Winterreifen nach der StVO-Novelle: Richtlinie für die Polizei

Als erstes Bundesland hat Hamburg seinen Verkehrspolizisten per Erlass Richtlinien an die Hand gegeben, unter welchen Bedingungen ein Kfz bei winterlichen Straßenverhältnissen mit falscher Bereifung fährt und der Fahrer mit einem Bußgeld zu bestrafen ist. Das ergab eine aktuelle Umfrage der Gruppe Pilot:Projekt GmbH (Hannover). Das Hamburger Vorbild habe bereits Schule gemacht, schreibt „Pilot:Projekt“ in einer Pressemitteilung. Auch in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg seien zentrale Vorgaben für Beamte erlassen worden, in Sachsen und im Saarland in Vorbereitung.

Halbherzig formuliert sei sie, unausgegoren, schwammig und verwirrend: Kein gutes Haar lassen Kritiker an der Neufassung des Paragrafen 2 Absatz 3a der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO), die am 1. Mai 2006 rechtsgültig in Kraft trat. An zwei Sätzen erhitzen sich die Gemüter: „Bei Kraftfahrzeugen ist die Ausrüstung an die Wetterverhältnisse anzupassen. Dazu gehören insbesondere eine geeignete Bereifung und Frostschutzmittel in der Scheibenwaschanlage.“

Doch was bedeutet das für die Autofahrer? Sind sie beispielsweise in den kalten Monaten gehalten, Winterreifen aufzuziehen? Oder genügen gute Sommerreifen den Anforderungen der StVO? Nach welchen Kriterien verhängt die Verkehrspolizei Bußgelder?

„Obwohl die Vorschrift keine Hinweise dazu enthält, welche Bereifungen bei welchen Wetterverhältnissen geeignet sind, sollen die Kolleginnen und Kollegen von der Verkehrspolizei vor Ort darüber befinden und Verstöße ahnden“, skizziert ein verantwortlicher Beamter der Polizei Hamburg gegenüber Pilot:Projekt das Problem aus Sicht der Verkehrspolizisten. Weil der Gesetzgeber auf eine rechtsverbindliche Definition verzichte und die Rechtsprechung noch keine Grundsatzkriterien entwickelt habe, sei es notwendig gewesen, die Polizeibeamten durch zentrale Vorgaben zu unterstützen.

„Um Klarheit zu schaffen und ein einheitliches Vorgehen ihrer Verkehrspolizei sicherzustellen, hat die Hansestadt Hamburg den Beamten per Erlass eine Richtlinie an die Hand gegeben, nach der sie beurteilen können, unter welchen Bedingungen eine Bereifung bei winterlichen Straßenverhältnissen ungeeignet ist und demzufolge ein Bußgeld fällig wird“, erklärt der Sprecher.

Zur Information leitete die Hamburger Innenbehörde ihren Erlass an die Innenministerien der anderen Bundesländer weiter. Eine Umfrage von Pilot:Projekt in den Innenministerien habe ergeben: In Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg kam die Hamburger Vorlage gut an. Mit nahezu identischem Wortlaut wurde sie dort übernommen und in der vergangenen Woche per Erlass an die Polizeidirektionen der Länder ausgegeben. Auch in Sachsen und im Saarland findet der Vorschlag Anklang: Dort wird der Inhalt des Hamburger Erlasses als Auslegungshilfe für die Polizei genutzt. Ähnlich klingt es aus dem Saarländischen Innenministerium.

Die Umfrage von Pilot:Projekt ergab zudem, dass in Bayern, Berlin, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen, Hessen und Rheinland-Pfalz derzeit keine vergleichbaren Erlasse vorgesehen sind. In den Innenministerien von Niedersachsen, Brandenburg und Thüringen ist die Entscheidungsfindung noch nicht abgeschlossen.

Doch auch in diesen Bundesländern tun Autofahrer gut daran, sich an den Vorgaben aus Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein zu orientieren. Denn kommt es zu Behinderungen und Unfällen, werden die Beamten vor Ort stärker denn je die Reifen in Augenschein nehmen, wie es im Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern heißt: „Im Vorgriff auf die Ausrüstungspflicht wurde in der Verwaltungsvorschrift Verkehrsunfallaufnahme für die Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern festgelegt, dass sie bei der Verkehrsunfallaufnahme im Winterhalbjahr für Unfall-Beteiligte erfasst, ob diese auf ihren Kraftfahrzeugen Winterreifen fuhren, wenn es für den betreffenden Verkehrsunfall relevant sein könnte.“

Die „3+1-Regel“ der Polizei

Damit die Polizei bei Verstößen gegen den Paragrafen 2 Absatz 3a der StVO einheitlich vorgeht, haben die Innenministerien von Hamburg, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg festgelegt:

– Als Verstoß (Grundtatbestand nach Tatbestands-Nr. 102012: 20 Euro Bußgeld) soll verfolgt werden, wenn
1. „bei deutlich ausgeprägten, typisch winterlichen Straßenverhältnissen (zum Beispiel Glatteis, starker Schneefall, festgefahrene Schneedecke)
2. mit nicht geeigneter Bereifung (zum Beispiel Sommerreifen oder abgefahrene Winterreifen) gefahren wird und (!)
3. das tatsächliche Fahrverhalten (zum Beispiel Durchdrehen der Räder, Schleudern in Kurven, erheblich verlängerter Bremsweg, stark verzögertes Anfahren an Kreuzungen und Einmündungen nach einer Wartezeit sowie an Steigungen) beweist, dass die Bereifung nicht den winterlichen Wetterverhältnissen angepasst wurde.“
– „Wenn zusätzlich zum Grundtatbestand als Folge andere Verkehrsteilnehmer erheblich behindert werden, ist der qualifizierte Tatbestand (Tatbestandsnummer 102702, 40 Euro Bußgeld und ein Strafpunkt im Flensburger Verkehrszentralregister) zu verfolgen.“

Zwei Tatbestände werden bestraft

Der Tatbestandstext für die 20-Euro-Buße lautet demnach: „Sie passen als Führer des Kfz die Ausrüstung (ist näher zu erläutern, d. Red.) nicht an die Wetterverhältnisse an.“
Der Tatbestandstext für die 40-Euro-Buße und den Strafpunkt im Flensburger Verkehrszentralregister lautet demnach: „Sie passen als Führer des Kfz die Ausrüstung (ist näher zu erläutern, d. Red.) nicht an die Wetterverhältnisse an und behindern (angeben, worin die Behinderung bestand, d. Red.) dadurch andere.“

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