Muss das Reifenmechanikerhandwerk um Nachwuchs fürchten?

Vor etwa einem Jahr hat der Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk e.V. (BRV) der Branche eindringlich ins Gewissen geredet, sie möge doch mehr Ausbildungsplätze für den Beruf des Mechanikers für Reifen- und Vulkanisationstechnik bereitstellen. Der Aufruf hat offenbar gefruchtet, denn mit rund 440 bestehenden Ausbildungsverhältnissen – 148 Azubis befinden im ersten Lehrjahr, 138 und 152 im zweiten bzw. dritten – markiert das Jahr 2006 einen neuen Höchststand in der offiziellen Statistik des Deutschen Handwerkskammertages (DHKT). Laut dem BRV ist dies die höchste Zahl seit dem Rekord von 1985, in dem 503 Berufsanfänger ihre Ausbildung im Reifenhandwerk absolvierten. Aber wie heißt es so schön: Besser geht immer. Zumal in der Öffentlichkeit immer wieder über das mangelnde Angebot an freien Leerstellen – quer durch alle Berufsgruppen – diskutiert wird und der BRV angesichts rückläufiger Schulabgängerzahlen noch vor Jahresfrist vor einem möglicherweise drohenden Fachkräftemangel gewarnt hat.

Bemerkenswert ist dabei, dass die Entwicklung der Ausbildungsverhältnisse im Reifenhandwerk für das zurückliegende Jahr einen entgegengesetzten, positiven Trend im Vergleich mit der Gesamtentwicklung über alle Berufsgruppen zeigt. Schließlich bestanden zum Stichtag 31. Dezember 2006 bundesweit alles in allem 476.542 Ausbildungsverhältnisse, was einem leichten Minus von 0,1 Prozent in Bezug auf das Jahr 2005 entspricht, für das der DHKT einen Vergleichswert von 477.158 nennt. Demgegenüber ist die Zahl der Auszubildenden im Reifenhandwerk von 2005 auf 2006 von 404 auf 438 angestiegen. Und das entspricht einem Zuwachs von nicht weniger als 8,4 Prozent, während beispielsweise selbst der lehrlingsstärkste Beruf des Kraftfahrzeugmechantronikers (inklusive der Kraftfahrzeugelektriker und Kraftfahrzeugmechaniker) diesbezüglich ein Minus von rund 1,2 Prozent verbuchen musste.

Diesen (Teil-)Erfolg führt man seitens des BRV nicht zuletzt auf die 2004 in Kraft getretene Ausbildungsverordnung zurück, mit welcher man vor allem dem Umstand Rechnung tragen wollte, dass Autos immer komplexer werden und der Service damit umfangreicher und anspruchsvoller wird. Angefangen bei der Montage und Demontage von Reifen und Rädern über den Umgang mit Reifendruckkontrollgeräten bis hin zum Überprüfen der Bremsanlage sollen die Auszubildenden dabei vor allem lernen, für die Sicherheit und den Fahrkomfort ihrer Kunden Sorge zu tragen. Der dreijährige Ausbildungsgang sieht seit der Aktualisierung des Berufsbildes vor nunmehr fast drei Jahren eine Spezialisierung für das letzte Lehrjahr vor. Nach der zweijährigen Grundausbildung können die Azubis zwischen den Fachrichtungen Reifen- und Vulkanisationstechnik wählen.

Im Bereich Reifentechnik werden Spezialkenntnisse wie zum Beispiel das Vermessen der Achsen sowie die Wartung/Instandsetzung von Abgas- und Klimaanlagen oder Optimierungsarbeiten am Fahrwerk und Umrüstung von Fahrzeugen auf Sonderräder/-reifen bzw. Fahrzeugtuning vermittelt. „Mechaniker/innen für Reifen- und Vulkanisationstechnik der Fachrichtung Reifen- und Fahrwerktechnik arbeiten zum Beispiel in Reifenservicestationen, bei Reifenhändlern oder Kraftfahrzeugreparaturbetrieben. Beschäftigungsmöglichkeiten gibt es auch in Vulkanisierwerken und in Betrieben, die gebrauchte Reifen runderneuern. Bei einer Beschäftigung im Reifenhandel sind sie auch in Verkaufsräumen tätig“, lautet daher die Kurzbeschreibung dieses Ausbildungsganges in den unter dem Namen „Berufenet“ zusammengestellten Berufs- und Bildungsinformationen der Bundesagentur für Arbeit.

Das Arbeitsgebiet Vulkanisationstechnik beinhaltet insbesondere die Instandsetzung von Reifen und Schläuchen aller Fahrzeugarten, das Erneuern von Reifen, die Wartung und Instandsetzung von Fördergurten sowie die Herstellung und Instandsetzung von Gummiauskleidungen und -belägen. Mechaniker/innen für Reifen- und Vulkanisationstechnik der Fachrichtung Vulkanisationstechnik runderneuern, prüfen und reparieren Reifen aller Art. Sie stellen auch Gummiauskleidungen und -beläge her und setzen Transportbänder für Förderanlagen instand. „Mechaniker/innen für Reifen- und Vulkanisationstechnik der Fachrichtung Vulkanisationstechnik sind zum Beispiel in Betrieben, die gebrauchte Reifen runderneuern, in Vulkanisierwerken oder bei Reifenservicestationen beschäftigt. Dort arbeiten sie hauptsächlich in Werkhallen, Montagehallen sowie in Werkstätten, auf Betriebshöfen und in Materiallagern“, so die entsprechende Kurzcharakteristik der Behörde für die andere Fachrichtung.

Da das Berufsbild des Mechanikers für Reifen- und Vulkanisationstechnik erst mit dem Ausbildungsjahr 2004 den ehemaligen Ausbildungsberuf des Vulkaniseurs bzw. der Vulkaniseurin abgelöst hat, werden in diesem Jahr dem Arbeitsmarkt erstmals Gesellen mit der entsprechenden neuen Berufsbezeichnung zur Verfügung stehen. Fast 120 Lehrlinge befanden sich Ende 2006 jedenfalls im dritten und damit letzten Lehrjahr gemäß einer der beiden Spezialisierungen – zuzüglich einer Zahl von noch 30 Vulkaniseuren/Vulkaniseurinnen. Wie bei allen anerkannten, nach dem Berufsbildungsgesetz oder der Handwerksordnung geregelten Ausbildungsberufen ist dabei für keine der beiden Spezialisierungen eine bestimmte schulische oder berufliche Vorbildung Voraussetzung. Die Betriebe stellen im Ausbildungsberuf Mechaniker/in für Reifen- und Vulkanisationstechnik (beide Fachrichtungen) allerdings überwiegend Auszubildende mit Hauptschulabschluss ein.

Der DHKT-Statistik zufolge stellten bei den 2005 neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen dieses Berufsbildes in den alten Bundesländern Lehrlinge mit Hauptschulabschluss mit einem Anteil von 65,8 Prozent die größte Gruppe, während 19,3 Prozent einen Realschul- oder gleichwertigen Abschluss vorweisen konnten. Interessanterweise kehrt sich dieses Verhältnis in etwa ins Gegenteil, wenn man in Richtung der neuen Bundesländer schaut. Hier starteten 2005 nämlich 58,1 Prozent mit einem Realschul- bzw. gleichwertigen Abschluss ihre Ausbildung als Mechaniker/in für Reifen- und Vulkanisationstechnik. Den Anteil derjenigen, die in den neuen Bundesländern mit einem Hauptschulabschluss diesen Beruf erlernen wollten, beziffert der DHKT mit 34,9 Prozent. Im Vergleich zu diesen beiden Hauptgruppen sind im Osten wie im Westen alle anderen schulischen Vorbildungen (ohne Hauptschulabschluss, Abitur/Hochschulreife, Berufsfachschule oder Ähnliches) vernachlässigbar.

Einigkeit herrscht in beiden Teilen der Republik offenbar auch darüber, dass ein Mechaniker für Reifen- und Vulkanisationstechnik offensichtlich männlich sein muss. Egal, ob man auf die Neuabschlüsse an Ausbildungsverträgen oder den Bestand an Lehrlingen blickt: Hüben wie „drüben“ erreicht die Frauenquote bei den Lehrlingen nicht einmal ein Prozent. Absolut betrachtet entspricht dies absolut gesehen bundesweit gerade einmal drei weiblichen Auszubildenden im Reifenhandwerk. Darin unterscheidet sich dieser Ausbildungsgang kaum von anderen Berufen rund um das Kraftfahrzeug. So kommen beispielsweise auch bei den Kraftfahrzeugmechatronikern oder -mechanikern nicht einmal zwei weibliche Lehrlinge auf 100 Auszubildende.

Größer sind da schon die Unterschiede, was die Vergütung während der Lehre angeht. Während ein angehender Kraftfahrzeugmechatroniker im Mittel über die alle drei Lehrjahre in den alten Bundesländern 573 Euro im Monat überwiesen bekommt und damit schon 56 Euro unter dem Durchschnittswert aller Berufsgruppen (629 Euro im Monat) liegt, muss sich der/die Mechaniker/in für Reifen- und Vulkanisationstechnik laut dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) mit 476 Euro bescheiden: 435 Euro im ersten Lehrjahr sowie 470 und 522 Euro in den beiden darauf folgenden Lehrjahren. Dieser Abstand bleibt scheinbar auch im weiteren Verlauf des Berufslebens erhalten. Denn laut „Berufenet“ kann die tarifliche Bruttogrundvergütung für einen Kraftfahrzeugmechatroniker im Kraftfahrzeughandwerk „beispielsweise 1.984 Euro im Monat betragen“, was – unter der Annahme von monatlich 21 Arbeitstagen (montags bis freitags) – und einer täglichen Arbeitszeit von acht Stunden einem Stundenlohn von knapp zwölf Euro entsprechen würde. Demgegenüber ist in den Berufs- und Bildungsinformationen der Bundesagentur für Arbeit von einem tariflichen Bruttostundenlohn in Höhe von nicht ganz zehn Euro im Zusammenhang mit den Mechanikern für Reifen- und Vulkanisationstechnik die Rede.

Ob dieser Umstand dazu beigetragen hat, dass die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit dem bisherigen Gesellenbrief als Vulkaniseur von 1996 bis 2005 um mehr als 16,5 Prozent zurückgegangen ist, während bei den Kraftfahrzeugmechanikern im selben Zeitraum „nur“ ein Minus von nicht mal ganz vier Prozent zu Buche schlägt? Auch ist der Anteil derjenigen Vulkaniseure, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, mit laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit 38,6 Prozent im Jahr 2005 deutlich höher gewesen als der Vergleichswert von 25 Prozent bei den Kraftfahrzeugmechanikern. Umgekehrt ist laut der IAB-Statistik gerade der Anteil der jüngeren Arbeitslosen unterhalb eines Alters von 25 Jahren bei den Vulkaniseuren wesentlich kleiner als bei den Kraftfahrzeugmechanikern.

Wie die 2006 ohnehin erfreulicherweise entgegen dem allgemeinen Trend gestiegene Zahl an Ausbildungsplätzen für Mechaniker für Reifen- und Vulkanisationstechnik könnte man dies so interpretieren, dass im Reifenhandwerk stärkerer Bedarf an jungen Nachwuchskräften besteht als etwa bei den Kraftfahrzeugmechanikern. Nicht umsonst hat der BRV im Zusammenhang mit seinem letztjährigen Aufruf an die Branche, mehr Ausbildungsplätze bereitzustellen, die Sorge geäußert, es könnte ansonsten zu einem zunehmenden Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften kommen. Bleibt also zu hoffen, dass das im vergangenen Jahr beobachtete Plus bei den zur Verfügung stehenden Lehrstellen eine Trendwende eingeläutet hat. Zumindest ist dies ein Hinweis darauf, dass das neue Berufsbild offenbar auch zu einem gesteigerten Interesse der Jugendlichen an diesem Ausbildungsgang geführt hat.

Zwar sind aktuell (Stand Anfang Juni) auf den Webseiten http://jobboerse.arbeitsagentur.de der Bundesagentur für Arbeit noch zehn bzw. 13 nicht besetzte Lehrstellen zum Mechaniker für Reifen- und Vulkanisationstechnik der beiden Fachrichtungen Vulkanisationstechnik bzw. Reifen- und Fahrwerkstechnik gelistet. Doch der anscheinend durchaus bestehende Bedarf an entsprechend ausgebildeten Fachkräften, der sich an selber Stelle der Internetpräsenz der Arbeitsagentur an der Zahl der freien Stellen in dem „alten“ Berufszweig des Vulkaniseurs bzw. für Absolventen des neuen Ausbildungsganges ablesen lässt, sollte eigentlich dafür sorgen, dass die angebotenen Lehrstellen nicht mehr lange unbesetzt bleiben.

Immerhin verzeichnet die Onlinejobbörse mindestens 100 Stellenangebote – mehr zeigt das System von sich aus nicht an – für Vulkaniseure oder (angehende) Reifenmechaniker. Insofern könnten ein paar zusätzliche Ausbildungsplätze sicher nicht schaden, zumal die Zeichen in Sachen wirtschaftlicher Entwicklung in Deutschland im Allgemeinen ja ebenfalls auf Wachstum stehen. Die Branche hat es aber letztlich selbst in der Hand für Nachwuchs zu sorgen und einem etwaigen Fachkräftemangel durch die Bereitstellung von möglichst vielen Ausbildungsplätzen entgegenzusteuern.

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