Überraschung: Reifen Schwarz Passau zieht Insolvenzantrag zurück

In Passau heißt es: „Ein Weihnachtsmärchen wurde wahr.“ Heute sollte das Insolvenzverfahren eröffnet werden und die erste Gläubigerversammlung war vom Insolvenzgericht bereits auf den 12. Dezember 2003 festgesetzt. Doch am vergangenen Freitag in den frühen Abendstunden gab Thomas Schwarz gegenüber der örtlichen Presse die Rücknahme des Insolvenzantrags bekannt. Er selbst und seine Mutter Theres Schwarz verlassen die Geschäftsführung, die nunmehr Firmen-Senior Gotthard Schwarz übernimmt. Bridgestone muss jetzt erst mal ein paar Wunden lecken, während sich die Wettbewerber mitsamt der Familie Schwarz die Hände reiben dürften. Doch um ein Wunder oder Weihnachtsmärchen handelt es sich bei diesem handfesten Stück aus dem Tollhaus nicht. Verlierer sind die direkten und indirekten Wettbewerber der in Vermögensverfall geratenen Firma Reifen Schwarz GmbH & Co. KG.

Die Sache schien bereits gelaufen. Bridgestone wollte die überragende Mehrzahl aller Schwarz-Betriebe übernehmen, nachdem diese erst durch die Insolvenz und dann in eine Nachfolgegesellschaft überführt worden waren. Von Forderungen der großen Schuldner Bridgestone, Continental, Dunlop und Michelin in Höhe von jeweils zwischen vier bis sieben Millionen Euro ist die Rede. Deshalb hatte sich auch kein Investor für die komplette Übernahme des Handelshauses inklusive seines aufgelaufenen Schuldenberges finden lassen. Die überraschende Rücknahme des Insolvenzantrags hatte sich bereits am Donnerstag vergangener Woche angekündigt, nachdem ein mit Reifenhersteller Michelin in Verbindung zu bringender fränkischer Rechtsanwalt mündlich einen Sanierungsplan unterbreitete, der nun wohl auch schriftlich vorliegen dürfte. Die Reifenhersteller Continental, Dunlop und Michelin wollen und müssen die Sanierung und alle damit verbundenen Kosten und Konsequenzen von nun an gemeinsam schultern.

Was führte zu diesem Sinneswandel? Keiner der Großgläubiger war bis dahin angesichts der Aussichtslosigkeit eines solchen Unterfangens bereit gewesen, das Handelsunternehmen mit allen Verbindlichkeiten zu übernehmen. Längst nicht alle Filialen erscheinen sanierungsfähig, sondern Schließungen und Arbeitsplatzabbau sind und bleiben unerlässlich. Das war wohl auch der Grund, warum der einzig verbliebene Interessent Bridgestone auf einer Insolvenzeröffnung beharrte, um damit einige wesentliche Forderungen in Millionenhöhe abschütteln zu können. Das neue Insolvenzrecht gibt gegenüber dem bisherigen ganz bewusst eine Reihe von Vorteilen, um jedenfalls als lebensfähig erscheinende Teile eines in Schwierigkeiten befindlichen Unternehmens ohne allzu große Schwierigkeiten und zu hohe Hürden fortführen und auch um eine möglichst große Zahl von Arbeitsplätzen retten zu können.

Das aber hatten sich die Bridgestone-Wettbewerber völlig anders vorgestellt. Sie hatten noch im Herbst 2003 mit einigem Verständnis das Ausscheren der Bridgestone aus dem Gläubigerkreis hingenommen, nachdem deren Interesse an einer Schwarz-Übernahme offenkundig geworden war und zumindest stillschweigend erwartet, von Bridgestone ausgezahlt zu werden, sofern die Übernahme stattfinden würde. Erst als sich der von Bridgestone geplante Weg abzeichnete, regte sich sofort Widerstand, weil – so jedenfalls die Sicht der Bridgestone-Konkurrenten – die Japaner ihre Distributionsbasis auf dem Rücken der Wettbewerber spürbar verstärkt hätten, während sich die restlichen Großgläubiger aus der Reifenindustrie tatsächlichen Forderungsverlusten in erklecklicher Millionenhöhe gegenüber gesehen hätten; bis dahin handelte es sich „nur“ um drohende Forderungsverluste, die sich je nach Bedarf schöner und hässlicher rechnen lassen. Somit ist seither hinter den Kulissen hart gefochten worden. Das ging bis zu angedrohten gerichtlichen Klärung darüber, ob es bei Reifen Schwarz nicht tatsächlich bereits zu einer Konkursverschleppung gekommen sei. Wäre es so, hätte das der Familie verbliebene Privatvermögen möglicherweise herangezogen werden können. Zum Firmen-Junior Thomas Schwarz (28) war mindestens ein Großgläubiger ohnehin schon auf Distanz gegangen, weil er sich von diesem an der Nase herumgeführt sah. So seien, wie es heißt, in vielen zurückliegenden Monaten Sanierungsgespräche detailliert geführt worden, Umsetzung diverser Schritte auch zugesagt worden, letztlich habe sich Schwarz aber heimlich mit Bridgestone einigen wollen; erst nachdem ihm klar wurde, dass er selbst dann keine Zukunft mehr im Unternehmen haben würde, sei er umgeschwenkt. Thomas Schwarz, von einem Gläubigervertreter als zu unreif und zu unerfahren qualifiziert, kam deshalb als als Ansprechpartner kaum noch in Betracht. Eigentlich hatten die Gläubigervertreter dem nun wieder an die Spitze des Handelsunternehmens gelangten Gotthard Schwarz schon längst nicht mehr zugetraut, den Turnaround auch nur ansatzweise einleiten zu können. Respekt wird allerdings von jemand, der ausdrücklich nicht namentlich genannt werden möchte, Theres Schwarz gezollt: „Sie war die einzig verbliebene Kämpferin in dieser traurigen Runde und nicht bereit, einfach kampflos, sang- und klanglos aufzugeben.“

Um „ein Weihnachtsmärchen“ geht es keinesfalls. Wenn die Großgläubiger schon Geld verlieren, dann fühlen sie sich aber wenigstens besser, wenn es sich bei ihren Kunden in Luft auflöst als dass sie es durch einen Bridgestone-Schornstein verqualmen sehen müssten. „Wie, Bridgestone ist raus? Ist 1. April? Hat die Familie Schwarz das Ruder doch noch herumgerissen?” So zitiert die Passauer Neue Presse Schwarz-Mitarbeiter. Daran ist nur richtig, dass die Familie Schwarz das Ruder seit Jahrzehnten in Händen hielt, letztlich aber strandete und mit Schulden beladen tief festsitzt. Es geht dem Vernehmen nach um die stolze Summe in einer Größenordnung von 25 Millionen Euro. Diese Schulden sind geblieben und sie sind so hoch, dass ihr Abbau aus dem Geschäftsbetrieb auch langfristig nicht zu erwarten ist.

Energisch ins Ruder gegriffen haben letzte Woche die Reifenhersteller Continental, Dunlop und Michelin. Für diese rechnet sich der Eingriff allenfalls mit dem Hinweis auf den Erhalt weiterer Absatzmöglichkeiten in den kommenden Jahren. Die zu erwirtschaftende Marge wird längerfristig die Verluste bei ihnen erträglicher gestalten. Das ist die modernere Art einer Subventionierung. Aber damit geschieht genau das, was BRV-Präsident Seher der Reifenindustrie so vehement vorgehalten hatte. Er hatte auf der BRV-Jahresversammlung in Rottach-Egern im Sommer 2003 die Viborg-Übernahme durch Michelin äußerst kritisch und mit begleitenden aggressiven Worten kommentiert, sich dabei aber nach Einschätzung dieser Zeitschrift auf ein falsches Beispiel bezogen. Die zu rasant gewachsene Viborg-Gruppe war von Anfang mit zu wenig Eigenkapital versehen gewesen und war nicht wegen Überschuldung sturmreif, sondern mangels Liquidität. Das Handelsunternehmen war für Reifenhersteller Michelin immerhin noch so interessant, dass es in seiner Gesamtheit und mit allen Schulden und sonstigen Verpflichtungen übernommen worden ist und danach für den Verkäufer Nielsen dennoch ein zweistelliger Millionenbetrag in Euro verblieb. Die Michelin-Konkurrenten haben ihr Geld bis auf den letzten Cent bekommen. Und selbst wenn die Franzosen einen zu hohen Preis bezahlt hätten, wäre es ihr Privatvergnügen gewesen. Jedenfalls sind sie nun in der Pflicht, mit Viborg Geld verdienen zu müssen.

Dieses Mal ist es jedoch anders. Natürlich kann man Kommentare von Bridgestone-Wettbewerbern („Was die können, können wir doch wohl auch. Bevor wir Geld indirekt an Bridgestone verlieren, schustern wir einigen unserer Kunden was zu und erhalten uns Absatzpotenzial.“) verstehen, wissen sie doch, dass Bridgestone über genug Ressourcen verfügt, sich eine schnelle Verstärkung der Distribution leisten zu können. Und weil sie das Geld haben, sollen sie es nach dem Verständnis der Konkurrenten gefälligst ausgeben und sie auf den letzten Euro-Cent auszahlen. So aber fühlten sich gleich drei Reifenhersteller herausgefordert, sich miteinander verständigen zu müssen. Und alles zur Erstellung eines Sanierungsplans für eine Reifenhandelsgesellschaft, die sie zuvor nicht für sanierungsfähig hielten, jedenfalls nicht für interessant genug, ein komplettes Übernahmeangebot dafür abzugeben, gerade weil die Schulden schon viel zu hoch waren. Folglich wird nun über die Marge weiter subventioniert werden müssen. Bleibt abzuwarten, ob und wie lange die Harmonie unter den Großgläubigern anhält. Man wird sich draußen im Markt noch einige Male treffen und über neue Problemfälle zu befinden haben.

Dass man es bei Insolvenzen im Reifengeschäft in aller Regel mit ausgeschlafenen Großstadtjungs seitens der Industrie zu tun hat, haben die Beteiligten auf eine ihnen eigene Art abschließend deutlich gemacht. Hatten sie von Anfang an Zweifel an der Kompetenz und ausreichenden Erfahrung der recht jungen vorläufigen Passauer Insolvenzverwalterin Silke Hasenöhrl, so war diese bei ihnen vollends unten durch, nachdem sich ein Gläubigerausschuss bilden konnte, dem Lieferant Bridgestone und sonst kein weiterer Reifenhersteller angehörte. Die Begleitumstände zur Rücknahme des Insolvenzantrags entpuppten sich für Hasenöhrl am Freitag Abend wie eine schallende Ohrfeige. Die Insolvenzverwalterin musste einräumen, davon lediglich aus der Presse erfahren zu haben und verbreitete schnell und tapfer diese Presseerklärung: „Ein gemeinsames Sanierungskonzept der Firmen Michelin, Dunlop und Continental ist mir bis zum heutigen Tag nicht bekannt gemacht worden. Außer dem Angebot der Firma Bridgestone wurde mir ein Angebot zur Übernahme eines Großteils der Filialen weder von den vorgenannten Gesellschaften noch von einem anderen Interessenten bekannt gemacht. Die Gründe, warum das Übernahmekonzept der drei vorgenannten Gesellschaften erst jetzt publik gemacht wurde, sind mir nicht bekannt. Die Mitarbeiter haben mit überwältigender Mehrheit das Übernahmekonzept von Bridgestone unterstützt.“ Die Erklärung schließt mit guten Wünschen für das Unternehmen, die Mitarbeiter und die Familie Schwarz.

Zweifelsohne ist die neue Entwicklung ein Rückschlag für Bridgestone. Das Unternehmen hatte sich in den letzten Wochen bereits stark engagiert und hatte sich mit einigem Tatendrang auf die Übernahme vorbereitet. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite beschreibt allerdings die Tatsache, dass Bridgestone nun die eigenen Forderungen gegenüber Reifen Schwarz sehr schnell realisieren kann. Dass die Japaner zum Sturm auf Europa geblasen haben, ist seit etwa einem Jahr bekannt. Dass damit auch Verstärkung der Distribution in Europa und in Deutschland verbunden ist, konnte auch kein Geheimnis bleiben. Bridgestone verfügt über ausreichende finanzielle Ressourcen. Somit ist es wiederum nur eine Frage der Zeit bis zur Führung neuer Übernahmeverhandlungen mit anderen Kandidaten.
klaus.haddenbrock@reifenpresse.de

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