Die freundschaftliche Trennung des Conti-Konzerns von Dr. Kessel

“Ich werde die eingeschlagene Strategie um keinen Jota ändern.” Das sagte Stephan Kessel, als er im April 1999 auf einer denkwürdigen Pressekonferenz in Hannover als Nachfolger eines amtsmüden Dr. Hubertus von Grünberg vom damaligen Aufsichtsratschef Ulrich Weiss vorgestellt wurde. Er mag das geglaubt und auch gewollt haben und dennoch war damit die Richtung in tiefstes Fahrwasser vorgezeichnet. Viele glaubten damals ohnehin, einfach nur im falschen Film zu sitzen, als Weiss nicht allein verkündete, von Grünberg werde bereits zum 1. Juni 1999 zurücktreten, und zusätzlich noch behauptete, dieser Schritt sei ihm seit langem bekannt gewesen, man habe sich nur vor drei Jahren bereits auf Stillschweigen geeinigt. Angenehm jedenfalls für von Grünberg. Sein noch laufender Vorstandsvertrag wurde ausgezahlt und zugleich wurde klar gestellt, dass er sodann Aufsichtsratsvorsitzender werde. Dass Mitglieder des Aufsichtsrates ordentlich vergütet werden, auch dafür hatte der Stratege rechtzeitig noch selbst gesorgt und quasi eine Verdoppelung der Bezüge auf der letzten Jahreshauptversammlung initiiert. Eigentlich war es für viele ein Stück wie aus dem Tollhaus. Von Grünberg hatte zu einem, wie viele Beobachter meinten, viel zu hohen Preis seine alte Firma Teves übernommen. Das Unternehmen erreichte im Zeitpunkt der Übernahme einen Umsatz von 3,8 Milliarden Mark (1,95 Milliarden Euro) und wurde für 3,5 Milliarden Mark (1,78 Milliarden Euro) gekauft. Anders betrachtet: 18-facher EBIT oder für jeden Euro Umsatz einen Betrag von 91 Cent. Kritik hielt dennoch kaum jemand für angebracht. Von Grünberg hätte so etwas ohnehin niemals geduldet und als großer Mann, als der er galt, konnte er sich nahezu alles leisten und nahezu alles von seinen Aufsichtsräten verlangen. Dass diese folgten, dafür sorgte der vormalige Deutsche Bank-Manager Weiss. Denkbare feindliche Übernahmeversuche wurden je nach Interessenlage betrachtet. Einmal hieß es, der Aktienkurs müsse “unanständig hoch und abschreckend sein” (von Grünberg) und dann wieder wurden Beruhigungsdragees verteilt mit Behauptungen wie, die deutsche Automobilindustrie wolle keinen übermächtigen Zulieferer und werde jedem Übermütigen schnell auf die Finger klopfen. Dr. Stephan Kessel jedenfalls hatte eine Blitzkarriere gemacht. Einerseits soll er nacheinander im Pkw-Reifenbereich und anschließend im Lkw-Reifenbereich große Erfolge hingelegt haben, die ihn offenbar befähigt erscheinen ließen, schließlich den Konzern führen zu können, andererseits hielten dem Kritiker entgegen, Kessel sei zwar schnell gewesen, aber auch stets schnell genug jeweils auf und davon gewesen, bevor sich die unerledigt gebliebenen Probleme erneut gemeldet hätten. Und dann war der Start auch nicht so besonders, denn Kessel gab in Interviews bekannt, er habe stets eine Beförderung nur angenommen, wenn er überzeugt gewesen sei, auch für den dann noch nächsten Schritt befähigt zu sein, was als Arroganz ausgelegt wurde und auch recht großspurig klang. Anerkennung fand indessen betriebsintern seine Maßnahme, die von Grünberg-Vertrauten Prüfer und Binder gleich aus den Schuhen zu kippen und nach Hause zu schicken. Da galten diese beiden Herren, die von Grünberg mit der Leitung der europäischen Retailorganisation beauftragt hatte, in den Augen des Noch-Chefs als tolle Kerle, denen von Grünberg sogar “Harvard-ähnliche Denkstrukturen” bescheinigte, während sie Conti-intern schlicht und ergreifend als “unsere Rabattmarkenfälscher” bezeichnet wurden und werden. Diesen dynamischen Jungmanagern das Handwerk gelegt zu haben – und zwar bevor er noch offiziell sein Amt als Vorstandsvorsitzender angetreten hatte – brachte Kessel viele Sympathien ein. Doch bereits als Mitglied der Marketing- und Verkaufsmannschaft unter Führung des zuständigen Vorstandsmitglieds Willi Schäfer hatte sich Kessel auch Spötter und Kritiker geschaffen, die ihn als illoyal gegenüber Schäfer brandmarken wollten und ihn als Jungdynamiker beschrieben, der jeden von Grünberg-Wunsch bereits im Ansatz geahnt habe – und prompt erfüllte. In der Folgezeit ist es dann doch hin und wieder zu Spannungen zwischen den beiden Spitzenleuten des Vorstands bzw. des Aufsichtsrats gekommen. Eitelkeiten mögen eine Rolle gespielt haben. So hat von Grünberg schwer vergessen können, in eine unangenehme Fragestunde gekommen zu sein, nachdem Kessel einen zweistelligen Millionenbetrag zurückstellte für Fehler und Unzulänglichkeiten der Retailorganisation. Da ließ sich Aufsichtsratsmitglied Henkel die Chance nicht entgehen, bei von Grünberg im Verlauf einer AR-Sitzung wiederholt nachzufragen, wie es denn zu diesem Desaster kommen konnte, sozusagen doch ein Werk seiner Zöglinge! Kessel, so viel lässt sich sagen, kam bei Kunden weitaus besser an als der stets hölzern und besserwisserisch wirkende Vorgänger im Amt, der mit Menschen nicht allzu gut umgehen konnte und schon deshalb wenig Freunde hatte, weil er in seinen Jahren als Conti-Chef viele Blutspuren gelegt und Manager gleich reihenweise aus dem Amt gekegelt hatte. Rückschauend lässt sich aber festhalten, dass die gute Unternehmenskultur der Continental stark genug war, allen Widerwärtigkeiten widerstehen zu können. Von Grünberg dachte in Maschinen und Anlagen, in Bremsen und Erstausrüstung. Hier konnte er die Spitzenmanager der Automobilindustrie als seinesgleichen anerkennen und war auch um Anerkennung selbst bemüht. Kessel hingegen verstand nicht nur ein wenig von Bremsen, sondern auch ziemlich viel von Reifen. Zu allem hatte er auch – endlich – ein Ohr für Marketing und Sinn für Marken. Unter von Grünberg hatte es Investitionen in Marken kaum noch gegeben, von Grünberg hat sich um so etwa wie Brand Equity, als Markenwert, sicher nicht verdient gemacht, sondern sich stets bloß auf neun Kunden weltweit, die Automobilhersteller, konzentriert. So ist die Marke Uniroyal nach Strich und Faden in den Keller getrieben worden und zur Billigmarke verkommen. Kessel machte sich dann doch wieder daran, diese Marke aufzubauen und er war auch bereit, die notwendigen Investitionen, wenigstens die dringendsten, vorzunehmen. Dass Kessel keinen Jota von der eingeschlagenen Strategie abweichen wollte, war vielleicht auch bloß eine Verbeugung vor seinem Aufsichtsratschef, mit dem er sich zuletzt, sofern nicht nur Journalisten, sondern auch seine engen Mitarbeiter recht haben, einfach nicht mehr verstand. Dennoch überraschte seine Ablösung und dann zu diesem Zeitpunkt ohnehin. Dass die Conti-Aktie im Keller ist, dürfte Kessel kaum zu vertreten haben, und gemessen am wirtschaftlichen Umfeld waren die erwirtschafteten Ergebnisse auch nicht allzu schlecht, wenngleich es doch ein paar größere Probleme gab. Doch will man Kessel das General Tire-Desaster vorhalten? Noch von Grünberg schickte Bernd Frangenberg in die USA und ließ den Konzernableger nach seinem Gusto “sanieren”. Und das hieß: sparen, sparen, sparen! So wurde Frangenberg gezwungen, eine ausgecashte Firma nochmals auszucashen. Alles bloß Window-Dressing; aber der seinerzeitige VV hatte nach außen Sanierungsarbeit geleistet. Erfolgreich? Doch die Erfolge fielen in eine Zeit wirtschaftlicher Blüte, sie waren mit den ersten Marktrückgängen verweht, ein deutliches Zeichen dafür, dass Sanierung selbst nicht stattgefunden hatte. Frangenberg hatte immer wieder Mittel verlangt; bekommen hat er sie nie. Das änderte sich erst wieder unter Kessel, der begriffen hatte, dass Investitionen die Voraussetzung zum Erfolg sind, während es unter von Grünberg geheißen hatte, die erforderlichen Investitionen müssten von General selber kommen. Auch das ist nur die halbe Wahrheit. Die Erträge des Konzerns sind eben nicht in den Ausbau, sondern in einen Umbau gesteckt worden. Man wollte weg vom Image des langweiligen Reifenherstellers hin zur Hightech-Schmiede und man wähnte sich schon in der Champions-League der Automotive Supplier. Vielleicht hat Kessel dennoch, nicht allein im Umgang mit von Grünberg, gelegentlich auch ungeschickt agiert. So brachte er eine Zusammenarbeit mit Pirelli gleich mehrfach zur Unzeit in die Diskussion und zog sich den Zorn der Italiener zu. Bei den Übernahmeverhandlungen mit Siemens um Sachs oder bereits zuvor mit Mannesmann um Atecs hat der deutsche Reifenkonzern keine Rolle spielen können. Und auch die Absicht, ContiTech verkaufen zu wollen, ist vielleicht zu einem ungünstigen Zeitpunkt öffentlich gemacht worden. Was sich der Konzern dabei aber schon viel früher angetan hat, dämmert nun vielen unter dem Conti-Dach: Potenzielle Investoren waren nicht bereit, für ContiTech einen Preis von rund sieben Mal EBIT oder 55 Cent für einen Euro Umsatz zu bezahlen. Da war von Grünberg mutiger seinerzeit. Die Folgen sind aber sichtbar. Der Konzern ist mit weit mehr als drei Milliarden Euro verschuldet und an der Börse derzeit gerade mal so 1,5 Milliarden Euro wert. Und ob die Feilbietung von ContiTech richtig war oder nicht, ist eigentlich auch nicht hinterfragt worden. Für 30-jährige Bankanalysten war es wohl “schlüssig” – unbedarftere Beobachter fragen sich dennoch, ob mit diesem geplanten Verkauf nicht ein Pferd gegen einen Esel getauscht werden sollte. Auf viele Jahre hinaus wäre der Ertrag je Aktie gesunken, wenn der ContiTech-Verkauf gelungen wäre. Unangenehm auch für Kessel, dass seine Aussage, Continental sei nunmehr Nummer 1-Lieferant von Ford, unverzüglich als falsch vom Automobilhersteller offiziell dementiert wurde. Und auch dies kam nicht so gut an: Erdrutschartig würden seiner Ansicht nach die Marktanteile von Firestone zusammenbrechen und Continental sowie General würden große Anteile dessen für sich gewinnen können. Es trat nicht ein und stattdessen schwebt bis heute ein Damoklesschwert weiter über General, weil der Ameri 550 S eine vielfach höhere Ausfallquote nach Aussagen der amerikanischen Sicherheitsbehörde NHTSA hat als der in die Kritik geratene Firestone-Reifen. Wie der Continental-Konzern derzeit von weiten Teilen der Öffentlichkeit eingeschätzt wird, zeigte sich auf der Bosch/Michelin-Pressekonferenz in diesen Tagen auf der IAA. Ein Journalist fragte, wie man denn den dreijährigen Vorsprung von ContiTeves aufholen wolle. Der Bosch-Sprecher meinte, man konkurriere nicht über Ankündigungen, sondern es sei einfach günstig, auch die richtigen und guten Produkte mal im Markt zu haben. Dr. Stephan Kessel ist nach einem relativ kurzen Zwischenspiel im Vorstand und als Vorstandsvorsitzender schon wieder Conti-Geschichte. Der mittlerweile 48-jährige ist für den Rest seines Lebens versorgt. Es sei ihm auch gegönnt. Doch der Conti-Konzern ist heute so verwundbar wie er nie war, er hat möglicherweise seine Zukunft bereits verspielt, weil er zum idealen Übernahmeopfer degeneriert ist und eines nicht allzu fernen Tages auch konsequent zerlegt werden wird. Und das trotz der angeblichen Abneigung der deutschen Automobilindustrie. Tapfer sind die Verlautbarungen, der Konzern werde an seiner Strategie festhalten. Glaubwürdig sind sie – Gott sei Dank – aber nicht. ContiTech steht nicht mehr zum Verkauf und die großen Akquisitionssprünge gehören der Vergangenheit an. Geblieben ist ein vom jetzt in die Wüste geschickten Vorstandsvorsitzenden nicht zu vertretender Schuldenberg. Im nächsten Heft der NEUE REIFENZEITUNG lesen Sie einen Beitrag, warum die eingeschlagene Strategie des deutschen Reifenkonzerns falsch war und in die Sackgasse führen muss. Und so heißt es dann in Heft 10/2001: Warum der Konzernumbau des deutschen Gummi- und Reifenkonzerns bereits gescheitert ist.

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