Michelin bleibt pressescheu

Im Oktober 1999 hatte der Konzern vor dem Hintergrund von Rekordzahlen die Notwendigkeit erörtert, sich binnen drei Jahren in Europa von 7.500 Menschen, das sind zehn Prozent der europäischen Belegschaft, trennen zu müssen. Das führte zu heftigen Vorwürfen der französischen Regierung und der französischen Öffentlichkeit, die dem Reifenkonzern “Amerikanisierung” vorwarfen und mit einer “Lex Michelin” drohten, denn in der Vergangenheit hatte der französische Staat dem Konzern einen Zuschuss zu Sozialplänen in Höhe von etwa 600 Millionen Euro gewährt, die nun für die Zukunft in Frage gestellt werden sollten. Dass der Reifenhersteller im gleichen Zeitraum dennoch knapp sieben Milliarden Euro an den Staat in Form von Steuern und Sozialabgaben abgeführt hatte, wurde zunächst ebenso übersehen wie auch die Tatsache, dass der Konzern und Global Player Michelin nur 15 Prozent der produzierten Reifen in Frankreich absetzt, wo er 30 Prozent der gesamten Produktionskapazitäten hält. Michelin-intern galt, dass die Präsentation der Notwendigkeit zum Stellenabbau in Europa nicht optimal verlaufen war und es war Edouard Michelin, der das Vorgehen selbst als “ungeschickt” bezeichnete, aber immer wieder deutlich machte, dass der Restrukturierungsplan ohne Alternative sei und umgesetzt werde. Allerdings ging das Management danach auch gegenüber der ausländischen Presse auf Tauchstation, bediente seither nur noch Analysten sowie ein paar Journalisten und Redaktionsstuben in Frankreich. Wegen vorgenommener Rückstellungen in die Bilanz 1999 von 353 Millionen Euro fiel der EBIT mit gerade noch 154,4 Millionen Euro enttäuschend aus und es konkretisiert sich Handlungsbedarf an vier Stellen in Frankreich. Im Kleber-Werk in Toul erfolgt eine weitgehende Spezialisierung auf Pkw- und kleine Lkw-Reifen, während das Kléber-Werk in Troyes sich auf Landwirtschaftsreifen konzentriert. In der Michelin-Fabrik in Joué-les-Tours erfolgt eine Spezialisierung auf für den Export vorgesehene Lkw-Reifen. In einer weiteren Michelin-Fabrik in Clermont-Ferrand werden bessere Voraussetzungen zum Bau von Hochleistungsreifen geschaffen, denn in diesem Segment will Michelin überdurchschnittlich stark wachsen. Der Konzern spricht in Clermont-Ferrand auch von einer Zusammenfassung nicht näher bezeichneter Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten (die noch in Toul sind und verlegt werden sollen) sowie von der Errichtung eines Multi-Marken-Servicecenters für den französischen Markt in Clermont-Ferrand. Diese hier beschriebenen Maßnahmen werden zum Abbau von knapp 1.900 Stellen führen, wobei es nur zu etwa 100 Kündigungen kommen werde. Warum ist Michelin zu diesen Maßnahmen in Europa zur Verbesserung der Produktivität gezwungen? Es scheint deutlich geworden zu sein, dass Michelin in den guten letzten Jahren in Europa zwar überdurchschnittlich gut verdient, dabei aber Marktanteile eingebüßt hat. Die Preisabstände zu anderen wichtigen Wettbewerbern sind zu groß geworden und müssen nun reduziert werden. Das aber kann ohne Gewinneinbruch nur dann gelingen, wenn zuvor Kosten reduziert werden. Die eingeleiteten Maßnahmen führen somit nicht zu einer Gewinnverbesserung, vielmehr handelt es sich um ein Nullsummenspiel. Es wird immer deutlicher, dass der am meisten respektierte (oder gar gefürchtete) Wettbewerber Bridgestone/Firestone den Franzosen in die Suppe spuckt, denn die Japaner sind strategisch gesehen gegenüber Michelin in einer geradezu exzellenten Lage. Sie erwirtschafteten im Vorjahr einen Operating Profit von 1,8 Milliarden US-Dollar. 60 Prozent davon stammen aus Japan. Oder anders ausgedrückt: Bridgestone erreicht einen Operating Profit von 12,7 % vom Umsatz in Japan, von 7,3 % in USA, aber nur von 3,3 % in Europa, weil man hier am aggressivsten vorgeht und auch den größten Nachholbedarf hat. Und es ist durchaus damit zu rechnen, dass sich dieser Druck auf den Heimatmarkt des Michelin-Konzerns noch einmal spürbar erhöhen wird, denn es muss im Interesse von Bridgestone/Firestone liegen, dem Konkurrenten Michelin das Leben an dessen Lebensnerv Europa, wo dieser am besten verdient, noch schwerer zu machen. Das zeigt: Michelin ist einer Abwehrposition und mit einer “Lex Michelin” würde die französische Regierung den Japanern eine tolle Steilvorlage geboten haben. Michelin müsste eigentlich den Japanern auf deren Heimatmarkt scharfen Wettbewerb entgegensetzen. Mit der viel zu kleinen früheren Okamoto-Fabrik ist die Basis dafür in Japan aber noch lange nicht vorhanden. Es kommt hinzu, dass auf dem japanischen Reifenersatzmarkt die Distribution entscheidend ist. Hier ist Bridgestone die mit Abstand führende Reifenfirma. Das Jointventure zwischen SRI/Dunlop und Goodyear braucht Bridgestone in Japan nicht zu fürchten, weil der SRI-Zugriff auf den japanischen Reifenersatzmarkt weiterhin sehr schwach und Goodyear in Japan keine bekannte und imagestarke Marke ist. Wäre Yokohama, die starke Nummer zwei in Japan “for sale” und hätte Michelin die Mittel für eine Akquisition, entstünde sofort ein sehr ernst zu nehmender Konkurrent. Eine solche Akquisition hätte so etwas wie industrielle Logik für sich. Doch das ist alles blanke Spekulation. Ergo: Michelin muss schnellstens in Europa Kosten reduzieren und die Produktivität, wie bereits angekündigt, um 20 Prozent erhöhen. In Frankreich wurden die ersten Schritte nun eingeleitet. Warum dies aber die Presse außerhalb Frankreichs nicht zu interessieren haben soll, bleibt das Geheimnis der Franzosen.

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