Reifen Specht: Die harte Aufbauarbeit zahlt sich aus

Kunden, die für einen – möglicherweise einmaligen – Preisvorteil „von einem halben Euro“ ihren Reifengroßhandelspartner wechseln, kann und will Rosel Specht nicht verstehen. Die Geschäftsführerin, die  mit Ihrem Sohn Thorsten die Leitung sowohl der Reifen Specht Handels GmbH als auch der Autoservice GmbH innehat, hat das Bestreben, sich von anderen Grossisten zu unterscheiden. Das kann durch ein besonderes Schulungsangebot für ihre Kunden geschehen, eine beispielhafte Reklamationsabwicklung sein oder eine zuverlässige Marktanalyse für die Verkaufsregion oder technische Schulungen in Zusammenarbeit mit der Industrie usw. – und das alles zum Gratistarif. An Ideen mangelt es ihr da jedenfalls nicht . Reifen Specht versteht sich als Partner des Händlers nicht nur als Lieferant.

Den Ehrgeiz, partout der preisgünstigste Anbieter zu sein, hat sie nicht, weiß Rosel Specht doch aus Erfahrung, dass man immer noch jemanden findet, der es irgendwie noch ein wenig billiger kann oder besser: es glaubt zu können. Reifen Specht soll durch Zuverlässigkeit überzeugen, auch durch Flexibilität. In der Frühjahrs- und Herbstsaison wird die Arbeitszeit schon mal gestreckt, packt jemand aus der Verwaltung auch nach seinem eigentlichen Dienstschluss mit im Lager an. Die Devise von Reifen Specht: Wenn der Kunde heute bestellt, muss die Ware morgen bei ihm auf dem Hof sein – auch in der Saison.

Ihre Einschränkung, sich sukzessive aus dem Tagesgeschäft zurückzuziehen, konterkariert sie wenige Sätze später selbst: Rosel Specht ist immer mal wieder in einer der fünf Einzelhandelsfilialen, die Reifen Specht in der Region unterhält, für einen Tag vor Ort, um das dortige Tagesgeschäft „zu verspüren“ und für den Großhandelsbereich daraus Lehren abzuleiten. Sie hinterfragt Einzelheiten, stellt beharrlich liebgewordene Gewohnheiten infrage: Mit ihrer Mannschaft setzt sie sich immer wieder zusammen und es wird besprochen, welche Arbeitsgänge optimiert oder verbessert werden können. Sie will ihren Mitarbeitern vermitteln, wie wichtig es ist, für die  Hochsaison gerüstet zu sein, aber auch in den lauen Monaten kostenoptimiert zu arbeiten. Was gestern als optimal angesehen wurde, kann heute total überholt sein. Arbeitsgänge bzw. -abläufe müssen ständig optimiert und den Bedürfnissen angepasst werden. Das gilt für alle Bereiche eines Unternehmens. Sich ins Detail zu verbeißen, sich auch mal bei den Mitarbeitern so richtig unbeliebt zu machen, dafür ist sie sich nicht zu schade und dafür ist wohl auch ihr eigener Kampfeswille zu ausgeprägt.

„Mit dem Rücken zur Wand kommen mir die besten Ideen“, oder „Fördern und Fordern ist eine Grundeinstellung von mir“ oder „Ich erwarte von guten Mitarbeitern, dass sie im Sinne des Unternehmens mitdenken und sinnvolle Verbesserungsvorschläge unterbreiten“ sind Sätze, die im Gespräch Mitte Juli im Bürotrakt des vor fast auf den Tag genau ein Jahr zuvor eingeweihten Zentrallagers fallen. Weitere zehn Jahre zuvor hatte sie die „neue Reifen Specht“ gegründet. Der Name war in der Branche bekannt – in der Region sowieso –, die persönlichen Umstände verlangten einen Neuanfang, so dass am 1. Januar 1998 für sie auch so etwas wie „die Stunde null“ schlug. Die harte Aufbauarbeit hat sich ausgezahlt, sagt sie mit Blick auf den Neubau, an und in dem alles hell und lichtdurchflutet ist und worauf sie – mit einigem Recht – stolz ist.

Mitte Juli waren zwei der vier Hallen so gut wie leer geräumt, die ersten Winterreifenlieferungen durch die Industrie trudelten gerade ein und wurden gleich so platziert, dass die Schnelldreher auch schnell wieder raus können. Der Blick auf die – sehr übersichtliche – Anzahl Altbestände zeigt, dass auch der Einkauf, den hauptsächlich Thorsten Specht leitet, mit Augenmaß betrieben wird. Natürlich wird hier auf DOT und S-Kennung streng geachtet.

Knapp eine halbe Million Reifen ließen sich wohl in dem neuen Lager unterbringen, das Gesamtinvest hat einen zweistelligen Millionenbetrag verschlungen. Von der vierteiligen Lagerhalle ließe sich ohne Schwierigkeiten ein Teil separieren, wenn es die Umstände erfordern sollten, ebenso wäre das Investitionsaufkommen übersichtlich, wollte man den Hallentrakt um ein fünftes Segment erweitern.

Das aktuelle Bauvorhaben aber gilt einem neuen Servicebetrieb, der in Steinwurfweite auf dem gleichen Firmengelände entsteht und rechtzeitig zum Wintergeschäft fertiggestellt sein soll. Die Anzahl der Specht-Servicebetriebe bleibt im Übrigen dann mit fünf gleich, weil unweit ein anderer Standort geschlossen wird, der als nicht mehr zeitgemäß empfunden wurde und jedenfalls nicht mehr den Ansprüchen der Geschäftsführung genügte. Rosel Specht: „Der Betrieb passte nicht mehr.“

Der Firmenumsatz bewegt sich irgendwo im mittleren zweistelligen Millionenbereich, vage auch eher die Beschäftigtenzahl. Außerhalb der Saison sind es um die 70, bei Bedarf an Montagekräften, Lagerarbeitern oder Fahrern auch um die 85. Daraus abzuleiten, auch bei Personalfragen habe sich Rosel Specht aus dem operativen Geschäft zurückgezogen, wäre grundfalsch. Für sie ist ein Auslieferungsfahrer ein Repräsentant der Firma, der nicht nur loyal zum Unternehmen stehen, sondern auch etwas vom Produkt verstehen sollte. Für sie ist der Reifen ein sicherheitsrelevantes Teil, etwas Wichtiges und nicht irgendeine beliebige Ware. Sie scheut sich nicht, Industrievertreter und Handelskollegen gleichermaßen zu schelten, weil auf beiden Seiten zu wenig für das so erklärungsbedürftige Produkt Reifen getan wird. Nicht nur der Reifeneinzelhändler ist in seinem Verkaufsgespräch zu sehr preisfixiert, der Industrieverantwortliche ist es ja auch. Wie lässt sich mit solch einer Einstellung das Image des Produktes heben und die Flut von billigen Fernostimporten eindämmen? fragt sich die Geschäftsführerin von Reifen Specht. Jeder sei nur am Image des eigenen Unternehmens oder der eigenen Marke interessiert, firmen- oder markenübergreifendes Handeln im Sinne des Produktes finde so gut wie gar nicht statt. Tadel auch gleich an die Kollegen von der Endverbraucherpresse: Da werden lange Artikel verfasst darüber, dass ein Reifen vielleicht zwei Jahre alt ist anstatt darzustellen, dass ein importierter Superbilligreifen im Leistungsvermögen weit zurückbleiben muss.

Im Großhandelsgeschäft (in den Servicestationen übrigens auch) dominieren in diesem Unternehmen jedenfalls die echten Marken, im Premiumbereich wie im mittleren Segment. Dass auch Reifen Specht natürlich nicht völlig am Budgetbereich vorbeikommt, versteht sich und wird überwiegend von „Ergänzungsmarken“ der großen Reifenhersteller befriedigt. Wobei sich das Sortiment auf den Pkw-Bereich (natürlich bis hin zu SUVs und LLkw) beschränkt und Nutzfahrzeugreifen fast nicht vorkommen. Das gilt im Übrigen auch für die fünf Einzelhandelsbetriebe, die extrem auf Pkw-Reifen ausgerichtet sind und von denen nur einer in geringem Umfang auch im Nutzfahrzeugbereich tätig ist.

Die Auslieferungsflotte besteht aus derzeit mehr als 20 eigenen Transportern und Lkw. Zwar ist auch für Specht der Trend erkennbar, dass die Bereitschaft, sich eigene Vorräte aufs Lager zu legen, beim Einzelhandel weiter schwindet, dennoch verlassen in Spitzenzeiten immer noch bis zu 13.000 Reifen das hauseigene Distributionszentrum: im Umkreis von 150 Kilometern mit eigenem Fuhrpark, ansonsten mit Paketdienstleistern oder Spediteuren für den Palettenversand.

Rosel Specht hat sich in dieser – man mag es drehen oder wenden, wie man will – nach wie vor männergeprägten Branche behauptet, ja durchgesetzt. Ihre Triebfeder waren sicher weniger Emanzipationsallüren, sondern der Wille, etwas zu erreichen: „Mein unternehmerisches Handeln ist vielleicht manchmal eher instinktgesteuert, in der Rückschau im Übrigen auch fast immer richtig gewesen“, sagt sie, „aber gewiss immer sehr zielgerichtet.“

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