Bridgestone geht gut vorbereitet ins Hockenheim-Rennen

“Top Secrets” aus der Formel 1 Kaum ein Autofahrer widmet den Reifen an seinem Fahrzeug die Aufmerksamkeit, die sie in Wirklichkeit verdienen. Dabei stellen sie – mit nur postkartengroßer Aufstandsfläche – den einzigen Kontakt zum Untergrund dar und gehören somit zu den überlebenswichtigen Teilen am Auto. Ganz anders in der Formel 1. Alle Teams und allen voran diejenigen, die den Wettbewerb anführen, wissen, dass die Reifen über Sieg und Niederlage und im schlimmsten Fall sogar über Leben und Tod entscheiden. In der laufenden Saison sorgt der Wettbewerb zwischen zwei unterschiedlichen Herstellern (Bridgestone und Michelin) für Gesprächsstoff und Spekulationen, daher wird den Reifen mehr Aufmerksamkeit geschenkt als in “monopolistischen” Jahren. Verdient haben die Reifen diese Aufmerksamkeit auf jeden Fall, denn sie ermöglichen Höchstgeschwindigkeiten von über 360 km/h, in Kurven von über 300 km/h und bergen hochinteressante, teils streng geheime High-Tech-Komponenten. So müssen beispielsweise die Flanken der Reifen sehr stabil und fest sein, damit die Reifen in Kurven dem Auto Halt bieten. Eine weitere wichtige Aufgabe kommt den Reifen zu, die für den Zuschauer nicht sichtbar ist: Sie haben einen Großteil der Federungs- und Dämpfungsarbeit zu übernehmen, die von den extrem steifen Autos nicht geleistet werden kann. Die Reifenentwickler müssen darauf achten, dass die Konstruktion der Reifen weder zu hart ist noch zu weich. Eine Arbeit, die Fleiß, Akribie und großes Wissen erfordert. Beeindruckende Zahlen Ein moderner Formel 1-Wagen beschleunigt aus dem Stand von 0 auf 100 km/h in 2,6 Sekunden, der Fahrer legt dafür nur 37 Meter zurück. Die Hinterreifen alleine müssen dem 700 Kilogramm schweren Auto mit seinen 800 PS den nötigen Halt auf dem Asphalt zu bieten, so dass die Reifen beim Beschleunigen nicht durchdrehen. Eindrucksvoll ist auch die Beschleunigung von 0 auf 200 km/h. Dafür benötigt ein Formel 1-Auto nur fünf Sekunden und nicht mehr als 140 Meter. Beim Abbremsen des Rennwagens ist hingegen die Qualität der Vorderreifen gefragt, weil sich bei der Verzögerung das Gewicht nach vorne verlagert. Hier muss die Seitenwand immense Kräfte aushalten, ohne dass der Reifen eingedrückt wird. Am Ende der Waldgeraden in Hockenheim (fällt dieses Jahr der Verkürzung des Rennkurses zum Opfer) zum Beispiel verzögerten die Formel 1-Boliden von 350 km/h auf 190 km/h in gerade einmal 1,7 Sekunden und benötigen dafür nur 120 Meter. Bei einer Vollbremsung aus 200 km/h steht ein Formel 1-Fahrzeug nach nur 55 Metern – ein Vorgang, der 1,9 Sekunden dauert. Dabei entstehen Verzögerungskräfte von bis zu 5g, was bedeutet, dass das fünffache Gewicht des Oberkörpers eines Fahrers in die Gurte gepresst wird. Noch höher ist die Belastung für die Reifen in den Kurven, wenn Seitenführungskräfte am Fahrzeug zerren. In einer Kurve, die mit rund 150 km/h durchfahren wird, wirken Fliehkräfte von bis zu 3,2g, damit müssen die Reifen insgesamt rund 2,2 Tonnen stand halten. Auch bei der Geradeausfahrt wirken auf den Reifen enorme Kräfte. Bei Geschwindigkeiten bis zu 350 Stundenkilometern wirken durch die hohe Umdrehungszahl der 13-Zoll-Reifen sehr hohe Zentrifugalkräfte, die dazu führen, dass sich eine weniger stabile Lauffläche nach außen wölben würde. Gleichzeitig stauchen der bei Höchstgeschwindigkeit maximale Anpressdruck der Flügel und eventuell auftretende Bodenwellen die Flanken der Reifen mit mehreren hundert Kilogramm Gewicht zusammen. Der Anpressdruck der Flügel wirkt so stark, dass ein Formel 1-Auto mit mittlerer Flügeleinstellung ab 150 km/h kopfüber an der Zimmerdecke fahren könnte. Wenn die Piloten mit 350 km/h unterwegs sind, dann drücken die Flügel das Auto umso stärker nach unten – hinten mit einer Kraft von 1,6 Tonnen und vorne mit 1,1 Tonnen. Unsichtbar, aber wichtig – Karkasse und Gürtel Die aus Metall gefertigte Karkasse sorgt dafür, dass der Reifen das Gewicht des Autos tragen und den Anpressdruck aushalten kann. Die Karkasse umschließt ein so genannter Gürtel, der durch die Karkass-Seile gehalten wird, um nicht unter der Last zusammenzubrechen. Diese Konstruktion wird stabil erst durch einen Druck zwischen 1,2 und 1,4 bar. Bridgestone befüllt Formel 1-Reifen teils mit gefilterter Luft, der das Wasser entzogen wird, teils mit Stickstoff. Letzterer ist stabiler und dehnt sich bei Aufheizung des Reifens nicht so stark aus wie Luft. Mit der Karkasse steuern die Reifenentwickler das Federungsverhalten des Reifens. Bei Formel 1-Reifen bildet die Karkasse im Querschnitt die Form einer Ellipse, dadurch entsteht die typische “Ballonform” der Reifen. Die Auslegung der Karkasse hängt nicht nur vom Gewicht des Fahrzeugs ab, sondern auch von der zur Verfügung stehenden Motorkraft. Je höher letztere ist, desto weniger steif darf der Reifen sein, damit er einfedern und dadurch seine Aufstandsfläche vergrößern kann. Nur so ist höhere Traktion erreichbar. Der Nachteil einer weicheren Karkasse ist wiederum erhöhter Rollwiderstand, der die Höchstgeschwindigkeit vermindert und zu schnellerem Verschleiß führt. Hier ist ein weiterer Kompromiss zu finden. Der Gürtel im Reifen verhindert, dass sich die Lauffläche durch die hohe Umdrehungszahl und die dabei entstehenden Fliehkräfte wölbt. Mehrere Schichten Seile, die in verschiedenen Mustern und Richtungen übereinander gespannt werden, stabilisieren den Gürtel. Durch die Variation der Spannmuster können die Hersteller das Fahrverhalten der Reifen maßgeblich bestimmen, deshalb werden diese geheim gehalten. Hier ist Gewicht einzusparen, indem man leichtes Material aus Kevlar- oder Rayonfasern für die Seile aus hochstabilen Fasern verwendet. Die Gewichtsreduzierung ist beim Reifen besonders wichtig, denn hier handelt es sich nicht nur um ungefederte, sondern auch um rotierende Masse, die beim Abbremsen oder Beschleunigen viel Energie verbraucht. Die Mischung macht’s – bei richtiger Temperatur ”Compound” ist der englische Fachausdruck für die Gummimischung. “Die Mischung macht’s” gilt hier in besonderem Maße und sie wird geheim gehalten wie die Rezepte eines Gourmet-Kochs. Grundsätzlich gilt: Je weicher die Mischung, desto mehr Haftung bietet sie. Während ein normaler Straßenreifen auch in sportlichen Ausführungen 25.000 Kilometer und mehr Laufleistung erbringt, hält die Gummimischung eines Formel 1-Reifens weniger als 300 Kilometer. Nicht durch das reine Rollen auf Asphalt werden die Reifen abgenutzt, sondern durch die extreme Reibung beim Rutschen über die Fahrbahn oder wenn die Antriebsräder durchdrehen – dann wird der Reifen regelrecht abgehobelt. ”Grip” ist das Zauberwort für Fahrer und Reifeningenieure gleichermaßen. Es steht für Haftung, und die Gummimischung ist neben der Konstruktion wesentlich verantwortlich für die Haftung des Reifens. Je mehr Haftung ein Reifen aufbauen kann, desto schnellere Rundenzeiten können die Formel 1-Piloten fahren. Alles ist auch von der Temperatur der Reifen abhängig, deshalb werden in der Formel 1 die Reifen mit Hilfe von Heizdecken vorgewärmt. Die Gummimischung in der Formel 1 arbeitet in einem Temperaturbereich von 90 Grad bei Trockenreifen und 50 Grad bei Regenreifen optimal. Erreicht der Reifen noch nicht diese Temperatur, bringt er nicht genügend Haftung. Wird er hingegen zu heiß, verschleißt er zu schnell. In diesem Fall können sich sogar Blasen auf der Lauffläche bilden, die den Reifen im schlimmsten Fall zum Platzen bringen. Ein weit verbreiteter Irrtum ist übrigens, dass Regenreifen Trockenreifen mit Profil sind. Regenreifen sind eine ganz eigene Konstruktion. Sie sind wesentlich weicher ausgelegt und bieten grundsätzlich mehr Haftung als Trockenreifen. Fährt man Regenreifen im Trockenen, fehlt die Kühlung durch das Wasser und der Reifen nutzt in kürzester Zeit ab. Am Rennwochenende sind die Reifen entscheidend Am Rennwochenende geht der Fahrer zunächst auf die Strecke und testet, ob sein Auto über- oder untersteuert. Durch Einstellungen am Fahrwerk und der Aerodynamik lassen sich solche Schwierigkeiten meist beheben. Die Reifen stehen dabei ständig unter Kontrolle. Sie müssen gleichmäßig auf Temperatur kommen ohne zu heiß zu werden und dürfen sich nicht unterschiedlich stark abnutzen. Radsturz, Vor- und Nachspur, Feder- und Dämpferraten sowie die Stabilisatoren und das Differenzial wirken auf das Verhalten der Reifen ein. Die Ingenieure suchen nach der passenden Abstimmung mit dem Ziel, für ein Rennen konstant hohe Leistung über die gesamte Distanz zu ermöglichen. Wenn das Auto zu wenig Haftung hat, drehen die Reifen stellenweise durch. Rutscht das Auto beim Beschleunigen über Bodenwellen, nutzt der Reifen stärker ab. Hier hilft die weichere Abstimmung der Federn des Autos. Kommen die Vorderreifen nicht auf Temperatur mit dem Ergebnis, dass das Auto untersteuert, zieht sich der Reifen eine so genannte “Vorspur” zu, lenkt ständig leicht nach innen und erhitzt sich. Manchmal beklagen Piloten ein nervöses Fahrverhalten in den Kurven, dies kann durch die Einstellung des “Sturz” vermindert werden. Mit einem negativen Sturz, optisch wirkt das Auto X-beinig, werden die Reifen nach innen gekippt und stützen sich in Kurven besser ab. Fliehkräfte und Karosseriebewegungen werden absorbiert. Nachteil dabei ist die stärkere Abnutzung des Reifens auf der Innenseite. Im Qualifying können die Fahrer alles aus ihren Reifen herauspressen und ihr Limit sogar überschreiten. Die Leistungsspitze erreicht der Reifen, wenn das Gummi durch die Erwärmung zum ersten Mal “aufgeht”. Dabei öffnen sich die Poren und sind eine Runde lang besonders haftungsfähig, bevor sie sich nach knapp einer Runde endgültig schließen. Nutzt ein Fahrer diesen “Peak”, kann er im Qualifying oder auch im Rennen in einer einzigen Runde bis zu 0,3 Sekunden schneller sein.

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