Pierre Dupasquier hat sich vom F1-Zirkus verabschiedet

Um ihn ranken sich jetzt bereits Legenden und die schönsten Geschichten werden in Zusammenhang mit ihm gebracht. Wahr ist bestimmt diese: Der 1,68 Meter große und inzwischen 68 Jahre alt gewordene Chef der Michelin-Motorsportabteilung ist einer der ganz wenigen, die sich im Motorsport mit Bernie Ecclestone in jeder Hinsicht auf gleicher Augenhöhe messen. Zum Ende der Saison 2005 hat Pierre Dupasquier sich nun in den Ruhestand verabschiedet.

Alles kann und konnte er nicht. Als Pilot der französischen Luftwaffe war ihm die Fliegerei schnell in Fleisch und Blut übergegangen, doch dann haperte es mal bei der Landung. Seit seinem Antritt bei Michelin vor 32 Jahren gab es keine Crashs mehr, mit Leistungen der besonderen Art brachte Dupasquier es bis an die Spitze der Motorsportabteilung. Und es hagelte Auszeichnungen und Siege, herausgefahren auf allen möglichen Rennstrecken der Welt. 180 Weltmeister-Titel wurden zu Dupasquiers Zeiten auf Michelin-Reifen errungen.

Am wichtigsten und am schönsten für ihn aber dürfte der WM-Titel der Saison 2005 gewesen sein, den Alonso in einem Michelin-bereiften Renault einfuhr.

Die Saison hatte Höhen und Tiefen gehabt. Indianapolis. Allein das Wort klingt in den Ohren von Michelin-Mitarbeitern wie ein Peitschenknall. Die auf Michelin vertrauenden Rennfahrer mussten den Eingang zur Boxengasse nehmen, während sich Schumacher & Co. am Startplatz aufstellten. Das war zu viel für den kleinen Franzosen, der daraufhin in Tränen ausbrach. Man hatte hinter den Kulissen fanatisch um den Einsatz einer so genannten Schikane gerungen und darauf vertraut, dass diese, allen anders lautenden Beteuerungen, eingesetzt werde. Doch Max Mosley bildete sich eine Verschwörung der Michelin-Teams gegen ihn ein und blieb hart. Was war falsch gelaufen? Dupasquier hatte bei den voraufgegangenen Verhandlungen mit Max Mosley auf das falsche Pferd gesetzt. „Du musst die richtigen Leute ansprechen“, belehrte ihn Ecclestone kurze Zeit später. Trotz allen Ärgers weigert sich Dupasquier aber, den Indy-Reinfall als großes Drama zu bewerten, das Schatten auf den Michelin-Konzern werfe.

2005 seien Michelin-Reifen weitaus besser gewesen als 2004. Das zum vorzeitigen Reifenausfall führende Indy-Problem habe man mehrfach nachvollzogen und Michelin biete nun Reifen an, die auf diesem Kurs nicht nur ein Rennen, sondern gleich derer drei bestehen würden. So weit so gut. Dieses Problem wird es nach Dupasquiers Überzeugung nicht mehr geben, andere aber seien nun einfach mal nicht von Anfang an auszuschließen. Es gehe nicht nur um Sekunden, sondern Zehntelsekunden und darum, stets sehr nah ans Limit zu kommen ohne es zu überschreiten. Fehler ja, aber wenn schon, dann wenigstens neue, bis dahin völlig unbekannte.

Dupasquier ist ein Phänomen, mit 67 machte er noch die volle F1-Saison um die Welt mit, flog kreuz und quer zwischen Clermont-Ferrand und den Rennstrecken dieser Welt hin und her, wieselte durch Fahrerlager und Boxengassen und kam dennoch erst richtig auf Touren, als weitaus jüngere Zeitgenossen am liebsten mal die Füße hochgelegt hätten. Zwischendurch spulte der von den Sportjournalisten von Funk und Fernsehen oft als „Michelin-Chef“ apostrophierte Dupasquier seine Interviews ab. Ihn musste niemand beraten und Dupasquier musste nicht lange überlegen, die vielen ungeschriebenen Regeln kannte er so gut, dass er sich in der Wortwahl selten vertat. Und an Deutlichkeit mangelte es auch nicht. Als ihn vor einiger Zeit ein Team-Chef, dessen Team bereits mal Weltmeister war und es bald wieder werden will, wegen angeblich schwacher Reifen angriff, kam Dupasquier unverblümt zur Sache: „Your car is a piece of shit.“ Sagte es so, verschwand dann und niemand nahm es ihm übel.

Die rhetorischen Fähigkeiten Dupasquiers sind unbeschreiblich. Kein Fahrer und sonstiger Experte im F1-Geschehen kann ihm etwas vormachen, wenn es um sein Thema geht, um Reifen und alles was damit in irgendeinem Zusammenhang steht. Er kann genauso gut Autos und Rennwagen beurteilen und fahrerische Möglichkeiten wie Unzulänglichkeiten entdecken. Seine Sprache zieht Diplom-Ingenieure, Physiker und Chemiker in ihren Bann und im nächsten Atemzug kann Dupasquier sich 16-jährigen Schülerinnen und Schülern verständlich machen. Ließe man ihn in einem Altersheim referieren, die Greise wüssten nach 30 Minuten mit Begriffen wie „Curbs“, „Downforce“ oder „Grip“ etwas anzufangen. Dupasquier weiß nicht nur was er will, sondern er überzeugt Menschen zu wollen, was er will. Als Techniker, als Leiter der Motorsportabteilung, mag er ersetzbar sein. Als begnadeter Kommunikator eigentlich nicht. Dupasquier ist die lebendige Verkörperung von Mr. Bibendum.

War Michelin so gut oder war Bridgestone so schlecht in der abgelaufenen Saison? Unnötig zu betonen, dass sich für ihn alles hinter Michelin einzureihen hat. Doch der Respekt für den Wettbewerber Bridgestone ist immer noch da. „Wir haben von Woche zu Woche damit gerechnet, dass sie zurückkommen würden, aber sie kamen nicht. Michelin hatte sich – endlich – einen Vorsprung erarbeitet und ihn im Laufe der Saison kontinuierlich vergrößert. Und dieser Glanz fiel letztlich weitaus stärker ins Gewicht als das Indy-Desaster.

Doch Dupasquier wiegelt jetzt bereits wieder ab. Woche für Woche müsse man sich neu an Grenzen herantasten. Bridgestone habe das Pech gehabt, zeitgleich mit dem ganzen Ferrari-Team einen Hänger, wenn nicht gar eine Krise gehabt zu haben. So habe Ferrari-Teamchef Jean Todt von dem Reifenhersteller verlangt, sich ganz auf dessen Bedürfnisse einzustellen. Das hat einige Jahre zum Erfolg geführt, dann aber haben sich die Nachteile gezeigt. Während Michelin nach Indy auf die Testergebnisse vieler Spitzenteams zählen und Fehler finden und ausmerzen konnte, konnte das einzige Spitzenteam Ferrari dies für Bridgestone nicht leisten. „Bridgestone wird die Schwächen jetzt aber mit den neu hinzugekommenen Teams sehr schnell finden und auch sehr schnell ausmerzen.“ Insbesondere die Kombination Bridgestone/Toyota wie auch Bridgestone/Williams gebe die Garantie für schnelle Problemlösungen. Dabei leuchtet ein, dass das stark aufstrebende und reiche Toyota-Team äußerst wertvoll sein wird. Aber auch Williams? In den letzten beiden Jahren schon die Loser und nun noch ohne BMW-Motoren und ohne vernünftigen Etat? Kein Thema für Dupasquier: „Armut verhindert Erfahrung nicht.“

Wie wird sich die Formel 1 entwickeln? Inzwischen ist klar, dass Michelin 2006 die letzte Saison veranstaltet und mit Alonso oder Räikkönen noch einmal Weltmeister werden will. Das scheint machbar, sollte man meinen. Dass es dennoch nicht sicher ist, macht Dupasquier allerdings auch gleich klar. „Wer hatte 2004 damit gerechnet, dass neben den dominierenden Ferraris das BAR-Team wie Phönix aus der Asche auferstehen würde? Wer hatte 2005 die Ferraris so schlecht und die BARs so schwach erwartet?“ Toyotas permanente Verbesserung war da schon keine Überraschung mehr. Und dass Bridgestone Fehler ausmerzen und wieder näher herankommen wird, ist für Dupasquier eine ausgemachte Sache. Es gibt Favoriten gewiss, aber man müsse einfach im Blick halten, dass mit Ferrari-Todt ein Mann dabei sei, der erst mal gestoppt werden müsse.

Dann gibt es neben den Teams, den Motoren und den Reifen ja auch noch Fahrer, auf die es ankomme. Der undisziplinierte Montoya richtet sich nicht nach Teamorders, behauptet stattdessen, der Funk arbeite nicht richtig. Verständnisprobleme! Ralf Schumacher? Ja, guter Fahrer, aber. Und dann die Gretchenfrage: Ist Michael Schumacher wirklich der beste Fahrer? Dupasquier will weder ja noch nein sagen, aber mit absoluter Sicherheit sei Michael Schumacher unter allen Fahrern der beste Team-Player, der spanische und der finnische Konkurrent kämen relativ schnell in eine vergleichbare Position.

Nun aber wird es Zeit zu gehen, auch wenn der Abschied schwer fällt. Doch Dupasquier geht, sofern man es ihm abnehmen kann, ohne größere Wehmut. „F1 ist nicht mehr meine Sache, meine Zeit ist vorbei.“ Und ob die Konzernentscheidung, das Feld künftig Bridgestone und eventuell anderen zu überlassen, richtig oder falsch ist aus seiner Sicht, wird nicht klar. Aber es ist halt nicht mehr seine Zeit. „Das war mal Racing, nun wird es eine Reifenlieferung. Da werden bald im Winter die F1-Reifen für die kommende Saison hergestellt.“ Es gibt keinen Antrieb mehr, keinen Zwang, sich permanent verbessern zu müssen, keinen Wettbewerb und somit auch keinen Sieger mehr, soweit es um Reifen geht. Nichts für einen Tausendsassa wie Dupasquier.

Doch als einfacher Rentner mag man ihn sich nun gar nicht vorstellen. Er hat schon mit dem Gedanken gespielt, sich einen Hubschrauber in Leichtbauweise zu kaufen. Das sei ab rund 50.000 Euro an aufwärts bereits machbar. Doch dann ist diese Idee bereits verworfen. „Ich will mich mit dem Gedanken gar nicht erst anfreunden, ein weiteres Mal zu crashen. Zu gefährlich. Ich lasse mir andere Dinge einfallen.“

Andere Dinge? Er hat eine besondere Verbindung zu Kenia, zu Afrika. Wenn das nicht reicht, gibt es ein weiteres, offenbar bereits fest gebuchtes Abenteuer: Umseglung von Kap Hoorn. An der Südspitze Feuerlands haben schon so viele Abenteurer ihr Leben verloren. Ist das nicht alles ziemlich gefährlich? Dupasquier: „Na ja, ein wenig gefährlich, but so what.“
Wer gerade noch die F1-Saison voll mitgemacht, durch Boxengassen und Fahrerlager gehetzt ist ohne kleinste Anzeichen von Müdigkeit oder Erschöpfung, kann nicht runterschalten auf Null. Dupasquier ist es gewohnt, Grenzen zu ertasten. Er nimmt neue Herausforderungen an. Alles keine Frage des Alters. Schade nur, dass die Motorsportszene nunmehr auf einen ihrer profiliertesten Köpfe zu verzichten hat.

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