Investitionen in die Zukunft bei der RH Alurad Wheels Polska

Hier sei vieles etwas anders, sagen die Deutschen, die in der Nähe der polnisch-ukrainischen Grenze mit dem Guss von Aluminiumrädern zu tun haben. Hier bei uns ist es normal, dass man hilft, wenn einer ein Problem hat, sagen die Polen. Gemeint ist: Nur maximal knapp eine halbe Autostunde voneinander entfernt produzieren die vier Wettbewerber ATS, Uniwheels, Toora und RH Alurad jeweils Aluminiumfelgen. Und immer wieder fehlt in der Fertigung ein Teil oder ist defekt, gibt es Engpässe an irgendeiner Stelle im Produktionsfluss, dann erfolgt der Anruf bei einem der anderen Drei: Liegt bei Dir noch solch ein Teil irgendwo rum, hast Du Lackierkapazitäten frei usw.? Und wenn am Telefon keine Lösung gefunden wird, dann abends beim Bier. Die dortigen Räderhersteller haben die gleiche Stammkneipe, die – wie könnte es anders sein – von einem langjährigen Produktionsexperten für Aluminiumgussräder betrieben wird.

Die Firma RH Alurad Wheels Polska Sp. z o.o. (das Kürzel entspricht in etwa einer deutschen GmbH) ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der RH Alurad im sauerländischen Attendorn und der jüngste in diesem Kreis, die Fabrik die älteste, war aber immerhin die Keimzelle dieser Industrie in dieser Region. Ursprünglich war – wie das im damaligen Ostblock gar nicht anders sein konnte – dies ein riesiger staatlicher Betrieb, einer mit stark diversifizierter Produktpalette, wozu auch Rüstungsgüter gehörten. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs zerfiel der Industriemoloch in verschiedene Teile, wurde filetiert, Investoren waren schnell vor Ort, so der amerikanische Automobilzulieferer Federal Mogul, der noch heute am Standort Gorzyce produziert und direkter Nachbar der RH Alurad ist.

Doch die Amerikaner waren nicht die ersten, die diese so weit entfernte Gegend entdeckt hatten: Bereits zuvor hatten deutsche Felgenfirmen auf der Suche nach preisgünstiger, aber qualitativ einwandfreier Fertigung diese Gegend gefunden und erkannt: Mit relativ geringem Aufwand lässt sich hier das für die Aluminiumräderproduktion erforderliche Know-how implantieren, genügend gut geschulte Mitarbeiter sind für relativ geringe Löhne zu bekommen. (Die Arbeitslosenquote liegt noch heute bei etwa 30 Prozent in diesem eher ländlichen Raum.)

Natürlich sprach sich schnell herum in der ja engen Branche, dass da im fernen Polen ein Standort ist, mit dem eine Firma Rial oder ATS äußerst zufrieden sind und machten sich auch andere auf zu diesem „neuen Mekka der Felgenproduktion“, darunter auch RH Alurad. Das Unternehmen, dem der Attendorner Rüdiger Höffken (59) seine Initialen gegeben hat, produzierte selbst in Deutschland (am Standort Ladenburg, ehemals Remoco), suchte mit den Jahren aber immer intensiver nach einer Alternative, weil am Standort Deutschland die Kosten immer höher, der Ärger mit gewerkschaftlich organisierten Arbeitern immer größer und vielleicht auch der Investitionsbedarf in die mittlerweile arg betagte Fabrik immer dringlicher wurde.

Zu Federal Mogul passte die Felgenfertigung vom Sortiment her überhaupt nicht: Die beiden Großkunden ATS und Rial (mittlerweile zur Uniwheels-Gruppe gewachsen) sagten ade und bauten sich eigene hochmoderne Fabriken in unmittelbarer Nähe auf, weil sie ja um die Vorzüge des Standortes wussten – was also sollte und konnte mit der Felgenfertigung geschehen? Einfach abschließen und die Mitarbeiter nach Hause schicken ging nicht, weil man Beschäftigungsgarantien für eine hohe Mitarbeiterzahl vertraglich gegeben hatte.

Ein Käufer wurde gesucht, viele – auch aus der Erstausrüstung – haben sich umgesehen, aber keiner mochte zuschlagen. „Die Interessenten haben nicht gerade Schlange gestanden“, bestätigt Rüdiger Höffken, der sich bei der Frage nach dem Kaufpreis windet. Der berühmte „one Dollar“ sei es nicht gewesen, aber die Übernahme von Beschäftigungsgarantien und das Versprechen, am neuen RH-Standort in alter Produktionsstätte kräftig zu investieren, gehörten gewiss zu dem Deal. Ein gewisser Zwang oder – wenn man so will – eine drohende Gefahr mag Höffken auch bewogen haben, sich auf den Kauf einzulassen: Denn die Marken RH und Artec müssen ja irgendwo produziert werden; was wenn ein neuer Eigner der Fabrik in Gorzyce ganz andere Pläne hat und jedenfalls die Produktionsverpflichtungen gegenüber ihm nicht fortschreibt? Woher Kapazitäten für rund 350.000 Räder bekommen? Das Modell Fernost hat Höffken verworfen, es hätte auch nicht zu seinem Anspruch gepasst, „Mode fürs Auto“ zu kreieren, denn er weiß: Moden ändern sich schnell und nehmen keine Rücksichten auf lange Containerpassagen von Shanghai nach Europa.

Seit dem 1. Januar 2006 ist RH der Hausherr im Felgenwerk von Gorzyce. Die (theoretische) Kapazität der Fabrik liegt bei jährlich etwa 1,1 bis 1,2 Millionen Rädern, hergestellt im Niederdruck-Gießverfahren. Mit „um die 700.000“ kalkuliert Höffken für das Jahr 2006, wobei darauf hinzuweisen ist, dass es an einer Lackieranlage fehlt. Die unter den eigenen Marken RH und Artec sowie in geringerem Umfang auch für Fremdkunden (wie Mayerosch, Arden oder Gemballa) gefertigten Räder werden innerhalb von zwei Tagen quer durch Polen und bis nach Ladenburg transportiert, um dort lackiert zu werden. Dem Einwand, diese Lackieranlage sei doch nicht so recht für moderne Lacke geeignet und auch ansonsten „ein altes Schätzchen“, stimmt Höffken zwar zu, aber schiebt den Hinweis hinterher: „jedoch ein immer wieder aufgehübschtes“. Die größeren Kunden des Werkes – und das sind die schon genannten guten Nachbarn – haben ihre eigenen Lackieranlagen. Die Lackieranlage in Ladenburg ist bei einer Kapazität von 2.300 bis 2.400 Rädern nicht ausgelastet, hier sind noch knapp 20 Personen beschäftigt.

Die Gießerei im polnischen Werk läuft an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr, gerade wurde erst dahingehend umgestellt, dass nicht mehr ein Arbeiter für zwei, sondern zwei Arbeiter für fünf Gießmaschinen zuständig sind. Verarbeitet werden die beiden gängigen Legierungen AlSi 7 und AlSi 11, erstere wird zur Verbesserung der mechanischen Eigenschaften im eigenen Ofen wärmebehandelt (diese eigentlich überdimensionierten Kapazitäten – ca. 3.000 Räder pro Tag – nehmen übrigens die lokalen Wettbewerber/Freunde gerne in Anspruch und wurden auch unter der RH-Ägide schon für Erstausrüstungsräder genutzt). Die Bearbeitung verlangte besonders intensive Umstellungen im Werk, denn Höffken wollte eine konsequente Auslegung für kleinere Serien (250 bis 500 Stück), zuvor war die Fabrik eher auf Großserien ausgerichtet, was auch damit zusammenhängt, dass dort früher auch Erstausrüstungsräder in größerem Stil gefertigt worden sind. Alle Probleme im Sinne eines optimierten Materialflusses sind noch nicht gelöst, so staut sich zwischen dem Drehen der Räder und dem Bohren ein „Pufferlager“ auf. Die Bearbeitungsstufe arbeitet dreischichtig an fünf Tagen, zusätzliche Schichten am Wochenende (Höffken: „Das war in Ladenburg mit den Arbeitern nicht zu machen.“) werden bei Bedarf eingeschoben und sind kein Problem.

Mit Datum der Übernahme hatte RH Alurad 245 Mitarbeiter mehr in der Gruppe. Trotz der Beschäftigungsgarantien war der Abbau dieser Zahl von vornherein ein Ziel, um produktiv zu werden, das heißt mit Gewinn zu arbeiten. „Eine schwarze Null“ prognostiziert Rüdiger Höffken schon für dieses Jahr, obwohl in den ersten beiden Monaten – also im Januar und Februar – wegen erster Investitionen und notwendiger Rationalisierungsmaßnahmen an eine einigermaßen kontinuierliche Fertigung gar nicht zu denken war, bestätigt Jörg Schütz, eigentlich Finanzchef im Hause RH in Attendorn, der aber schon in Ladenburg ein Faible für die Produktion entwickelt hatte und daher jetzt in Gorzyce die Werksleitung innehat. 185 Mitarbeiter hat das Unternehmen heute, einige Stellen – in der Verwaltung – werden wohl noch abgebaut, dafür ist in der Produktion jetzt einen Level erreicht, bei dem es weniger um Abbau geht, sondern darum, einem Arbeiter an einen anderen Platz zu stellen, denn auch an einem personalkostengünstigen Standort gelten die Investitionen vor allem Robotern. Für das Gespann Höffken/Schütz ist die Fertigung jetzt „schlank“. Aktuell läuft das Voraudit für die Zertifizierung gemäß TS 16949 durch den TÜV Essen. „Prokurent“ Jörg Schütz – so sein Titel in Polen – lobt den Ausbildungsstandard seiner Mitarbeiter, manch einer studiert nebenbei Technik. Die Crux: Die Besten wird es irgendwann wegziehen, zu besser bezahlten Arbeitsplätzen in Polen oder sonstwo in Europa. Weitere Standortvorteile – die Fabrik liegt in einer steuerbegünstigten Sonderwirtschaftszone – werden durch solche Tendenzen schnell „aufgefressen“. Schütz: „Darum müssen wir auch in der Produktion immer wieder Stück für Stück effizienter werden.“

Von den 23 Gießmaschinen, die dort in Reih und Glied stehen, werden derzeit elf bis zwölf – je nach Auftragslage bzw. Produktionsplanung – genutzt, die Gießmaschinen tragen die Aufschriften Gima oder Röper, sind also von den gleichen Firmen, die auch andere Felgenhersteller mit Equipment versorgen. Nicht alle gehören uns, bestätigt Rüdiger Höffken und ist der Name des Eigners auf den Maschinen unübersehbar: Rial. Rial – genauer die Uniwheels-Gruppe, zu der Rial gehört – ist der größte Fremdkunde, die dem Wettbewerber gehörenden Gießmaschinen werden allerdings nach Ablauf von Produktionsaufträgen, die Uniwheels der Firma RH gegeben hat, in den Besitz Höffkens übergehen.

Etwa die Hälfte der Fertigung – das wären 350.000 Stück – sollen auf die Eigenmarken RH und Artec entfallen. Wolfgang Späth, Geschäftsführer bei Artec und auch in den Vertrieb der Marke RH eingebunden sowie mit der Akquisition neuer Gießkunden befasst, ist noch etwas vorsichtiger und taxiert mit „300.000 plus X“, je nachdem, wie das Wintergeschäft laufen wird. Für die beiden Jahre 2007 und 2008 wurden jüngst Lieferverträge mit Uniwheels von jeweils 250.000 Stück unterschrieben. Höffken: „Solch ein Auftrag wie der von Uniwheels sorgt dafür, dass wir die Kosten im Griff behalten.“ Toora nimmt in diesem Jahr etwa 100.000 Räder ab, wobei sich abzuzeichnen scheint, dass die Italiener ihre Investitionspläne am Standort Polen zugunsten anderer Autoteile und zu Lasten von Aluminiumfelgen verändert haben – hört man in besagter Kneipe. Das könnte bedeuten, dass Toora auch in den Folgejahren nicht auf RH Polen verzichten kann.

Mehr als vier Millionen Euro hat Rüdiger Höffken nach eigenem Bekunden bereits in das Projekt Gorzyce gesteckt, davon mehr als 2,5 Millionen in völlig neues Equipment, 800.000 Euro in die Übernahme von Material und eine Menge Geld in Reparaturen – denn wenn ein Unternehmen verkaufen will, dann wird vielleicht nicht immer mit der letzten Konsequenz noch in bestehendes Equipment investiert. Die „Schwäche“ des Werkes war in der Vergangenheit wohl (berichten auch Wettbewerber), dass es trotz einer starken Verankerung in der Erstausrüstung immer wieder zu gravierenden Qualitätsschwankungen kam. „Das ist vorbei“, sagt Jörg Schütz.

Stichwort „Verkaufen“: Der Frage geht Rüdiger Höffken nicht aus dem Wege; in zehn Jahren wird das nicht mehr seine Firma sein, wie schnell es tatsächlich geht und ob ein Branchenteilnehmer oder ein Branchenfremder das RH-Reich unternimmt, sind völlig offene Fragen, unter Zeitdruck steht er nicht, aber eine familieninterne Nachfolge schließt sich aus. Und diese Perspektive ist es wohl auch, die Rüdiger Höffken bewogen hat, noch einmal die „Ärmel aufzukrempeln“ und sein Unternehmen „richtig rund“ zu machen sprich: attraktiv für einen Investor. Mit der Produktionsstätte Ladenburg war Höffken „autark“, dieser Zustand soll wiederhergestellt werden. Die RH-Gruppe zählt derzeit etwa 260 Mitarbeiter, wird in 2006 etwa 35 bis 40 Millionen Euro (in Abhängigkeit vom Verlauf des Wintergeschäftes eher den unteren oder oberen Wert) umsetzen, hat eine voll funktionsfähige Produktionsstätte mit einer Auslastung, die sich bei 600.000 bis 700.000 Rädern jährlich trägt und nach oben ohne größere Anstrengungen ausbauen lässt. Er hat seine starke Marke RH, die im eher oberen Preissegment angesiedelt ist, vor allem ab 17 Zoll ihren Markt hat und bei Mehrteilern sowie Kompletträdern zu den Marktführern gehört. Er hat zur Abrundung und Ergänzung seiner Palette eine zweite Marke Artec und eine funktionsfähige Vertriebsmannschaft. Die RH-Gruppe soll zu einer Perle aufpoliert werden und die polnische Produktionsstätte ihren Teil dazu beitragen, dass diese Perle von allen Seiten glänzt. Gorzyce soll die Abrundung des beruflichen Lebenswerkes von Rüdiger Höffken werden.

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