Wer soll den Einheitsreifen denn bauen?

Nichts bestimmt den Ausgang eines Formel-1-Rennens stärker als die Reifen. Kommen diese schnell genug auf Temperatur und erhalten wie halten genug Grip bis zur Zielflagge, so stehen die Aussichten gut, von der Pole Position bis zur Zielflagge die Nase, das heißt den Frontflügel, vorne zu halten.

Die Abläufe allerdings sind seit Jahr und Tag dieselben: Siegen McLaren, Williams oder Renault, so hat das Team eine fantastische Arbeit hingelegt, Dank an jeden einzelnen Monteur. Und, na ja, die Reifen haben auch gehalten. Sind Niederlagen nicht allein zu verkraften, sondern auch zu erklären, dann lohnt es sich stets, auf die unterlegenen Reifen von Bridgestone oder Michelin und deren mangelhaften Grip bzw. vorzeitigen völligen Verschleiß hinzuweisen. Oder hat man bereits einmal McLaren über den wirklich in höchstem Maße anfälligen Mercedes-Motor räsonieren hören, der im Rennen inzwischen auch bereits mit der Konstanz ausfällt, mit der die E-Klasse am Straßenrand hängen bleibt? Da wird sich doch irgendein Käbelchen oder sonstiges Teil im Wert eines einzigen Euro definieren lassen, das dem Team die Siegesfeier in der letzten Runde zu vergällen wusste.

Inzwischen aber kann man die Dinge drehen und wenden, wie man will. Die Tatsache, dass Reifen, verdient oder unverdient, so lange von den Moderatoren und Fachleuten wie selbst ernannten Fachleuten in den Vordergrund gerückt worden sind, hat bei Millionen von Fernsehzuschauern den Eindruck gefestigt, es käme allein auf die vier Gummiwalzen der Boliden an, diese entschieden ausschließlich über Sieg und Niederlage.

Wer allein die Entwicklung immer besserer Reifen aus technischem Interesse aufmerksam verfolgt, sich darüber wundert, wie das berühmte „Am-Limit-Fahren“ in jeder neuen Saison noch einmal erweitert werden konnte, muss es natürlich als das Ärgernis schlechthin empfinden, wenn Siege auf die Reifen geschoben werden. Warum beteiligen sich Automobilhersteller an diesem „Zirkus“ mit dreistelligen Millionenbeträgen Jahr für Jahr? Um Werbung zu machen für Michelin und Bridgestone? Schwer zu glauben. Aber einstweilen gilt in der Formel 1, was mancherorts bereits zu verinnerlichen war: Man wird die Geister, die man rief, nicht los.

Oder doch? Am besten mit einem neuen Regelwerk. Und dieses Mal ist die FIA ja ziemlich konsequent. Ein „Zirkus“, der mehr als nur Hunderte von Millionen Euro pro Jahr „verbrennt“, entdeckt das Sparen. So trägt, glaubt man der FIA, die ewige Reifentesterei einen Großteil der Schuld dafür, dass den Teams die Budgets so um die Ohren fliegen wie die Mercedes-Motoren dem McLaren-Team. Der Einheitsreifen muss also her, gleiche Chancen für alle. Für Sieg und Niederlage. Wann kommt der Einheitsmotor?

Was die Zukunft der Reifenhersteller in der Formel 1 angeht, lassen sich Prognosen nur sehr vage erstellen. Es scheint sicher zu sein, dass Michelin diesen Einheitsreifen nicht bauen, sondern lieber aussteigen wird. Umso wichtiger wäre es für die Franzosen, nun endlich den Weltmeister in ihren Reihen finden zu können. Und wenn dann noch die ersten drei Fahrer dieser Saison, was nicht ganz unwahrscheinlich ist derzeit, ihre Positionen Michelin-bereift errungen haben sollten, wäre ein Ausstiegsszenario nahezu perfekt. Es galt eben zu beweisen, wie vorteilhaft man sich auf Michelin-Reifen von Start bis Ziel behaupten kann. Ziel erreicht, mehr geht nicht.

Und Bridgestone? Werden die Japaner in der Formel 1 bleiben und den heute verlangten „Einheitsreifen“ produzieren? Eine Antwort darauf ist bis jetzt nicht zu bekommen. Man wird sich weiter gedulden müssen.

Als Seriensieger haben die Japaner der Formel 1 in den letzten Jahren ihren Stempel aufgedrückt. Nur derzeit stehen sie etwas im Abseits und arbeiten fieberhaft daran, die Lage spürbar und möglichst sprunghaft zu verbessern. Ein lang erwartetes Resultat war in Budapest zu sehen: Pole Position für den siebenfachen Weltmeister Schumacher, der auch noch mehr als die Hälfte des Rennens dominierte, das Rennen in der Box verlor und erst ziemlich zum Schluss auch etwas an Grip einbüßte. Doch seither sieht man in Italien wieder rot und das „Rot sehen“ hat nun mal in Italien eine völlig andere Bedeutung als bei allen anderen Formel-1-Teams.

Bridgestone ist inzwischen, was Öffentlichkeitsarbeit anbelangt, hellwach geworden. Nie hätten die japanischen Techniker um Hirohide Hamashima sich mit Bemerkungen so weit aus dem Fenster gelehnt wie es Michelins Pierre Dupasquier gelegentlich tat mit Bemerkungen, dass Ferrari nicht wegen, sondern trotz Bridgestone-Reifen siege, was damit dann allerdings auch Rückschlüsse auf fehlende Wettbewerbsfähigkeit dieser Teams ermöglicht hätte. Die beiden Roten, Ferrari und Bridgestone, sind da durchaus schonender miteinander umgegangen.

Inzwischen hat sich die Welt ein Stückchen weiter gedreht. Nicht weniger als fünf Teams sprechen und verhandeln derzeit mit Bridgestone, was Michelin bereits zu der Aussage veranlasste, man würde „begrüßen“, wenn sich die derzeitige Überbeanspruchung der Franzosen in der kommenden Saison etwas abbauen ließe. Tatsächlich scheint aber gerade das der große Vorteil der Franzosen zu sein, denn den Japanern fehlen die in vielen Trainingsrunden gesammelten Erkenntnisse der Franzosen. Während die Konkurrenz sich darüber auslässt, dass Ferrari sich nicht der Vereinbarung über Testbeschränkungen angeschlossen hat, muss man aus Bridgestone-Sicht konzedieren, dass Ferrari selbst dann nicht so viele Daten an den Reifenhersteller liefern könnte, wenn das Team Tag und Nacht Trainingsrunden drehen würde.

Was immer als Endergebnis für die neue Saison verhandelt werden kann, so viel scheint sicher: Bridgestone ist in allerhöchstem Maße an einem Zusammengehen mit Toyota interessiert, ohne die Verbindung mit Ferrari leiden lassen zu wollen. Der Rest bleibt abzuwarten. Einiges spricht dafür, dass auch BAR-Honda neuer Bridgestone-Partner in der kommenden Saison werden könnte. Einen besseren Vertrauensbeweis in die Wettbewerbsfähigkeit von Bridgestone könnte es gar nicht geben.

Doch neben Sieg oder Niederlage geht es natürlich ganz besonders darum, aus der Teilnahme am Formel-1-Geschehen auch etwas zu machen, den Nachweis dafür zu erbringen, dass es sich lohnt, für die Marke, für die Beziehungen zum Kunden und für das Geschäft schlechthin.

Niemand im Bridgestone-Konzern dürfte so rigoros und konsequent die Formel 1 als Vehikel zum Kunden genutzt haben wie der langjährige Bridgestone-Geschäftsführer Günter F. Unterhauser. Dieser wird nicht müde, seit Jahren schon die Wochenenden sechs bis acht Mal jährlich mit einem ausgesuchten Kundenkreis an den Rennstrecken, vorzugsweise in Europa, aber auch an anderen Rennstrecken, zu verbringen, um so die Beziehungen zum Kunden, egal ob Reifenhändler oder Flottenbesitzer, zu verstärken. Und Unterhauser achtet auch darauf, was prominente und weniger prominente Moderatoren zum Besten geben, um dann auf seinen obligatorischen Gängen durch das Fahrerlager gleich mal ein klärendes Gespräch zu führen. Da Unterhauser seit Jahresbeginn Verantwortung für den ganzen europäischen Markt der Bridgestone übernommen hat, wird man ziemlich sicher davon ausgehen können, dass auch andere Managing Directors des Konzerns die Formel 1 nicht allein als Kostenfaktor betrachten, sondern auch etwas für sich und das Unternehmen zurückholen.

Die Beteiligung der Bridgestone am Formel-1-Geschehen ist kein Selbstzweck gewesen. Die Japaner wollten den Nachweis erbringen, in der Königsklasse des Motorsports ihren Mann stehen zu können – und das haben sie in überragender Form geschafft. Sportlich haben sie mehr erreicht als sie sich wohl in den kühnsten Träumen zu erhoffen wagten, wenn man von der gegenwärtigen Saison einmal absieht. Dass sie in kommerzieller Hinsicht viel erreicht haben, dürfte auch nicht in Frage stehen. Bridgestone ist in Europa zu einer Reifenmarke geworden, die Verbraucher nicht nur sehr gut kennen, sondern der sie auch großes Vertrauen entgegenbringen können. Das gilt übrigens nicht nur für Pkw-Reifen, sondern auch für Lastwagenreifen.

Wie immer die Saison nun auch verläuft, es geht dennoch nichts daran vorbei, dass Bridgestone das nun schon zehn Jahre lang anhaltende Engagement im Motorsport hervorragend für sich und die Ziele des Unternehmens zu nutzen wusste.

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