Zum Abschied von Bernhard Blümle

Sie sind für den Erfolg eines Unternehmens zuständig: Verkäufer, Verkaufsleiter, Marketing and Sales. Wer das nicht hat, den Verkauf nicht beherrscht, kommt im Markt nicht voran. Die Abhängigkeit von Starverkäufern leuchtet Jedermann ein. Oder etwa nicht? Von wegen. Was ist der Verkäufer ohne das Produkt? Ohne die Produktqualität? Und was ist das Produkt ohne die effizient arbeitenden Fabriken, aus denen Reifen zu wettbewerbsfähigen Preisen herausrollen können? Und wenn es dann noch Kostenvorteile gegenüber dem einen und anderen Wettbewerber gibt, ist der Erfolg programmiert! Dass es daneben noch „Starverkäufer“ gibt, umso besser.
Bei dieser – zugegebenermaßen oberflächlichen – Betrachtungsweise sinkt der Rest eines Unternehmens schnell zur Nebensache herab. Finanz und Controlling soll nicht viel mehr als Buchhaltung und Mahnwesen sein. Wer Unternehmen allein durch diese Brille sieht, hat Manager wie Bernhard Blümle, Mitglied der Geschäftsführung von Goodyear Dunlop in Deutschland und bis zu seinem alters- und gesundheitsbedingten Ausscheiden per Ende September 2008 für den gesamten Logistikbereich zuständig, kaum wahrgenommen und erst recht nicht den Stellenwert von Logistik erkannt.
Hilfreich ist ein Blick zurück: Zwei Jahrzehnte ist es nun her, dass Bernhard Blümle (58) die Verantwortung für den Bereich Logistik übertragen wurde. Zu dieser Zeit erfolgte die Auslieferung an den deutschen Reifenfachhandel von nicht weniger als 15 Goodyear- und sogar 19 Fulda-Niederlassungen aus. Alle Läger waren gut bestückt und dennoch spielten „Aufträge in Rückstand“ stets eine sehr große Rolle. Abgesehen davon lagerten dann aber, um ein einfaches Beispiel heranzuziehen, ausgerechnet acht aus Hamburg nachgefragte Reifen in München und mussten den weiten und auch teuren Weg per Spedition antreten. Die Warenverteilung vergangener Jahrzehnte war sicher schwerlich anders kaum möglich, bis der Computer bzw. die IT völlig neue Chancen eröffnete und den Weg zu anderen Modellen frei machte. Was damals, etwa 1986 bis 1988, als Plan für neue zentrale Logistik beschrieben wurde, ging mit der Schließung der bereits erwähnten insgesamt 34 Niederlassungen/Auslieferungsläger einher. Diese, wenn man so will 34 Bindungen zum Markt konnten einfach wegfallen, weil die gewonnenen Vorteile es gestatteten. Natürlich ging es auch darum, die Kosten für die Warenverteilung zu reduzieren. Dass dabei ein Zentrallager in Philippsburg kostengünstiger zu managen ist als eine Vielzahl kleinerer Läger liegt auf der Hand. Nicht allein das, die Warenverfügbarkeit verbesserte sich schlagartig, die Produkte waren nicht länger über viele Stationen verteilt, sondern sie konnten von einem Zentrallager aus direkt an den Kunden zur Auslieferung gebracht werden. Die Reifen mussten nicht mehr erst von der Fabrik in die Niederlassung und von dort zum Kunden ausgefahren werden. Damit war ein großer Zeitgewinn verbunden. Wer am späten Nachmittag noch bestellte, konnte mit der Auslieferung der Ware im Verlauf des kommenden Tages, meist in den Vormittagsstunden, rechnen. Bei Goodyear wurde dafür das Schlagwort „Nachtsprung“ erfunden. Es ging somit schnell, die Warenverfügbarkeit verbesserte sich dramatisch, die Zahl der „Langsamdreher“ nahm rapide ab und insgesamt brauchte der Hersteller bei weitem nicht mehr so viele Reifen am Lager vorzuhalten wie das bis dahin erforderlich gewesen war und war doch insgesamt weitaus lieferfähiger als je zuvor.
Der „Nachtsprung“, auf diese Feststellung legt Bernhard Blümle im Gespräch mit der Neue Reifenzeitung größeren Wert, war nicht irgendeine geniale Erfindung mit großen theoretischen Ansprüchen, sondern „am Ende des Tages ist das alles gute Handwerkskunst. Man muss tun, tun und immer wieder tun, verbessern, durchdenken und immer neue Ideen einfließen lassen, wie es in Zukunft noch besser zu gestalten ist. Das gilt bis hin zum Fahrer als letzten Kontakt zum Kunden.“
Inzwischen reicht das von Blümle entwickelte Logistiksystem nicht zuletzt dank der deutschen Wiedervereinigung und der weiteren politischen Umwälzungen bis hinein nach Polen, der Tschechei, Ungarn und Benelux sowieso.
Weitere bemerkenswerte Meilensteine waren die Integration der Dunlop-Logistik, verbunden mit der Schließung von neun Dunlop-Niederlassungen im Jahr 1999 als Folge des Joint Ventures Goodyear/Sumitomo, sowie der Großbrand im Werk Philippsburg im Jahr 2004, der in letzter Konsequenz als Herausforderung gesehen worden ist. Dass die damit verbundenen logistischen Probleme so schnell und durchgreifend gelöst werden konnten, ist ganz sicher in erster Linie Blümles Verdienst. Mit dieser Leistung hat er den Menschen in der Region einen großartigen Dienst erwiesen und sich um den Erhalt vieler hundert Arbeitsplätze verdient gemacht.
Das Logistiksystem entwickelt sich permanent weiter. Im Zeitraum 2005 und 2006 wurde in Wittlich, direkt an einem Dunlop-Reifenwerk, das Zentrallager für die Lkw-Distribution für ganz Europa errichtet. Dieses greift zum Beispiel auf Roboter zu, welche die Reifen aus der Fabrik abholen und dann an ihren Lagerplatz weiterleiten.
Das seit vielen, vielen Jahren bereits bestehende und in diesen Tagen nochmals deutlich vergrößerte Zentrallager in Philippsburg ist nun allein für Pkw-Reifen zuständig, hat damit auch neue Möglichkeiten hinzugewonnen, und beim Blick auf die Zentralläger Philippsburg und Wittlich könnte man fast schon verstehen, dass dem einen und anderen Goodyear-Manager aufgefallen ist, dass die Logistik doch ein wenig „deutschlandlastig“ ausgefallen ist. Wie gesagt: Man könnte es verstehen, wenn nicht der deutsche und deutschsprachige Raum das Schwergewicht für den Goodyear Dunlop-Konzern in Europa bildete und eben von hier aus die Versorgung anderer europäischer Märkte halt besser bewerkstelligt werden kann als es von anderen Ecken und Enden Europas aus möglich wäre.
Seit der erfolgreichen Einführung dessen, was unter der Bezeichnung „Nachtsprung“ bekannt geworden ist, gilt das Goodyear-Logistiksystem als das beste der Reifenbranche und ist sicher Vorbild für viele Nachahmer gewesen. Heute fällt es leicht sich vorzustellen, dass mit einer Vielzahl von Niederlassungen nicht einmal ein so bezeichneter Blumentopf zu gewinnen wäre. Wie viele Niederlassungen sollten es denn sein für Goodyear, für Fulda und für Dunlop? Und was wäre mit den kleineren Marken, den so genannten Associated Brands? Und wenn schon mal verglichen wird, dann sollte die Zahl der Dimensionen von einst mit der heutigen Zahl verglichen werden. Was einst mit zehn Dimensionen zu erledigen war, dafür dürften heutzutage annähernd hundert gebraucht werden. Wer sollte alles das auf 30 bis 40 und gar mehr Lägern allein in Deutschland denn vorrätig halten?
Der Erfolg des Logistiksystems ist, wenn man Bernhard Blümle im Gespräch gut zuhört, auch auf eine große Bodenständigkeit zurückzuführen. Theoretisches Wissen aus Computerprogrammen, digitale Erkenntnisse etc. seien erforderlich und ganz nett, aber letztlich müsse man sich dann auf die Rampe stellen, den Weg bis zum Kunden nachvollziehen, die Welt aus den Augen der Kunden betrachten und sich stets fragen, was der Kunde wolle und was ihm auch Nutzen bringen werde. Und wenn man sich ein genaues Bild gemacht habe, dann müsse man es machen, einfach machen und nicht nur reden.
Bernhard Blümle hat sich nun in den Ruhestand verabschiedet, teils auch deshalb, weil sein lädiertes Kreuz ihn von Zeit zu Zeit peinigt. Er war einst der jüngste Goodyear-Direktor und hat sein Arbeitsleben nahezu ausschließlich bei dem Reifenhersteller verbracht. Bis zur Übernahme der Logistikverantwortung war er in mehreren Ländern inklusive den USA tätig gewesen und hat schon deshalb den Blick nie auf einen einzelnen nationalen Markt verstellt.
Der Sohn einer Schneiderin und eines Verlademeisters kam nach einer abgeschlossenen Lehre als Industriekaufmann über den zweiten Bildungsweg und der Fachhochschulreife zu einem Studium der Betriebswirtschaft an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie. Dass seine Herkunft etwas mit seiner beruflichen Laufbahn zu tun hat, leugnet er nicht. Der Vater hat ihm imponiert und ihn so weit geprägt, dass er Sehnsucht nach all diesen Transportdingen entwickelte. Mit großer innerer Freude erinnert sich Bernhard Blümle noch daran, wie er in einem geschenkten Atlas „gelesen" habe wie andere heutzutage spannende Bücher verschlingen.
Vielleicht gab es für ihn auch Höhen und Tiefen, über die er nicht allzu gerne spricht. Aber, und das ist ihm abzunehmen, er hat seine Arbeit immer verstanden, er hat alles gerne und mit großer Freude gemacht.
Reifenhändlern ist Bernhard Blümle eigentlich kaum aufgefallen. Er war der Mann hinter dem Vorhang. Und was dort geschieht, sieht man halt nicht. Doch auch das ist sicher: Diejenigen, die sich vor dem Vorhang in die Sonne stellen, wären gar nichts, wenn die Möglichkeiten dafür nicht hinter dem Vorhang geschaffen worden wären. So ist es in vielen Lebenslagen. Auch der Reifenhändler verkauft nur, was er am Lager oder schnell verfügbar hat. Die Gefahr, dass mangelnde Verfügbarkeit zu Misserfolgen bzw. Erfolgen der Konkurrenz führt, ist immer sehr groß.
Bernhard Blümle hat ein großes Rad gedreht und er hat es schnell und nahezu fehlerfrei gemacht. Dadurch – jedenfalls auch zu einem sehr großen Anteil – ist Goodyear Dunlop heute der führende Reifenhersteller in Deutschland und ein starker Wettbewerber europaweit.

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