Pilot:Projekt: Aktuelles zum Thema Reifenlabel

Passiert die am 23. Mai 2008 von der EU-Kommission verabschiedete Richtlinie das Europäische Parlament und den EU-Ministerrat, sind ab 2012 Kraftfahrzeuge in den EU-Mitgliedsländern obligatorisch mit rollwiderstandsarmen Reifen und Reifendrucküberwachungssystemen auszurüsten. Und setzt sich die Meinung der drei federführenden Generaldirektionen der EU-Kommission durch, dann wird 2012 zudem ein dreigliedriges Bewertungs- und Kennzeichnungssystem für Reifen eingeführt. Es soll die Endverbraucher über den Rollwiderstand, die Nasshaftung und die Geräuschentwicklung des Reifens informieren, berichtet die Pilot:Projekt GmbH (Hannover) in ihrem aktuellen Newsletter „DOPPELPUNKT:Mobilität“.

„Das Reifenlabel kommt 2012“, zitiert „DOPPELPUNKT:Mobilität“ Alix Chambris. Sie leitet in der Generaldirektion Energie und Transport der EU-Kommission die mit dem Thema Reifenlabeling betraute Abteilung „Neue und erneuerbare Energiequellen“ und kann daher als Herrin des Verfahrens bezeichnet werden. Auf ihre Einladung hin hatten sich am 26. Mai 2008 Reifenexperten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu einem Workshop in Brüssel eingefunden, um über die Einführung eines Bewertungs- und Kennzeichnungssystems für Reifen zu diskutieren.

„Die Workshop-Teilnehmer waren sich darin einig, dass ein Bewertungssystem für die Endverbraucher vorteilhaft ist, weil sie Reifen dann schnell und einfach miteinander vergleichen können“, fasst Chambris im Gespräch mit DOPPELPUNKT:Mobilität das Kernergebnis der Veranstaltung zusammen. „Zudem betonten die Beteiligten die Sicherheit als oberste Priorität jeder EU-Regelung. Daher sollte neben dem Rollwiderstand auch die Nasshaftung in das Bewertungssystem aufgenommen werden.“

So spreche sich beispielsweise der niederländische Verkehrsminister Camiel Eurlings ohne Umschweife für ein Reifenlabel aus, das Rollwiderstand, Nassgriff und Geräuschentwicklung kennzeichnet. Auch die Reifenexperten im deutschen Bundesverkehrsministerium würden ein dreigliedriges Kennzeichnungssystem befürworten, allerdings nur für Pkw- und Llkw-Reifen. Die Lkw-Reifen sollten demnach weiterhin ohne Label bleiben.

Die Phase des Einholens von Meinungen aus der Wirtschaft, der Politik und der Wissenschaft stehe nach Ansicht von Alix Chambris kurz vor dem Abschluss. Auf der Basis dieser Informationen wolle die Abteilung „Neue und erneuerbare Energiequellen“ nun in den kommenden Wochen einen Richtlinienvorschlag zum Themenkomplex Reifenlabel entwickeln.

Dieser Vorschlag muss im ersten Schritt mit den für das Thema zuständigen Abteilungen in anderen Generaldirektionen diskutiert und abgestimmt werden. Nach aktuellen Hinweisen von Alix Chambris herrsche mittlerweile Übereinstimmung mit den Reifenexperten in den Generaldirektionen Unternehmen und Industrie sowie Umwelt. Die drei federführenden Generaldirektionen plädieren gemeinsam für ein dreigliedriges Reifenlabel, bei dem Rollwiderstand, Nassgriff und Geräuschentwicklung berücksichtigt werden.

„Forschungsergebnisse zeigen, dass es möglich ist, Reifen zu entwickeln und zu produzieren, die hinsichtlich Rollwiderstand, Geräuschentwicklung und Nassgriff gute Ergebnisse erzielen“, wird EU-Kommissar Günter Verheugen in dem Bericht von „DOPPELPUNKT:Mobilität“ zitiert. „Daher werden wir uns bei der Sicherheit von Reifen auf keine Kompromisse einlassen.“

Auf die Frage, wie schnell eine Entscheidung zum Themenkomplex Reifenlabel herbeigeführt werden kann, kommen aus den beiden Generaldirektionen allerdings unterschiedliche Signale. Alix Chambris von der Generaldirektion Energie und Transport gibt sich optimistisch: „Der Vorschlag der EU-Kommission für die Richtlinie kann noch in diesem Jahr an Parlament und Ministerrat weitergeleitet werden.“ Weil sie zudem eine schnelle Bearbeitung des Vorschlags im Parlament und keine Querschüsse aus dem Ministerrat erwartet, stünde einer Verabschiedung der Richtlinie 2009 nichts entgegen. Nach deren Umsetzung in nationales Recht würde das Reifenlabel dann 2012 in den Mitgliedsländern der EU eingeführt. Diesen Zeitplan betrachtet allerdings Ian Knowles, Leiter der Abteilung Automotive Industrie in der Generaldirektion Industrie und Unternehmen, noch mit gewisser Skepsis. „Bislang hat die Generaldirektion Energie und Verkehr keine Standards für das Labeling entwickelt, und bis dato liegt mir dazu auch kein genauer Zeitplan vor.“

Einige Entwicklungen sprächen dafür, dass die Reifenkennzeichnung vielleicht erst 2014 eingeführt wird, heißt es „DOPPELPUNKT:Mobilität“:

1.) Wenn gesetzliche Grenzwerte festgelegt werden sollen, muss zuvor eindeutig definiert werden, wie diese von unabhängigen Prüflaboratorien in der EU nach einheitlichen Standards ermittelt und überwacht werden können. Bislang fehlt ein Lösungsansatz, wie die vielfältigen äußeren Rahmenbedingungen in den europäischen Ländern in Laborprüfungen widergespiegelt werden könnten. So lange dies nicht geklärt ist, sind die in der EU-Kommission bislang diskutierten Grenzwerte nicht aussagekräftig.

Die bestehende Unsicherheit zu beenden, ist Aufgabe der United Nations Economic Comission for Europe (UNECE) mit Sitz in Genf. Ein verbindlicher Vorschlag für Grenzwerte des Reifenrollwiderstandes müsse nach Worten von Romain Hubert, Leiter der Expertengruppe für Bremsen und Fahrwerk der UNECE, erst noch festgelegt werden, heißt es in dem Beitrag. Vertreter dieser Expertengruppe saßen am 26. Mai beim Workshop zum Thema Reifenlabel der Generaldirektion Energie und Transport mit am Tisch. Romain Hubert: „Wie im Protokoll des Workshops angekündigt, trifft sich die Expertengruppe für Bremsen und Fahrwerk vom 15. bis zum 19. September 2008 zu einem Meinungsaustausch. Dabei werden wir auch über mögliche Verfahren zur Einführung von Grenzwerten für den Rollwiderstand von Reifenfamilien beraten.“

Einem Vorschlag der Russischen Föderation zufolge soll für alle Reifentypen zunächst der Koeffizient des Rollwiderstands festgestellt und in einer Datenbank erfasst werden. Diese Arbeiten sollen der Definition eines für die Reifenhersteller verbindlichen Grenzwertes für den Rollwiderstand von Reifenfamilien wie Pkw-, Llkw- und Lkw-Reifen dienen. In der Expertengruppe gehe man davon aus, dass bis Mitte 2009 über die Einführung einer Datenbank entschieden wird. Das heißt, folgert „DOPPELPUNKT:Mobilität“: Ab 2009 könne damit begonnen werden, Daten zum Rollwiderstand bisher produzierter Reifen zu erfassen. Der Grenzwert werde dann voraussichtlich bis 2011 verbindlich erarbeitet werden können. Angesichts dieses Zeitplans stelle sich die Frage: Werden die EU-Gremien beziehungsweise die Regierungen der EU-Mitgliedsländer sich darauf einlassen, 2009 das Einführen eines Reifenlabels zu verabschieden, ohne die tatsächlichen Grenzwerte zu kennen?

2.) Auch die Frage, welche Mindestanforderung an den Nassgriff der Reifen festgelegt werden sollen, berge noch Konfliktpotenzial, schreibt „DOPPELPUNKT:Mobilität“ und verweist auf den ADAC, der zu bedenken gab, dass der Referenzreifen zur Bestimmung der Mindestanforderung an den Nassgriff ein US-Produkt sei, welches den europäischen Verhältnissen nicht entspreche. Damit sei die Gefahr verbunden, dass Reifen künftig umweltfreundlicher, aber auch unsicherer würden. Ian Knowles, Leiter der Abteilung Automotive Industrie in der Generaldirektion Industrie und Unternehmen, hält dagegen: „Die Anforderungen an den Nassgriff basieren auf einer UNECE-Richtlinie von 2004. Damals gingen die Experten davon aus, dass rund 30 Prozent der Reifen diesen Ansprüchen nicht genügen werden.“ Allerdings entwickele sich die Reifentechnologie kontinuierlich weiter, so dass bis 2012 wohl jeder Reifen den Mindestanforderungen genügen würde, prophezeit Knowles.

3.) Nachfragen von DOPPELPUNKT:Mobilität in den für das Thema federführenden Ausschüssen des EU-Parlaments Industrie, Forschung und Energie sowie Verkehr in Straßburg ergaben: Das Reifenlabel steht dort noch nicht auf der Tagesordnung. Erst wenn der Vorschlag der EU-Kommission für die Richtlinie den Ausschüssen zugeleitet worden ist, werden sich die Parlamentarier damit befassen. Ob sie den Richtlinenvorschlag im Schnelldurchgang passieren lassen, lässt sich heute noch nicht sagen. Fakt ist: Im Juni 2009 steht die nächste EU-Parlamentswahl an. „Sollte das Thema Reifenlabel bis dahin nicht das Parlament erreicht und passiert haben, ist es aller Erfahrung nach sehr unwahrscheinlich, dass sich die EU-Parlamentarier noch vor 2010 mit der Richtlinie befassen“, erklärt Michael Cramer, Sprecher für Die Grünen im Verkehrsausschuss des EU-Parlaments. Der Plan, das Reifenlabel im Jahr 2012 einzuführen, wäre dann wohl hinfällig.

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