Ein Kommentar: BRV ruft zu Vernunft und Besonnenheit auf

Dass die Lage im deutschen Reifenersatzgeschäft angespannt ist, ist für jedermann förmlich zum Greifen und konstatiert auch der Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk (BRV). „Stückzahlen, Umsätze und Erträge befinden sich beim überwiegenden Teil der Händlerschaft auf Talfahrt“, heißt es. Ratlosigkeit bis hin zur Depression spricht aus den Nachfragen dieser Zeitschrift beim Handel, ein bedrückendes „Kopf-in-den-Sand-stecken“ fehlt auch nicht. Wohl nie zuvor war eine günstige Wetterkonstellation für das Wintergeschäft so wichtig wie in diesem Jahr.

Der BRV ruft zu Vernunft und Besonnenheit auf – trotz der angespannten Lage, vielleicht ist auch gerade deswegen Vernunft und Besonnenheit das Gebot der Stunde. Dass die Altbestände an Winterreifen in den Lägern so hoch wie nie zuvor sind, ist hinlänglich bekannt. Ob es nun neun oder zehn Millionen Stück sind, die im Groß- und Einzelhandel liegen und für den deutschen Verbraucher gedacht sind, ist müßig zu hinterfragen. Die Fragestellung, wann ein noch nicht benutzter Neureifen aufgrund seiner DOT-Nummer schon als „alt“ klassifiziert wird, liegt schon wieder in der Luft: „Was, der Reifen wurde vor zwei Jahren produziert, den will ich nicht!“ – Diese altbekannte Thematik wird wieder an Brisanz gewinnen angesichts der „Alt“-Bestände.

Es mehren sich die Hinweise, dass trotz aller Mahnungen einige Reifenhersteller „auf Teufel komm raus“ Winterreifen produziert haben. Die Läger nicht nur des Handels sollen überquellen, auch die bei der Industrie randvoll sein. Arbeiter in deutschen Fabriken beginnen sich zu fragen, ob Kurzarbeit, Ausfall von Schichten oder wie in anderen Ländern kurzzeitige Werksschließungen – von Totalschließungen wagt keiner zu reden – drohen. Gerüchte machen die Runde, denen zwar hier kein Vorschub geleistet werden soll, die sich aber nicht wegleugnen lassen.

Und trotz alledem hören wir parallel von ersten „Lieferengpässen“ in bestimmten Größen. Weil es die Reifenhersteller wieder einmal nicht geschafft haben, bei den richtigen Größen für Entspannung zu sorgen. Abgesehen davon, dass das Vornehmen solch einer Produktionsplanung ein höchst undankbarer Job ist, sei erneut angemahnt, doch bitte alles zu tun, dass es dazu nicht kommt.

In den letzten Jahren haben vor allem Marktteilnehmer aus Fernost Ware in den deutschen Markt gedrückt, die wir nicht brauchten, jedenfalls nicht die Volumina. Wenn es diesen Anbietern darum ging, unter das Budgetsegment ein Low-Budget- oder gar ein Low-Low-Budget-Segment zu schieben, das ist ihnen gelungen! Dennoch bleibt festzuhalten: Der deutsche Reifenersatzmarkt hat diese Mengen nicht gebraucht, die hiesigen Hersteller sind in der Lage, den quantitativen Bedarf zu erfüllen, den qualitativen ohnehin.

Wahrscheinlich, warnen Marktkenner, wird die Crux eine differenziertere sein: Die Logistik werde über Wohl und Wehe von Reifenherstellern wie Reifen(groß)händlern entscheiden. Man stelle sich vor, die benötigten Reifen sind bei einem plötzlichen Winterreifeneinbruch auch tatsächlich irgendwo eingelagert, aber kommen nicht kurzfristig zum Reifeneinzelhandelsbetrieb. Sind sie denn endlich da, ist vielleicht die weiße Pracht längst geschmolzen und hat der Endverbraucher die Lust zur Umbereifung verloren. Nicht auszudenken! Einige Reifengroßhändler gerieren sich, als seien sie hochleistungsfähige Logistiker. Da macht sich Zweifel breit. Die Industrie hat sich längst vor großen Teilen der Reifenverteilung verabschiedet, weil sie erkannt hat: Da gibt es einige Spezialisten, die können das besser als wir. Ihr Reifengrossisten, seid Ihr sicher, dass Ihr es besser könnt als die Spedition bei Euch vor Ort?

Man muss kein großer Marktwirtschaftler sein, um zu wissen: Ist der Markt eigentlich gesättigt, wird mehr Ware angeboten als verlangt wird, dann setzt der Preiskampf ein. Und er hat schon begonnen. Service- und Marketingkampagnen, die zur frühen Umrüstung animieren sollen, verfangen nur äußerst unbefriedigend. Die Zeiten, in denen das Winterreifengeschäft für einen Reifenhändler das jährliche „Sahnehäubchen“ war, sind offensichtlich zu Ende. Ganz konkrete Liquiditätsengpässe zwingen Reifenhändler, die Margen sausen zu lassen und nur noch „Geld zu wechseln“. Wer persönlich diesen Druck eigentlich nicht haben müsste, lässt sich vom „Kollegen um die Ecke“, dem das Wasser bis zum Halse steht, dazu gegen alle Vernunft verleiten. Die Besonnenheit geht verloren.

Der Preis, der Preis, immer wieder der Preis. Verbände, Hersteller, Fachpresse – alle argumentieren sie seit Jahren gebetsmühlenhaft dagegen an. Endverbraucherzeitschriften, Automobilverbände etc. aber rufen zur Schnäppchenjagd auf, verweisen darauf, dass man sich doch über B2C-Plattformen „schlau“ machen kann. Ist der Händler, der dem widersteht und sich in Disziplin übt, am Ende der Dumme, weil irgendwann das Wintergeschäft vorbei und der „billige Jakob“, der so wenig professionell arbeitende Hinterhofbetrieb den Rahm abgeschöpft hat? Das wäre tragisch. detlef.vogt@reifenpresse.de

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