Bridgestone: Stärkung der Unternehmensstruktur hat hohe Priorität

Der Bridgestone-Konzern ist länger schon die Nummer eins der Branche. Und obwohl die Geschäfte des größten Reifenherstellers der Welt gut laufen, haben die Japaner derzeit durchaus ein paar „Baustellen“ abzuarbeiten. Auf dem Heimatmarkt Japan sind die Geschäfte in der Vergangenheit schon besser gelaufen, und auch in einigen asiatischen Ländern – allen voran China – scheint nicht alles, was glänzt, auch Gold zu sein. Und das ist nicht alles. Wie die Konkurrenten Michelin, Goodyear und Cooper hat auch Bridgestone Firestone in Nordamerika mächtig zu kämpfen. Exakte Zahlen gibt es nicht, weil man in der Not die hässlichen Zahlen Nordamerikas mit fantastischen Zahlen aus Lateinamerika mixt. In Europa ist die Basis immer noch recht klein, aber unter der Führung von Bridgestone-CEO Arakawa, dem früheren Spitzenmann der Bridgestone in Europa, hat der Konzern seine Bemühungen deutlich verschärft. So kommt den Geschäften der Bridgestone in Deutschland bzw. im deutschsprachigen Raum größte Bedeutung zu.

Vor zwei Jahren hat Dr. Rainer Schieben die Geschäftsführung von Bridgestone Deutschland aus den Händen seines Vorgängers Günter Unterhauser übernommen, der zurzeit noch als Berater des Europapräsidenten Aufgaben in Brüssel wahrnimmt und vermutlich endgültig zum Ende des Jahres ausscheiden wird. Seither hat er einiges verändert, eigenen Angaben zufolge an ein paar Steuerungsschrauben bezogen auf den Produktmix, den Kanalmix und die Preise gedreht. Und obwohl Bridgestone durch das Formel-1-Engagement weltweit viel für die Marke getan hat, ist der Hersteller in den Augen der Öffentlichkeit ein Vollsortimenter geblieben. Verkauft werden nicht allein Reifen für Fahrzeuge der Luxusklasse, sondern Bridgestone gilt als exzellenter Nutzfahrzeugreifenhersteller, der sich im Lkw-Reifengeschäft sowie im Geschäft mit EM-, Industrie- und Landwirtschaftsreifen sowie mit Motorradreifen auf Augenhöhe mit Michelin bewegt.

Mit dem Verlauf des ersten Halbjahrs 2007 zeigte sich Schieben im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG außerordentlich zufrieden, sodass trotz aller Aufs und Abs auch von einem exzellenten ersten Halbjahr gesprochen werden könne. Insbesondere im Nutzfahrzeugreifengeschäft konzentriert man sich darauf, das Verhältnis von Reifen für Vorderachsen einer- und Trailerreifen anderseits zu optimieren. Kurz gesagt: Auf Vorderachsen wird Geld verdient, mit Anhängerreifen wird Geld gewechselt. Wie andere Hersteller leidet auch Bridgestone derzeit unter mangelnder Verfügbarkeit, für EM-Reifen gilt das ohnehin seit längerer Zeit schon in ausgeprägter Form. In Deutschland hat man dennoch nicht weniger Lkw-Reifen als in den Vorjahren abgesetzt. Im Gegenteil: Es waren sogar mehr, und trotz gestiegener Stückzahlen konnten auch die Preise angezogen werden. Ohne Verfügbarkeitsprobleme wären die Zuwachsraten allerdings weitaus prächtiger ausgefallen.

Bei aller Zufriedenheit will sich Schieben mit seiner Mannschaft dennoch nicht beruhigt zurücklehnen. Bridgestone und Michelin seien im Markt mit Lkw-Reifen sehr gut verankert, und auch Continental verfüge über einige gute Adressen im Handel. Dennoch sieht Schieben aber auch Goodyear – das Unternehmen, für welches er einige Jahre lang tätig war – für die Zukunft gut gerüstet, da es mit deutscher und luxemburgischer Produktion flexibel auf den Markt reagieren und sich Schritt für Schritt in eine stärkere Position bringen könne.

Schieben fühlt sich bei Bridgestone sehr wohl. Im Konzern herrscht eine Linienorganisation, und die Bilanz bleibt das Kriterium für das Unternehmen. In anderen Konzernen findet sich eine Matrixorganisation, in welcher die Geschäftsführer „lediglich“ noch eine Verantwortung für Deckungsbeiträge haben, sie aber von vielen anderen Unwägbarkeiten, auf die sie keinen Einfluss nehmen können, abhängig sind. Was Schieben nicht sagt, aber wohl meint: In einer solchen Organisation gibt es zu viele Manager links und rechts des Weges, die einem in die Suppe spucken können. Die Bridgestone-Organsiation belässt also die Verantwortung beim Managing Director und macht ihn nicht zu einer Art Erfüllungsgehilfen.

Mit dieser Verantwortung will Dr. Schieben fair und anspruchsvoll zugleich umgehen. Die eigene Mannschaft bekommt präzise Vorgaben nach für jedermann nachvollziehbaren Kriterien, und das Ganze ist ausreichend klar kommuniziert. Man dürfe nicht – sagt Schieben – mit der Angst von Menschen operieren, weil das schon mal gar nichts bringe und einer fruchtbaren Diskussion im Wege stehe. Er will ein Klima, das Diskussionen über anspruchsvolle Zielsetzungen zulässt, in dem auch deutlich wird, was die eigene Mannschaft an weiterer Unterstützung zur Zielerreichung benötigt.

Dass Bridgestone-Produkte den Vergleich mit keinem anderen Wettbewerber scheuen müssen, ist völlig klar. Das ist aber lediglich eine Voraussetzung zum Erfolg. Ansonsten aber kommt es, wie überall im Leben, auf die Menschen an, die Beiträge zu diesen Erfolgen leisten sollen. Welche Menschen sind das in einem Konzern wie Bridgestone? Wie ist es um die Unternehmenskultur bestellt?

Fachsimpeleien zur Unternehmenskultur finden sich in allen Broschüren aller Großkonzerne, und meistens klingen die zu Papier gebrachten Sätze sehr altruistisch, einigermaßen abgehoben und sie erzeugen den Eindruck, weit weit weg vom eigentlichen Geschäft zu sein. Diese Gefahr sieht Schieben durchaus, und er versucht, die Ansprüche zu bündeln, etwas „herunterzubrechen.“ Da mag Bridgestone die Nummer eins weltweit sein, und doch gibt es dann in Europa und in Deutschland große Lücken zwischen Ansprüchen und Wirklichkeit. So hat er für 2007 in Deutschland dieses Motto ausgegeben: Bridgestone ist auf dem Weg zur Nummer eins. Bridgestone will nachhaltig und profitabel wachsen und sich auf ein breites Fundament in Form solider und breiter Distribution stellen.

Zur Pflege einer erfolgreichen Unternehmenskultur muss allerdings auch einiges getan werden. Wenn man zu viele Leute von außen in das Unternehmen holt, vorzugsweise auch von Wettbewerbern, läuft man Gefahr, dass die Unternehmenskultur verwässert wird und auch diese neuen Mitarbeiter zu viel von ihren alten Arbeitgebern mitbringen, was nicht unbedingt in Einklang zu dem steht, was der Konzern will.

Damit in dieser Hinsicht nichts mehr „anbrennt“, hat Dr. Schieben ein Sales- und Marketingtraineeprogramm ins Leben gerufen. Es wird ein Pool von Kandidaten mit hohem Potenzial für spätere Managementpositionen geschaffen. Das setzt bereits eine gute theoretische Bildung, also BWL-Abschluss oder vergleichbare Abschlüsse voraus. Nach anderthalb Jahren kommt es dann zur Entscheidung, entweder Weiterbeschäftigung im Bridgestone-Konzern oder Wechsel in andere Märkte zu anderen Firmen.

Das Programm ist in drei sechsmonatige Semester unterteilt. Dabei wird das erste Semester als allgemeine Einführungs- und Orientierungsphase betrachtet. Nachdem auf der Basis des Beurteilungssystems die zu erreichenden Ziele definiert worden sind, geht es darum, den Trainee in alle wichtigen Abteilungen einzuführen, begonnen beim Verkauf Innen, über Sales Administration, Sales Controlling, Customer Service, Logistik und Technik. Er wechselt zwischen den Abteilungen Pkw- und Lkw-Marketing hin und her und wird einem gründlichen Produkttraining in den Bereichen Pkw und Lkw unterzogen. Parallel dazu verläuft die Eingewöhnung in die Kultur des Unternehmens.

Das zweite Semester ist eine Spezialisierungsphase. Der Trainee übernimmt erste Verantwortungen im Verkauf und wird von Mentoren im Job begleitet und auch gerne als Assistent zu Spezialprojekten hinzugezogen. Die zu absolvierenden Trainings sind schon sehr anspruchsvoll. Ohne Intensivtraining „Reifenspezialist“, zu absolvieren im Bridgestone European Education Center in Rom, läuft nichts. Ein Managementtraining „Zeit- und Gebietsplanung“ steht ebenso auf der Agenda wie ein umfassendes Verkaufstraining.

Im dritten Semester geht es darum, den Mitarbeiter Berufserfahrung sammeln zu lassen. Zu diesem Zweck soll ihm Verantwortung für einen definierten Kundenkreis übertragen werden. Und auch jetzt laufen die Trainings weiter wie Techniktraining, Business-Development-Training und last, but not least Präsentationstraining bis nach 18 Monaten die Stunde der Wahrheit folgt: Die Entscheidung darüber, ob der Kandidat von Bridgestone übernommen wird oder auf eine große Karriere außerhalb des japanischen Konzerns setzen muss.

Alle beschriebenen Maßnahmen verraten natürlich die lange Sicht und die weit vorausschauende Planung eines Großkonzerns. Die besten Leute bekommt man nicht so einfach. Die besten Leute findet man auch nicht immer nur an den Universitäten, und nicht jeder mit Prädikatsexamen kann als geeignet angesehen werden und auch zum Unternehmen passen. Traineeprogramme dieser Art leisten aber sehr mittelfristig und erst recht langfristig einen gewaltigen Beitrag dazu, ein Unternehmen wirklich gut führen zu können. Die besten Mitarbeiter hat man meist dann, wenn man sie selbst ausgebildet und über Jahre immer weiter trainiert hat. Eine Unternehmenskultur kann man nicht nur auf ein Stück Papier schreiben, man muss sie leben und vorleben und all diejenigen, die neu in ein Unternehmen kommen, müssen die Chance bekommen, die Kultur kennen zu lernen, sich mit ihr zu infizieren, um sich letztlich damit voll und ganz zu identifizieren. Je öfter dies gelingt, umso besser für ein Unternehmen.

Das, was in Bad Homburg derzeit beginnt, wird sich in der Bilanz nicht allzu schnell niederschlagen, aber es ist wohl mit der wesentlichste Beitrag, den ein vorausschauendes Management leisten kann. Und je besser diese Programme sind, je konsequenter sie verfolgt werden, umso schwieriger wird es langfristig für Seiteneinsteiger werden.

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