Continental vor Rückzug aus Russland?

Continental hat „große Schwierigkeiten in Russland“. Das schreibt die Frankfurter Allgemeine nach einem Interview mit Vorstandsmitglied Dr. Hans-Joachim Nikolin, der für das vor zwei Jahren angekündigte Jointventure mit dem lokalen Reifenhersteller Moscow Tyre Plant verantwortlich zeichnet. Der Aufbau des Gemeinschaftsunternehmens dauere deutlich länger und sei zudem viel teurer geworden als zunächst erwartet.

Laut Hans-Joachim Nikolin denke man in Hannover mittlerweile sogar „ernsthaft“ über den „schlimmsten Fall“ nach, und zwar darüber, sich komplett aus diesem Projekt – nicht aber aus dem russischen Zukunftsmarkt – zurückzuziehen. In einem solchen Fall wären „Abschreibungen in niedriger zweistelliger Millionenhöhe“ erforderlich, so Nikolin gegenüber der Zeitung; diese Abschreibungen könnten aber durch andere positive Entwicklungen im Unternehmen kompensiert werden: „Wir halten also an unserer Ergebnisprognose fest.“

Im September 2002 hatten Continental und die Moscow Tyre Plant (MTP) einen Vertrag zur Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens unterschrieben, das bis 2006 eine Fertigung mit einer Jahreskapazität von 3,4 Millionen Reifen aufbauen sollte. Dadurch sei „ein großer Schritt zur Erschließung des Zukunftsmarktes Russland gelungen“, so Nikolin damals. Die Freude sei ihm allerdings inzwischen gründlich vergangen. Obwohl Conti mit einem Anteil von 76 Prozent der deutlich dominierende Partner in dem Jointventure ist, und obwohl MTP mit der Stadt Moskau einen staatlichen Haupteigentümer hat, der – so die damalige Hoffnung – die erforderlichen Behördengänge erleichtern sollte, sei fast alles schief gelaufen, heißt es weiter. „Wir haben Probleme mit unserem Zeitplan, weil wichtige Genehmigungen für den Werksaufbau nicht oder nur sehr zögerlich erteilt wurden“, so Nikolin. Ursprünglich sei ein Produktionsbeginn im Herbst 2003 vorgesehen gewesen; auch der dann festgelegte Ausweichtermin für den Beginn der Reifenherstellung in diesem Sommer konnte nicht gehalten werden.

„Die Verschiebungen im Zeitplan belasten die Wirtschaftlichkeit des Projekts, mit dem wir eigentlich schon 2005/2006 Geld verdienen wollten. Doch das ist nicht mehr zu schaffen“, so das Vorstandsmitglied gegenüber der Zeitung. „Außerdem sind uns die Kosten weggelaufen.“ So habe man etwa die Vermögenswerte und die Qualität der Gebäude in Moskau überschätzt, die der russische Partner als Sacheinlage in das Jointventure eingebracht hat. Auch die gebrauchten Maschinen, die Conti eingebracht hatte, hätten überraschend Mehrkosten verursacht. Hinzu komme, dass der Personalaufwand in Moskau größer sei als geplant, da mehr, teurere und höherqualifiziertere Mitarbeiter mit Englischkenntnissen benötigt werden, so Dr. Nikolin. All dies werde dazu führen, dass der Hannoveraner Reifenhersteller nicht wie ursprünglich geplant 30 Millionen Euro, sondern eher 40 Millionen in das Gemeinschaftsunternehmen investieren müsse.

„Hinzu kommt, dass sich der Wettbewerb in Russland verschärft, weil die Importzölle tendenziell sinken. Dadurch geraten die Preise für lokal produzierte Reifen unter Druck.“ Dies gefährde die Umsatzpläne. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor sei erst jüngst hinzugekommen, so Nikolin. In der russischen Zentralregierung gebe es Bestrebungen, für einen Rückzug der Industrie aus dem Zentrum Moskaus zu plädieren, wo auch das Gemeinschaftsunternehmen ansässig ist. Jedes einzelne der Probleme sei handhabbar, doch in der „Fülle der Risiken“ habe der Vorstand nun entschieden, „das gesamt Projekt zunächst einmal einzufrieren“ und nach einer „vernünftigen Lösung“ zu suchen. Dr. Hans-Joachim Nikolin betont allerdings, dass Continental sehr wohl daran interessiert sei, auch weiterhin Geschäfte in Russland zu machen.

Für zukünftige, ähnliche Projekte, wie das jüngst für China bekannt gegebene Vorhaben mit der Qingdao Doublestar Tire Industrial Co., sollen die internen Genehmigungsverfahren verbessert werden, um die lokalen Verhältnisse künftig besser durchleuchten zu können. Obwohl die Grundvoraussetzungen in China für einen wirtschaftlichen Erfolg viel besser seien als in Russland, wolle Nikolin, der auch für das dort geplante Gemeinschaftsunternehmen verantwortlich ist, „die leidvollen Erfahrungen aus Russland als Richtschnur bei die Endverhandlungen in China“ nehmen. Dort hatte Conti Ende September ein „Memorandum of Understanding“ mit Doublestar unterzeichnet.

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