Kommt jetzt auch eine „situative Sommerreifenpflicht“?

Wie aus Kreisen des Bundesverkehrsministeriums zu erfahren war, ist geplant, die ab Mai dieses Jahres gemäß der neu gefassten Straßenverkehrsordnung (StVO) vorgeschriebene „an die Witterungsverhältnisse angepasste Bereifung“ von Kraftfahrzeugen auch in den Sommermonaten zu überprüfen. Demzufolge will man die zuständigen Polizeidienststellen auf Länderebene anweisen, bei Routinekontrollen von Kraftfahrzeugen standardmäßig die jeweils am Fahrzeug montierten Reifen mit in Augenschein zu nehmen. Dabei wird den ausführenden Beamten ausdrücklich empfohlen, gegebenenfalls auf Hilfe vonseiten des Reifenfachhandels zurückzugreifen. Interessierte Händler können sich bereits jetzt vorab registrieren lassen, denn je nach Einzugsgebiet werden nur relativ wenige Händler letztendlich in Frage kommen. Die könnten unter Umständen aber davon profitieren, wenn Fahrer mit bemängelten Pneus zwecks Umbereifung dann möglicherweise bevorzugt den schon bekannten Händler ansteuern. Auf Anfrage gibt die NEUE REIFENZEITUNG – Mail an info@reifenpresse.de genügt – gerne die Kontaktdaten der in den jeweiligen Bundesländern eigens eingerichteten Koordinationszentren weiter.

Offen ist derzeit noch, in welchen Fällen Autofahrer die gemäß dem aktualisierten Bußgeldkatalog fälligen 20 Euro Strafe wegen nicht angepasster Bereifung werden zahlen müssen. Vorstellbar wäre dabei beispielsweise, dass Fahrzeuglenker, die noch auf Winterreifen unterwegs sind, zur Kasse gebeten werden. Schließlich beträgt bei Temperaturen von 20 Grad Celsius die Bremswegdifferenz beim Verzögern von 100 km/h bis hinunter auf null auf trockener Fahrbahn etwa fünf Meter oder rund eine Fahrzeuglänge. Das heißt: Der Bremsweg mit Winterreifen ist unter den genannten Bedingungen gut zwölf Prozent länger (vgl. bereits NEUE REIFENZEITUNG 3/2006) bzw. ein Auto mit Winterreifen ist noch mit einer Geschwindigkeit von über zehn Kilometern pro Stunde unterwegs, wenn das gleiche Auto mit Sommerreifen schon längst zum Stillstand gekommen ist. Ob es abgesehen von diesem offensichtlichen Gefährdungspotenzial auch zu Behinderungen im Verkehr – und somit zur Verhängung des doppelten Bußgeldes – kommen könnte, wenn in den warmen Monaten des Jahres mit Winter- statt Sommerreifen gefahren wird, halten Experten anders als unter umgekehrten Vorzeichen jedoch für recht unwahrscheinlich. Letztendlich geklärt ist dieser Sachverhalt nach den dieser Fachzeitschrift bislang vorliegenden Informationen allerdings noch nicht – eine entsprechende Anfrage beim Bundesverkehrsministerium blieb bis jetzt unbeantwortet.

Problematisch scheint außerdem, dass in der Neufassung der StVO – analog zu einer fehlenden exakten Definition eines Winterreifens – die genaue Festlegung dessen fehlt, was genau der Gesetzgeber eigentlich unter einer sommerlichen Verhältnissen angepassten Bereifung versteht. Sprich: Eine Definition für einen Sommerreifen gibt es nicht, es sei denn, man sieht das Fehlen einer M+S-Markierung auf der Seitenwand als hinreichendes Kriterium an. Vielleicht wäre es angesichts dessen sinnvoll, ein an die Schneeflockenmarkierung von Winterreifen angelehntes Sonnensymbol einzuführen, das dann nur die Reifen tragen dürfen, deren Bremswege bei 20 Grad Celsius den eines Referenzmodells um eine bestimmte Weglänge unterbieten können. Allerdings würde dies wahrscheinlich zwangsläufig mehr Fragen aufwerfen als beantworten. Müssten Ganzjahresreifen dann beispielsweise beide Kriterien (also für Schneeflocken- und Sonnensymbol gleichzeitig) erfüllen? Und was wäre mit denjenigen Reifen im Markt, bei denen es weder für das Eine noch das Andere reicht? Käme das nicht dem Aus so manchen Produktes – zumindest im deutschen Markt – gleich? Und was würden die EU-Wettbewerbshüter zum Aufbau solcher Markthürden sagen? Insofern bleibt erst einmal abzuwarten, welche Erfahrungen ab Mai mit der „situativen Sommerreifenpflicht“ in der Praxis gesammelt werden können und wie sich das Ganze dann in der kommenden Wintersaison 2006/2007 im Hinblick auf die in den vergangenen Monaten viel diskutierte „situative Winterreifenpflicht“ weiterentwickelt. Wir bleiben am Ball.

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