Folgen der Globalisierung verkannt

Für den holländischen Reifengroßhändler Heuver Banden ist die derzeitige Knappheit auf dem weltweiten EM-Reifenmarkt gut und schlecht zugleich. Einerseits nimmt natürlich die Nachfrage zu, was zu steigenden Umsätzen und – dank angepasster Preise – auch zu zusätzlichen Gewinnen führt. Andererseits, so Jan Heuver im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG, müsse man zahllose potenzielle Kunden auf später vertrösten, da derzeit einfach nicht die richtigen Profile oder Größen zu haben sind und auch alternative EM-Reifen nicht die richtige Wahl zu sein scheinen. Aber auch die Neureifenhersteller scheinen sich für das lukrative Geschäft mit EM-Reifen mehr und mehr zu interessieren; der Großhandel spürt an dieser Front wachsenden Konkurrenzdruck.

Jan Heuver von Heuver Banden Groothandel aus Den Ham in Holland kann nicht mit Bestimmtheit sagen, das Wievielfache an EM-Reifen er im vergangenen hätte verkaufen können, wenn nur die Versorgung reibungslos geklappt hätte. Er glaubt, dass ein vier- bis fünffacher Absatz möglich gewesen wäre, vielleicht sogar noch mehr. „Wir sagen so oft nein“, sagt auch Alfred van Dijk, der für den Großhändler im EM-Reifengeschäft die Fäden in der Hand hält, über den entgangenen Umsatz dürfe man eigentlich gar nicht nachdenken. Dennoch versucht man bei Heuver Banden das Jahr 2005 positiv zu sehen, was es mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auch gewesen ist. Genaue Zahlen zu Umsatz und Gewinn wolle man aber nicht veröffentlicht sehen, so das Unternehmen, das in diesem Jahr sein 40-jähriges Bestehen feiern kann. Der Gewinn jedenfalls sei gleich geblieben…

Bei Heuver Banden in Den Ham sieht man sich als der weltweite EM-Reifenspezialist. Darum sei es umso unangenehmer, „dass wir fast keine Reifen mehr bestellen können“. Im vergangenen Jahr hat der Großhändler etwa 15.000 EM-Reifen weltweit vermarktet. Darin enthalten gewesen seien rund 3.500 bis 4.000 gebrauchte EM-Reifen, 2.500 bis 3.000 Runderneuerte sowie 8.000 bis 9.000 Neureifen. 50 bis 60 Prozent der von Heuver Banden vertriebenen EM-Reifen waren in 2005 also neue Reifen; der europäische Marktanteil neuer EM-Reifen liege hingegen bei gut zwei Drittel.

Darin spiegelt sich auch ein mittlerweile typisches Kundenverhalten wieder, nun da EM-Reifen Mangelware sind. Bevor ein Kunde seinen Muldenkipper oder Bagger unproduktiv stehen lässt, wenn keine akzeptablen Neureifen verfügbar sind, wird er pragmatisch: „Besser ein schlechter Reifen als gar kein Reifen“, so Alfred van Dijk. Im vergangenen Jahr habe man übermäßig viele B- und C-Qualitäten verkauft, weil eben A-Qualitäten nicht verfügbar gewesen seien. Aber auch die Nachfrage nach gebrauchten EM-Reifen sowie nach Runderneuerten nehme in solch einer Situation stark zu. Der holländische Großhändler habe im vergangenen Jahr rund 30 Prozent mehr runderneuerte EM-Reifen verkaufen können. Heuver hat mit der Marke „Maxfield“ eine eigene EM-Reifen-Runderneuerungsmarke, die bei Runderneuerern in Deutschland und Italien gefertigt wird.

Jeder Runderneuerer weiß allerdings heute um die knappe Verfügbarkeit von EM-Reifen-Karkassen. Etwa 90 Prozent der verfügbaren radialen EM-Reifen werden heute runderneuert, schätzt Alfred van Dijk. Von den verfügbaren Diagonalreifen werden nur etwa zehn Prozent runderneuert; der verbleibende Rest sind Altreifen. Chinesische Neureifenhersteller beginnen erst jetzt langsam, ihre EM-Reifen in radialer Bauweise anzubieten.

Konsequenterweise versuche man bei Heuver Banden, mit neuen Zulieferern anzubändeln. So habe man etwa seit der Tyrexpo in Singapur im vergangenen September, wo das Unternehmen auch ausstellte, vielversprechende Kontakte zu einem Hersteller aus Kasachstan. Für das laufende Jahr werde Heuver Banden erstmalig eine Eigenmarke für EM- und Lkw-Reifen auflegen. Der Hersteller wird ein chinesisches Unternehmen sein, mehr wollte Jan Heuver zum gegenwärtigen Zeitpunkt allerdings nicht zum Thema sagen. Auch verspreche man sich von der chinesischen Exklusivmarke „Aeolus“ einiges (vertreibt Heuver Banden u.a. auch in Deutschland). Insgesamt, so Jan Heuver und Alfred van Dijk, werde wohl das weltweite Angebot an neuen EM-Reifen im aktuellen Jahr nicht merklich zunehmen und schon gar nicht ausreichen, um die zu erwartende weiterhin hohe weltweite Nachfrage zu decken. Folglich müsse Heuver Banden versuchen, die eigene Verfügbarkeit von EM-Reifen zu erhöhen.

Die Ursachen für die weltweite Knappheit an EM-Reifen sind für die Experten bei Heuver Banden vielschichtig. Einerseits natürlich die weltweit wachsende Nachfrage nach Rohstoffen, insbesondere aus China, Asien allgemein und Südamerika, die wiederum eine wachsende Nachfrage nach Fahrzeugen für die Gewinnungsindustrie zur Folge hat, und diese benötigen eben mehr EM-Reifen. Darüber hinaus habe das Feuer in der japanischen Bridgestone-Fabrik im Sommer 2004 zu Störungen bei der weltweiten Versorgung mit neuen EM-Reifen geführt. Auch der Vorwurf, Neureifenhersteller allerorten hätten die wachsende Nachfrage einfach unterschätzt und falsch prognostiziert, wird laut, obwohl sich Jan Heuver dies von den global operierenden Konzernen eigentlich nicht vorstellen könne. Dennoch könne er verstehen, dass auch Reifenhersteller die Dynamik unterschätzt haben, die von expandierenden Märkten wie insbesondere China ausgeht und sich auf zahllosen Märkten auswirkt. Man spreche seit Jahren von „Globalisierung“, so der Unternehmer weiter, nur habe scheinbar noch nicht jeder in der Reifenindustrie die potenziellen Risiken daraus erkannt und die notwendigen Vorkehrungen dagegen getroffen.

Dass sich unter dem Eindruck der gegenwärtigen Situation neue Unternehmen erstmals mit der Herstellung von EM-Reifen beschäftigen, kann Alfred van Dijk nicht bestätigen. Bestehende Hersteller hätten zwar ihre Kapazitäten besser ausgenutzt oder sogar ausgebaut, wo möglich. Und asiatische Hersteller beginnen, EM-Reifen in radialer Bauweise zu fertigen, nachdem bisher lediglich Diagonalreifen produziert wurden. Auch nehmen die Nachrichten über große Investitionen in EM-Reifenfabriken derzeit zu; bis sich diese angebotsseitig auswirkten, vergingen aber noch wenigstens ein bis zwei Jahre. Bei Heuver Banden ist man sogar überzeugt davon, dass der derzeitige Nachfrageüberhang noch vier bis fünf Jahre andauern könnte, wobei solche Zahlen natürlich nur schwer belegbar sind.

Heuver Banden betreibt neben dem Reifengroßhandel für EM-, AS- und andere Nutzfahrzeugreifen noch elf Einzelhandelsniederlassungen in Holland. Unter dem Namen „Profile Tyrecenter Heuver“ ist man Teil einer starken Kooperation, zu der 135 unternehmergeführte Niederlassungen in Holland sowie 30 weitere in Belgien gehören. Auch diese Kooperation war damals entstanden, um sich gemeinsam gegen die zunehmende Einflussnahme der Reifenindustrie auf das Retail-Geschäft zu wehren.

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