dennoch stabile Bridgestone dabei ist, mächtig Boden gutzumachen. Und das ist nur eine der Herausforderungen.

Seit Finanzchef Alan Hippe, zeitgleich auch Chef der Conti Rubber Group und des Geschäftsbereichs Pkw-Reifen, zu den Stahlbaronen von ThyssenKrupp wechselte, wird dieser Geschäftsbereich von Nikolai Setzer (38) geführt. Das war ursprünglich anders gedacht. Setzer gehörte als Verantwortlicher für das Pkw-Erstausrüstungsgeschäft in Nordamerika zu der Truppe, mit der Hippe den Turnaround hinlegte. Im weiteren Verlauf holte er sodann Setzer und andere nach Deutschland und beschleunigte deren Karriere. Die Wirtschafts- und Finanzkrise ist Fluch und Segen zugleich, lässt sich im momentanen Umfeld wirklich kein Blumentopf gewinnen und erst recht wird es nicht möglich sein, die Vorjahreszahlen zu verbessern. Auch wird man nicht erkennen können, ob der Turnaround in Nordamerika langfristigen Bestand haben kann, sind doch die Probleme des Jahres 2009 nicht grundlegend andere als in den Jahren zuvor. So galt auch Chrysler bereits als saniert unter dem Deutschen Dieter Zetsche, dem sodann die Führung des Daimler-Konzerns auf Grund dieser Verdienste übertragen wurde. Dass es an Nachhaltigkeit fehlte, muss heute nicht mehr diskutiert werden. Kaum an der Spitze des Konzerns angekommen, brach in Detroit wieder einmal alles zusammen, ganz einfach deshalb, weil die Grundlagen für Erfolg nicht gegeben waren, erst recht nicht in einem wahnsinnig schwierigen wirtschaftlichen Umfeld.

Nun soll Setzer, damit Missverständnissen sofort der Raum genommen wird, nicht mit den Misserfolgen des in den USA einige Zeit geradezu als Kultfigur gefeierten „Dr. Z“ verglichen werden. Setzers Job war „nur“ Erstausrüstung. Und da hat er alles gemacht, was möglich war, musste vor allen Dingen aber erst viel Aufräumungsarbeiten leisten, weil überehrgeizige Vorgänger auf Jagd nach Volumina übersehen hatten, dass auch im EA-Geschäft die Preise wenigstens kostendeckend sein sollten. Diese Aufgabe hat Setzer jedenfalls offensichtlich gut gelöst, dass ihm die Abnahmeschwächen der Automobilhersteller in die Hände spielte, gehört in die Rubrik Fortune, ohne welche kein Manager Erfolge feiern kann.

Nikolai Setzer ist ein durchaus interessanter Mann, nicht einmal 40 Jahre alt. Durch die Verwerfungen an der Konzernspitze hat seine Karriere eine rasante Beschleunigung erfahren. Er wirkte praktisch als Vorstandsmitglied, ohne offiziell dazu ernannt worden zu sein (das erfolgte dannam 12.8.), und er steht seinen Mann auch außerhalb der Conti-Mauern. So hatte er sich mit Spitzenleuten der französischen Regierung auseinanderzusetzen und die Schließung von Clairoix zu erläutern und allen Widerständen zum Trotz auch durchzusetzen. Letztlich ist das ja auch gelungen. Ob die Firma MAG tatsächlich als Käufer dieser Produktionsstätte in Betracht kommen kann, ist derzeit eine nicht zu beantwortende Frage. Im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG jedenfalls lässt Setzer durchblicken, alles in seinen Kräften Stehende tun zu wollen, um diesen Deal zu ermöglichen. Zu den Erfolgsaussichten allerdings will er sich nicht äußern. Und Zweifel sind angebracht. Letztlich handelt es sich bei dem Interessenten um eine Verkaufsgesellschaft, die schwerpunktmäßig im Mittleren Osten in etwa eine Million Reifen jährlich vermarktet. Ob dieses Unternehmen auch das erforderliche Management zusammen bekommt, eine Fabrik mit einer Kapazität des Zehnfachen dessen, was MAG bisher insgesamt verkaufen kann, erfolgreich zu führen, muss abgewartet werden. Auch ist nicht klar, ob die sonstigen Ressourcen in ausreichendem Umfang vorhanden sind. Einiges spricht wohl dafür, dass das Interesse in den letzten Wochen eher etwas abgekühlt sein könnte.

Im Großen und Ganzen zeigt sich Setzer mit dem bisherigen Verlauf des Jahres gar nicht mal allzu unglücklich, denn sein Geschäftsbereich hat sich allen Schwierigkeiten zum Trotz bisher recht ordentlich halten können. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass die Umsätze gut verteilt sind. Drei Viertel stammen aus den Ersatzmärkten und nur ein Viertel aus den derzeit so geprügelten Erstausrüstungsmärkten. Bei Nutzfahrzeugreifen ist dies ähnlich, allerdings ist der Rückgang im Ersatzgeschäft mit Lastwagenreifen auch spürbar rückläufiger als bei Pkw, wo sich der Rückgang nur in engeren Grenzen zeigt.

Setzer bestätigt die derzeit schwierige Lage in Russland. Natürlich sei man aus naheliegenden Gründen nicht in der Lage, größere Kredite einräumen zu können, aber die Händlerbasis der Conti sei sehr gut, sehr seriös. Bei äußerst signifikanten Mengenrückgängen sei es dem Konzern jedoch gelungen, seinen Marktanteil halten zu können. Viel mehr könne man jetzt auch nicht erwarten. Und was in Russland Gültigkeit hat, zeigt sich – so Setzer – auch in anderen osteuropäischen Staaten, vorzugsweise Polen. Bei unseren Nachbarn kommt der Währungsverfall als weitere Schwierigkeit hinzu, die nicht so einfach zu reparieren ist.

Manchmal erweist sich auch als hilfreich, was jahrelang ein riesiges Problem dargestellt hat: Mangelnde Warenverfügbarkeit. Jetzt kann sofort geliefert werden, was jahrelang vermutlich am Konzern vorbei ging. Ein Blick auf die Verbesserung so genannter „Fill Rates“ beweist das. Setzer spricht von „kundenorientierter Belieferung“ und bezeichnet Fill Rates von 80 Prozent bereits als gut, strebt aber solche von 90 Prozent an. Nun denn. Gut ist das nicht, denn wirklich sehr große Kunden – besonders solche aus USA, woher dieser Begriff stammt – weisen Lieferanten mit Fill Rates von 80 Prozent gleich raus und tolerieren auch keine von 90 Prozent, ganz einfach, weil sie nicht die gute Zahl 80 oder gar 90 sehen, sondern davon ausgehen, zehn Prozent oder gar 20 Prozent möglichen Geschäftes verloren zu haben.

Man muss Setzer und Kollegen allerdings ein uneingeschränktes Lob dafür erteilen, dass trotz des wirklich sehr problematischen wirtschaftlichen Umfeldes die Preise – bisher – relativ stabil geblieben sind. Man sei, sagt Setzer, „preislich ziemlich konstant“ aus dem Sommer gegangen, und unter dem Strich sei eine große Preiskonstanz feststellbar. Man dürfe bei aller Kämpferei um Marktanteile einfach nicht jedem Trend hinterherlaufen.

Preiskonstanz, Preiskonzepte haben bei Setzer hohe Priorität. Er will „preislich robust“ bleiben und notfalls auch mal auf eine Chance hier und da verzichten. Und so zeigt er sich mit dem, was in der Branche als „Europreise“ umhergeistert, auch gar nicht unzufrieden. Dass es Ausreißer gibt, vor allen Dingen derzeit, kann nicht verwundern. Währungszusammenbrüche wie in Polen kann man nicht wegdiskutieren und nicht einfach so ausgleichen. Das gelingt eben nur über eine längere Zeitachse.
Vorteilhaft wirkt sich ferner aus, dass Verbraucher ganz offensichtlich weiter auf Markenreifen setzen. Premiumreifen gewinnen ausgerechnet in diesen Zeiten weiter hinzu, zudem in profitablen Segmenten und Ausführungen, angefangen bei Winterreifen, über V-, Z- und SUV-Reifen.

Conti soll unter Setzers Führung ein „Gesamtportfolioanbieter“ bleiben. Neben den äußerst anspruchsvollen Bereifungen wird der Konzern auch im so bezeichneten Brot-und-Butter-Reifen-Segment eine starke Rolle spielen wollen. „Wir wollen und können noch besser werden“, meint Setzer.

Continental wird, so die Langfristaufgabe, Verbrauchern sehr deutlich machen, dass die Produkte des Konzerns einen optimalen Mix aus Nässehaftung, Langlebigkeit, niedrigem Rollwiderstand und kürzestem Bremsweg darstellen. Damit stellt man sich, offenbar bewusst und gewollt, in einen direkten Vergleich mit Michelin, dem Unternehmen, das unter diesem Aspekt den Führungsanspruch erhebt.

Auch in Zukunft wird Conti neben der Führungsmarke Continental die „Medium-Brands“ Uniroyal und Semperit pflegen, um mit Barum und anderen regionalen Marken den Billigbereich abgedeckt zu halten. Was die Entwicklung der eigenen Handelskette anbelangt, wird der Handel keine größeren Überraschungen erleben, denn es fehlt den Hannoveranern einfach an Geld. Das bedeutet aber nicht, dass Vergölst und andere nicht dennoch die eine oder andere zusätzliche Filiale eröffnen oder auch mal einen Reifenhändler übernehmen. Eine mehr nach vorn rückende Option dürfte Franchising werden.

Was eingangs so kritisch beäugt worden ist, das Geschäft in Nordamerika, sieht Setzer allerdings entspannter. Umsatzzahlen werden nicht genannt, aber etwa 20 Prozent des Umsatzes seines Geschäftsbereichs, und damit etwas mehr als eine Milliarde Euro dürften in „The Americas“ umgesetzt werden. Tendenz steigend, vor allem zeige sich immer noch schönes Wachstum in den Ersatzmärkten, während das Erstausrüstungsgeschäft weiter schrumpfe, was den Erträgen zugute komme. Man habe den Turnaround jenseits des Atlantiks nicht allein über die Kosten, sondern über eine Vielzahl neuer Produkte geschafft, der Etablierung der Marke Continental im Premiumbereich, und auch die Marke General habe praktisch so etwas wie eine Auferstehung feiern können.

Zum Wachstumserdteil Asien konnte nicht viel gesagt werden. Man hält – bisher – am Plan fest, in naher Zukunft auch in China eine Reifenfabrik zu bauen, in der die ersten Reifen ausschließlich der Marke Continental im Jahr 2011 produziert werden sollen.

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