Schwere Zeiten für Pkw-Stahlradanbieter

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Im Bereich der Herstellung von Pkw-Stahlräder haben wir in Europa sehr weitgehend ein Duopol bestehend aus Hayes Lemmerz und der Mefro-Gruppe. Mit einigem Abstand dahinter folgt Italiens Magnetto, im Bereich Pkw-Räder auch bekannt als Fergat oder MW (Magnetto Wheels) mit Produktionsstandorten in Italien, Frankreich und Rumänien. Während sich die Wettbewerber Hayes Lemmerz und Mefro völlig dem Rädergeschäft verschrieben haben, ist Magnetto Teil des italienischen Stahlkonglomerates CLN. Die Magnetto Deutschland Wheels GmbH ist in Plüderhausen ansässig. Welche Strategie Magnetto im Rädersektor verfolgt, ist nicht ganz klar, ernst genommen wird das Unternehmen schon, obwohl Hayes Lemmerz und Mefro rund 80 Prozent Marktanteil bei Pkw-Stahlrädern in Europa auf sich vereinen und dem Markt damit produktionsseitig ihren Stempel aufdrücken.

Dass Magnetto innerhalb des CLN-Konzerns auch künftig eine Rolle spielen wird, belegen Partnerschaften in Nordamerika (mit Accuride, eher Nutzfahrzeugräder) und Japan (Topy), vor allem aber ein erst im letzten Jahr in Südafrika geschlossenes Joint Venture: Magnetto hat sich an der dortigen Dorbyl-Tochtergesellschaft Guestro Wheels mit 50 Prozent beteiligt. Ein weiterer Anbieter sei genannt, der sich allerdings im Gegensatz zu den anderen drei Europäern weitgehend auf das Ersatzgeschäft konzentriert (nur wenig OES bei Toyota und Mazda): Ambrosetti in Manno (bei Lugano im Schweizer Kanton Tessin). Ambrosetti ist Bestandteil der Kromag Metallindustrie und die wiederum eine Tochtergesellschaft der österreichischen Alcar-Gruppe.

Die genannten Hersteller der Pkw-Stahlradbranche müssen aktuell keine Befürchtungen haben, dass sie unter fernöstlichen Druck geraten. Das hat – neben den bezogen auf das Produkt exorbitant teuren Transportkosten – vor allem mit ihren Vorlieferanten zu tun: Den hat Magnetto in der eigenen Unternehmensgruppe, aber auch Corus, ThyssenKrupp oder Salzgitter stellen ihnen Qualitäten zur Verfügung, die es zum Beispiel in China schlicht nicht gibt.

Sorgen müssen sie sich dennoch machen, denn ihr Absatz ist in den letzten zwei Jahren förmlich eingebrochen, vor allem in Deutschland. Da hatte die Einführung der sogenannten Winterreifenpflicht im Jahre 2006 der Branche noch einen kurzfristigen Boom beschert: Für viele Klein- und Zweitwagen – oftmals schon ein wenig in die Jahre gekommen – wurden Stahlfelgen mit Winterreifen kombiniert benötigt. Im Jahr drauf ebbte dieses Geschäft schon ab, die Privatautos waren versorgt und die Flottenfahrzeuge stehen in ihrer Standardversion oftmals schon auf Stahlrädern.

34 Prozent des deutschen Pkw-Fuhrparkes (europaweit etwas mehr) war zu Beginn des Jahres 2008 älter als zehn Jahre, das Durchschnittsalter betrug mehr als acht Jahre. Dieser Ersatzmarkt ist „abgegrast“, den Stahlradanbietern mangelt es jetzt an einer aufnahmefähigen Zielgruppe. Dass das „Kleinklein“ des Ersatzmarktes für einen eher unbeweglichen Großkonzern wie Hayes Lemmerz nicht die rechte Spielwiese sein könnte, hatte dieses Unternehmen schon Anfang der 90er Jahre erkannt und schließlich das gesamte Pkw-Stahlradgeschäft (außer für Nordamerika) der Alcar-Gruppe übertragen. Mithin verfügt Alcar mit dem Werk bei Lugano über Eigenproduktion, ist aber gleichzeitig exklusiver Vertriebspartner des größten Anbieters. (Die Marktanteile von Hayes Lemmerz werden bei knapp über, die der Mefro-Gruppe bei knapp unter 40 Prozent geschätzt.)

Alcar hatte übrigens ein kleineres Pkw-Stahlräderwerk namens Consud S.r.l. bei Neapel, dieses allerdings im November 2008 geschlossen. Einerseits dürfte die erst 2004 übernommene Fabrik aufgrund ihrer geringen Kapazität eher unrentabel geworden sein, andererseits hat Alcar (Hirtenberg/Niederösterreich) damit auch Kapazitäten vom Markt genommen, die die Branche an sich nicht benötigt und die alleine durch Ambrosetti aufgefangen werden könnten: In Italien hatte Alcar zuletzt etwa 300.000 Räder jährlich gefertigt, in der Schweiz liegen die Kapazitäten bei ca. zwei Millionen Einheiten.

Fernostware wird die hiesigen Anbieter kaum unter Druck setzen, wegen der hohen Investitionskosten ist darüber hinaus nicht davon auszugehen, dass ein Unternehmen aus Übersee in Europa Fuß zu fassen versucht, indem es ein neues Stahlräderwerk errichtet. Das Unternehmen, das dafür am ehesten prädestiniert wäre, heißt ArvinMeritor: Dieser amerikanische Zulieferer verfügt in Brasilien über das „Benchmark“-Werk der ganzen Branche, ist aber im Rahmen der Wirtschaftskrise im Allgemeinen und der US-Fahrzeugindustrie im Besonderen in schweres Fahrwasser geraten. Ein Großteil des Unternehmens soll in dieser prekären Situation abgespalten werden. Übrigens die Sparte, zu der auch das Rädergeschäft mit einer zweiten Fabrik in Mexiko gehört. Aber genau das Rädergeschäft soll bei den Verkaufsabsichten ausgenommen werden: Denn das ist zwar in Relation zur Konzerngröße klein, aber dennoch eben eine „Perle“.

Dass also „von außen“ keine Gefahr fürs sehr übersichtliche „Oligopol“ (wie wir es aus Respekt vor Magnetto und Ambrosetti nun doch nennen sollten) droht, ist eine Sorge weniger. Neben der sich zwar verlangsamenden, aber dennoch anhaltenden Verschiebung vom Stahl- zum Aluminiumrad und der aktuellen Marktschwäche gibt es weiteren Grund zur Sorge. Und der beginnt beim Rohstoff: Angesichts der Bewegungen auf den Rohstoffmärkten erscheint zwar mal die Aluminium- und mal die Stahlfraktion preislich im Vorteil. Und die Erfahrung hat gelehrt, dass sich die Schere auch immer wieder schließt, wenn einer der beiden Werkstoffe über Gebühr „ausschlägt“. Dennoch sind die Stahlradanbieter tendenziell benachteiligt: Aluräderanbieter können recht flexibel ihren Rohstoff einkaufen und auf den Spotmärkten auch mal ein Schnäppchen machen. Das ist in der Stahlbranche praktisch nicht möglich, dort sind Jahresabschlüsse Usus.

Verifizierbare Zahlen zum Umfang des europäischen Pkw-Stahlradmarktes gibt es nicht, er wird grob auf 50 Millionen Stück taxiert. Mit weitem Abstand dominiert die Erstausrüstung als Kundengruppe für Hayes Lemmerz, Mefro und Magnetto. Deutlicher europäischer (und auch deutscher) Marktführer im Ersatzgeschäft dürfte die Alcar-Gruppe sein, die in 2008 gut 4,5 Millionen Pkw-Stahlräder vermarktet hat: überwiegend über das ein Dutzend nationale Vermarkter umfassende europäische Alcar-Vertriebsnetz. Die meisten dieser Distributeure gehören vollständig zu Alcar, aber es gibt auch Beteiligungen von Altgesellschaftern. Darüber hinaus hat Alcar in allen europäischen Märkten, in denen man nicht direkt vertreten ist, nationale Vertriebspartner (außer in Albanien). Etwas mehr als 50 Prozent der in 2008 durch Alcar vermarkteten Pkw-Stahlräder dürften „made by Hayes Lemmerz“ sein, etwas weniger als 50 Prozent aus eigener Fertigung stammen. Darüber hinaus tauschen die beteiligten Anbieter untereinander bei Kleinserien auch aus, weil sich die Investitionen bei bestimmten Größenordnungen einfach nicht rechnen. Weltweiter Einkauf bei Stahlrädern hatte ohnehin nur eine untergeordnete Rolle in der Vergangenheit gespielt, ist angesichts gestiegener Transport-/Containerkosten mittlerweile aber fast zum Erliegen gekommen.

Gegenüber dem Aluminiumgussrad hat das Stahlrad produktionstechnisch ein Defizit: Kleinserien bei Stahlrädern beginnen für die beiden Großen der Branche in Sphären von etwa 5.000 Stück, bei Aluminiumrädern kann das schon mal dreistellig sein. Einzig der kleinste der vier Anbieter Ambrosetti kann mit einer geradezu sensationellen Umrüstzeit von nur 17 Minuten vom letzten „Gut-Rad“ der alten Losgröße bis zum ersten „Gut-Rad“ einer neuen Losgröße eine Flexibilität an den Tag legen, die ansonsten nicht realisiert werden kann.

In technischer Hinsicht lautet „Gewicht“ ein überragendes Thema der Stahlräderhersteller. Sie haben dabei in den letzten Jahren erstaunliche Fortschritte gemacht und manches Stahlrad ist nicht schwerer als ein Pendant aus Aluminium. Wobei die Vergleichbarkeit bei 17 Zoll endet, denn das ist wegen der geringen Losgrößen ab 18 Zoll und den Designansprüchen bei Fahrzeugen, die Räder in diesen Größen benötigen, das aktuelle Maximum europaweit. Zwar ist es in Zusammenhang mit den modernen Stahlblechen namens „Tailored Blanks“ in den letzten Jahren etwas ruhiger geworden, aber dieses Thema wird immer wieder von den Stahlkochern aufs Tapet gebracht: Dabei geht es im Wesentlichen darum, Stähle mit unterschiedlichen Wandstärken anzubieten, das heißt das Material einer Gewichtsoptimierung zu unterziehen. Aber auch die Stahlradhersteller haben eine eigene Methode: Hayes Lemmerz und Mefro verfügen – wie auch einige Kollegen von der Aluminiumseite – über Flow-forming-Anlagen, allerdings bringen diese nicht die ganz großen Gewichtseinsparungen und dürften im Durchschnitt pro Pkw-Stahlrad bei 200 bis 300 Gramm liegen angesichts von Wandstärken in Sphären von 1,5 Millimetern (ohne Flow-forming würden die Wandstärken bei 1,8 bis 2 Millimetern liegen). Dennoch: Für die nächste Generation des Passat sei ein Flow-forming-Rad vorgesehen, um das sich Mefro bewerben dürfte.

Wer kein Flow-forming-Equipment hat, der muss sich dennoch damit intensiv auseinandersetzen. Denn Pkw-Stahlräder haben im Allgemeinen den Status eines „Identteiles“, mithin müssen die großen Erstausrüster untereinander technisch in etwa auf Augenhöhe sein und kann sich auch Ambrosetti (verfügt nicht über Flow-forming) dem Thema nicht entziehen.

Ein letzter Aspekt darf im Zusammenhang mit dem Pkw-Stahlrad nicht fehlen: Hayes Lemmerz hat über Jahre hinweg das sogenannte Strukturrad, das bei diesem Unternehmen auch VersaStyle heißt, entwickelt. Dabei handelt es sich um ein Stahlrad, das mittels einer entsprechenden Oberflächenabdeckung einem Aluminiumrad in optischer Hinsicht schon so weit nahe kommt, dass der Verbraucher den Unterschied gemeinhin nicht registriert – im Gegensatz zu den Radkappen oder im Neudeutsch „Wheel Covers“, die nicht nur leicht verloren gehen (und damit schon auf Ablehnung von Auto- und Aluminiumradherstellern stoßen), sondern zumeist auch als arg simple Imitate zu erkennen sind. Dieser Radtyp „VersaStyle“, für den ja erst einmal Fertigungskapazitäten aufgebaut werden mussten, ging bei Hayes Lemmerz jedenfalls vor der großen Wirtschaftskrise „wie geschnitten Brot“. Diese Räder sind zwar teurer als konventionelle Stahlräder, aber signifikant billiger als konventionelle Aluminiumräder. Und wie immer, wenn ein technisches Teil erfolgreich und begehrt ist, wollen es die Kunden nicht nur in großer Zahl, sondern auch aus verschiedenen Quellen. Klar, dass sich Hayes Lemmerz schwer tut, diese Technologie mit dem ärgsten Widersacher Mefro zu teilen und ihm (in Lizenz) auch anzubieten. Aber erstens ist das nur ein Hinauszögern, letzten Endes wird sich Hayes Lemmerz dem Druck der Automobilhersteller nicht auf Dauer widersetzen können. Auch kann man wohl davon ausgehen, dass im Hause Mefro dermaßen viel Stahlradkompetenz vereint ist, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis das Hayes-Lemmerz-Patent (legal) ausgehebelt und durch eine eigene Innovation auf dem gleichen Niveau und mit dem gleichen Effekt ersetzt würde, gäbe es nicht bereits zuvor eine Lizenzvereinbarung zwischen den beiden Zulieferern. Außerdem scheint die Widerstandskraft ohnehin bereits zu bröckeln: Bekanntlich hat Volkswagen ja eine Eigenproduktion Pkw-Stahlräder, und dort soll – so war zu hören – bereits in HL-Lizenz gefertigt werden.

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