Die Rolle des Reifengroßhandels in der Distribution

Bei der Darstellung des Sell-Out von Pkw-Reifen kommt der Großhandel nicht vor. Das ist auch richtig so, weil ein Großhändler schließlich dem Endverbraucher keine Reifen anbietet, sondern Einzel- und anderen Großhändlern. Dennoch spielt der Reifengroßhandel als absatzmittler natürlich seine Rolle.

Noch vor wenigen Jahren war fast jeder Reifeneinzel- auch Reifengroßhändler. Gemeint ist das in der Branche so genannte „Streckengeschäft“, das im Allgemeinen so aussah, dass ein lokaler Reifenfachhändler – bevorzugt der „Platzhirsch“ – kleinere Vermarkter wie Kfz-Werkstätten und Autohäuser vor Ort belieferte. Damit waren auch die Händler weitgehend zufrieden, blieben doch für alle Beteiligten noch erkleckliche Margen auch schon vor dem Hintergrund, dass der Reifenfachhändler bei der Reifenindustrie größere Volumina ordern konnte als er sie in seinem Hofgeschäft absetzen konnte und so eine bessere Kondition erhielt. So richtig gefallen hat das den Reifenherstellern nicht immer, denn das führte zu einem Mangel an Transparenz und so manches Mal landeten die Reifen auch nicht in einer lokalen Autowerkstatt, sondern jenseits der Grenzen und störten den vom Hersteller gewünschten Marktpreis, sobald sie zurückrollten. Aber zumeist haben sie mitgemacht und versucht dadurch Einfluss zu nehmen, dass sie den Händlern extra „Marken“ zur Verfügung stellten, die für das „Streckengeschäft“ gedacht waren. Denn viele Händler klagten, dass sie ohne diesen zusätzlichen Absatz und nur durch das Hofgeschäft in ihrer Existenz bedroht seien.

Und wenn heute ein Handels- oder Industrieunternehmen einen Händler übernimmt – auch bei größeren Betrieben und selbst solchen, an deren Spitze Ehrenamtsträger standen – bzw. den Einblick in deren Bücher erhält, treten oft erstaunliche Geschäftsbeziehungen zu Tage. Da der Neubesitzer von diesen Umsatzbringern nichts geahnt hat bei der Übernahme, hätte er seine Kaufentscheidung mit Wissen um diese Hintergründe vielleicht anders getroffen.

Bei den kleineren Betrieben ist es inzwischen weitgehend müßig geworden, deren Aktivitäten außerhalb des Hofgeschäftes zu untersuchen: Dem „Streckengeschäft“ wurde von zwei Fronten das Wasser abgegraben. Da sind zum einen die Automobilhersteller selbst, die ihre Niederlassungen mit mehr oder weniger Druck nötigen (können), Reifen über die Teileversorgung des Autoherstellers zu beziehen. Dass dazu oftmals auch Reifenmarken gehören, die speziell für das Billigsegment gedacht sind, führt dazu, dass auch ein selbstständiger Autohändler keinen finanziellen Anreiz mehr darin sieht, dies Zubehörteil vom lokalen Reifenhändler zu erwerben. Zum anderen haben die regionalen Reifengroßhändler eine Qualität entwickelt, mit der der typische Reifeneinzelhändler nicht mithalten kann.

Regionale Großhändler beziehen im Übrigen nicht selten ihre Ware auch von überregionalen und sogar internationalen Großhändlern und haben Verteilfunktion. Dieses Konzept steht dem von Intersprint, Deldo und Co. gegenüber, die überwiegend mit der „Gießkanne“ den Markt bearbeiten. Beide Modelle haben aus Sicht des Grossisten Vor- und Nachteile: Wer mit der „Gießkanne“ arbeitet, erreicht mehr Kunden und ist in seiner Preis- und sonstigen Geschäftspolitik recht frei, hat aber höhere Kosten in Form eines beträchtlichen Logistikaufwandes. Der ist bei Grossisten mit regionalen Stützpunkten zwar ungleich kleiner, aber einerseits fehlt die Kontrolle, andererseits ist einer mehr in der Kette, der von dem Produkt leben will.

Auch die Reifenindustrie zeigt sich unentschlossen in ihrem Umgang mit den Großhändlern: Die einen wollen nur mit regionalen Großhändlern kooperieren, andere haben keine Scheu, sich mit beispielsweise Intersprint und Deldo an einen gemeinsamen Tisch zu setzen und zu prüfen, welche Geschäfte in ihrer beider Sinne sind. Kleinere oder neu zu uns kommende Reifenmarken aus fernen Ländern gehen heute den gleichen Weg, den früher andere gegangen sind: Sie verbandeln sich mit potenten Großhändlern und überlassen denen die Vermarktung einer bestimmten Marke regional oder sogar bundesweit, bis die eigene Organisation derart gewachsen ist, dass sie den Vertrieb wieder in eigene Regie überträgt.

Die meisten Schätzungen besagen, dass der unabhängige Reifenfacheinzelhandel mehr als zehn Prozent seiner Ware nicht direkt bei der Reifenindustrie bezieht, sondern über den Großhandel. Der Reifengroßhandel hat aber darüber hinaus mit beispielsweise Kfz-Werkstätten einen weiteren Abnehmer von Pkw-Reifen und der Internethandel ist sogar vom Großhandel geprägt: Einerseits, weil die Anbieter im B2C-Geschäft ihre Reifen nicht bei der Industrie kaufen, sondern bei Großhändlern. Und andererseits, weil sie das B2B-Geschäft aufgebaut haben, das sich vom klassischen Geschäft „Groß- liefert an Einzelhandel“ praktisch nicht unterscheidet. Da sich für die Industrie das Geschäft mit Tankstellen und Baumärkten nicht lohnt, verbleibt als letzter Absatzkanal, der weitgehend frei ist vom Reifengroßhandel, der Fachmarkt, der ganz überwiegend direkt bei der Industrie einkauft und solche Volumina bezieht, dass er gute Preise im Einkauf erzielen und auf die Großhändler verzichten kann. Insgesamt summiert sich der Einfluss des Großhandels auf den „Sell-In“ auf an die zwanzig Prozent.

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